Donnerstag, 30. November 2006

Der Fisch und der Vogel

Heute war ich bei einer Vorführung eines studentischen Dokumentarfilms im Jüdischen Museum. "Neun Studenten des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule Konstanz reisten 2005 mit Kamera und Aufnahmegerät durch ganz Deutschland, fotografierten und befragten über 60 jüdische Jugendliche, was diese über ihre Religion, über Heimat und über Deutschland denken", heißt es in der Einladung. Ziel der Reise war eine Ausstellung zum Thema "Jüdische Jugend heute in Deutschland", die schließlich in NYC eröffnet wurde. Ihre Erfahrungen haben die Studenten mit diesem Film dokumentiert, der sowohl mit Ausschnitten aus den Interviews als auch mit ihren eigenen Überlegungen versehen ist. So kann man jetzt mit erleben, wie sich die im Grunde genommen nichtjüdischen Studenten durch die monatelange, tagtägliche Arbeit dem Jüdischen annähern, das ihnen langsam selbstverständlich wird, bis sie aus einem jüdischen Lokal in New York hinausgeworfen werden, weil sie als Deutsche Reklame für ihre Ausstellung machen wollen. Was sie dabei stört, ist nicht so sehr das Vorkommnis an sich - den Besitzer mit dem Familienhintergrund möchten sie wohl nicht beurteilen -, wie ihre eigene Unfähigkeit, damit rechtzeitig zurechtzukommen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie sich nämlich bereits so weit ins Jüdische vertieft, dass sie den Zwiespalt, aus dem ihr Vorhaben von vornherein ausging, fast vergessen haben. Auf den Vorwurf, ihre Großeltern hätten die Großeltern des Besitzers ermordet, reagiert einer von ihnen mit einem apologetischen Hinweis auf seinen eigenen jüdischen Großvater, womit er sich gewissermaßen von seinen Kollegen entfernt, die wohl bloß als Deutsche haben dastehen müssen (die eigentliche Szene haben sie nämlich nicht gezeigt).

Der Film heißt "Fisch und Vogel", was anscheinend auf diesen noch immer nicht zu überbrückenden Abgrund im jeweiligen Selbstverständnis jeder der beiden "Seiten" anspielen soll. Zum Thema Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden sagt eine der Befragten: "der Fisch und der Vogel können sich sehr gut miteinander befreunden, aber wo sollten sie sich denn treffen?" (also: Der Fisch und der Vogel können sich verlieben - doch wo bauen sie ihr Nest?). In der Tat gewinnt man den Eindruck, dass das Leben in Deutschland für die meisten Interviewpartner weitgehend eine Selbstverständlichkeit bildet, woraufhin eine der Zuschauer in der anschließenden Diskussion den Titel als unpassend bezeichnet und stattdessen den "Weg zur Normalität" vorgeschlagen hat. Wenn dem aber wirklich so wäre, gäbe es den Film bzw. die Ausstellung ja gar nicht; dass die Stundenten einerseits auf diese Idee gekommen sind und dass sich ihre Gesprächsparter andererseits als "Juden" haben interviewen lassen, weist gerade auf das Vorhandensein dieses Zwiespalts hin - vor allem jedoch in der gedanklichen Wirklichkeit unserer gemeinsamen Gesellschaft.

Im Übrigen haben sich manche auch darüber beklagt, dass es im Film zu viel von den nichtjüdischen Produzenten und zu wenig von den jüdischen Interviewpartnern gibt. Andere haben hinwiederum dazu gesagt, sie hätten es doch sehr interessant gefunden, dass die Studenten auch ihre Reflexionen mit einbezogen haben. Weder die einen noch die anderen scheinen verstanden zu haben, dass es in diesem Film gerade um die Erfahrungen der nichtjüdischen Studenten geht - und das soll auch so sein, denn den Juden ist ja schon die eigentliche Ausstellung gewidmet. Viele erwarten heutzutage immer wieder, dass die Juden bzw. "das Jüdische" im Mittelpunkt stünde, möglicherweise infolge vieler Veranstaltungen im letzten Jahrzehnt, die sie einfach daran gewöhnt haben. Jedoch habe ich die Aussagen der nichtjüdischen Studenten weit interessanter gefunden als die ziemliche Banalität der jüdischen Interviewpartner. Vielleicht wird jetzt langsam die Zeit auch für die deutsche zeitgenössische Introspektion reif.

(So... Das war anscheinend der allererste Beitrag auf dieser Website!)