Samstag, 29. Dezember 2007

Eine Fußnote zu Genesis

Zu Genesis wollte ich in der vorletzten Woche Stellung nehmen, als wir im Begriff waren, Genesis bzw. 2. Mose bzw. Bereschith zu Ende zu lesen. Jedoch konnte der gute Vorsatz aus Zeitgründen nicht in Erfüllung gehen. Also habe ich mich jetzt noch dazu gezwungen, bevor es "zu spät" wird (oder aber zu früh für den nächstjährigen Lesezyklus).

Einerseits handelt es sich beim Buch Genesis um sehr Wichtiges: um die Erzfamilie, also um den Ursprung des Volkes und dessen Vorzeichen; im Rückblick möchte man auch sagen: um die Anfänge der Heilsgeschichte. Andererseits fallen die Geschichten von der Erzvätern und -müttern gerade durch die zahlreichen Missetaten auf, die in sie verwoben sind. Dabei sehe ich absichtlich von der Ursünde, der ersten Mordtat u. Ä. ab und richte das Augenmerk gerade auf die "Kleinigkeiten", von denen man meinen könnte, sie wären für die Heilsgeschichte überhaupt nicht nötig gewesen.

Ich versuche also eine Liste dieser Missetaten herzustellen; freilich kann ich mich nicht an alles erinnern:

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Abraham stellt Sarah, sein Weib bzw. seine Frau, als seine Schwester vor und überredet sie dazu, sich ebenfalls so vorzugeben. Er verhindert nicht, dass sie infolge seiner falschen Aussage zu einem anderen Mann genommen wird. Ganz im Gegenteil: Er wird für sie gut bezahlt. Erst durch Gottes Einmischung kommt es doch nicht zum Sexualverkehr und Sarah wird zu Abraham zurückgebracht. Und das nicht ein-, sondern zweimal: Zuerst mit dem Pharao (1. Mose 12:10-20), dann mit Abimelech, dem König von Grar (1. Mose 20:1-18). Interssanterweise wiederholt es sich zum dritten Mal bei Isaak, der Rebekka ebenfalls als seine Schwester vorstellt (1. Mose 26:7).

Abraham versucht, seinen eigenen Sohn zu schlachten, und scheut sich zu diesem Zweck nicht davor, Isaak zu belügen und dessen Vertrauen auszunutzen (1. Mose 22:1-19). Wie sich diese Gräuelerfahrung auf Isaak eingewirkt hat, kann man sich vorstellen.

Abraham schickt seinen Knecht in die alte Heimat, um dort eine Frau für Isaak zu finden. Vom Bräutigam will der Knecht nicht zu viel erzählen; vielmehr lässt er die Geschenke reden, mit denen er Rebekkas Familie überschüttet. Erst wenn es schon zu spät ist, darf Rebekka die Wahrheit erfahren: "Und Isaak ging gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu ergehen. Da hob er seine Augen und sah: Kamele kamen daher. Und auch Rebekka hob ihre Augen und sah Isaak. Da fiel sie vom Kamel herunter [Rev. Elberfelder: "Da glitt sie vom Kamel"]. Sie sprach zu dem Knecht: "Wer ist jener Mann, der dort auf dem Feld uns entgegenkommt? Und der Knecht sprach: "Das ist mein Herr!" Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich." (1. Mose 24:63-65).

Lot, Abrahams Neffe, will dem Sodomer Pöbel seine eigenen, noch jungfräulichen Töchter übergeben, damit sie vom Pöbel vergewaltigt werden und Lots Gäste, Gottes Boten, von diesem Geschick verschont bleiben (1. Mose 19:1-38; interessanterweise rächen sich die Töchter nachher, indem sie ihn narkotisieren und begatten).

Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab (1. Mose 25:29-34). Das muss man abermals lesen: Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab. Wie ist die Erstgeburt zur Ware geworden? Wie ist Jakob überhaupt auf die Idee gekommen, mit so etwas handeln zu können? (Und leise hinzugefügt: Ist das der Ursprung "jüdischer Geschäftstüchtigkeit"?)

Jakob führt seinen eigenen, blinden Vater irre, um den Segen des Erstgeborenen zu bekommen, und zwar nachdem ihn seine Mutter, Isaaks Frau (!), dazu verleitet hat (1. Mose 27). Im Übrigen stellt sich hier die Frage, warum es überhaupt zu solch einem Betrug hätte kommen müssen, wenn sich die Erstgeburt einfach so verkaufen ließe, wie es Genesis beschreibt? Schließlich muss Rebekka Jakob zur Flucht nach Haran, zu ihrem Bruder Laban raten.

Nachdem Jakob sieben Jahre lang im Dienste Labans gearbeitet hat, um Rahel zu bekommen, gibt ihm Laban im Schutze der Dunkelheit Lea, die ältere Tochter (1. Mose 29).

Innerhalb der Erzfamilie geht es mit dem Handel recht voran: Lea will Rahel eine Nacht mit dem gemeinsamen Mann abkaufen. Und: Rahel verkauft ihrer Schwester die Nacht. Und: Jakob lässt sich darauf ein (verkauft ist verkauft, das weiß er wohl am besten; 1. Mose 30:14-16).

Jakob und Laban betrügen einander bei der Aufteilung der Schafherden (1. Mose 30:31-43).

Jakob teilt Laban nicht mit, dass er vorhat, ihn zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren. Beim Auszug aus Labans Haushalt stiehlt Rahel ihrem Vater die Götzerbilder (1. Mose 31:19-44).

Nachdem Schechem, der Sohn Hamors, Dina, die Tochter Leas, vergewaltigt hat, schlägt Hamor Jakob und seinen Söhnen vor, dass sie den Söhnen Hamors ihre Töchter geben und im Gegenzug die Töchter der Familie Hamors bekommen. Noch will er ihnen alles geben, was sie bekommen möchten, um Dina abzugeben. Die Söhne Jakobs willigen scheinbar darin ein, indem sie voraussetzen, dass Hamor und seine Söhne sich beschneiden. Das tun sie auch, doch am dritten Tage, während sie noch leiden, werden sie alle von den Söhnen Jakobs getötet, ihr sämtlicher Besitz geraubt (1. Mose 34).

Ruben begattet Bilha, die Kebse Jakobs, seines Vaters (1. Mose 35:22).

Die Söhne Jakobs wollen Josef, ihren Bruder, erschlagen. Schließlich wird er "nur" in die Grube hineingeworfen, in der es "kein Wasser", aber wohl anderes gibt. Als die Brüder Jakob als Knecht an die Ismaeliten verkaufen wollen, müssen sie feststellen, dass ihnen die Midianiter zuvorgekommen sind. Dann führen sie ihren eigenen Vater irre, indem sie ihn glauben lassen, Josef wäre gefressen worden (1. Mose 37).

Juda hält nicht sein Wort, das er Tamar, seiner Schwiegertochter, gegeben hat, nämlich, dass sie die Frau Schelas, seines dritten Sohnes, wäre. Daraufhin verführt Tamar ihren Schwiegervater, Juda, der sie begattet, weil er sie für eine Hure hält (1. Mose 38). Aus diesem Geschlechtsverkehr sollte noch David hervorgehen (also auch der Heiland).

Man möchte hier auch auf Josefs unehrlichen Umgang mit seinen Brüdern in Ägypten hinweisen, doch erscheint es nach alledem, was sie selbst angetan haben, fast angemessen...

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Lügen, Irreführungen, Betrügereien und sogar Zuhältereien: In Genesis bilden die Missetaten keine Ausnahmen, sondern die Regel. Im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. des Familienlebens ist die israelitische Erzfamilie kläglich gescheitert. Vorbildlich? Kaum. Kindergerechter Lesestoff? Wohl auch nicht.

Die Geschichte der Erzväter und -mütter stellt eine große, weil grundsätzliche Schwierigkeit dar. Was soll uns mit dieser Problematik vermittelt werden? Auf diese Frage vermag vielleicht mancher eine Antwort zu geben. Es scheint mir aber angebrachter zu sein, die Frage unbeantwortet "schweben" zu lassen. Manchen Fragen steht es nämlich zu.


P.S. Um den Beitrag trotzdem mit einem positiven Ton ausklingen zu lassen:



Danke an Marek aus Warschau für den Hinweis!

Dienstag, 25. Dezember 2007

Gegen den dogmatischen Glauben, für die experimentelle Spiritualität

Wenn ihr die nächsten 82 Minuten gut investieren wollt, könnt ihr euch einen geschickt präsentierten Vortrag von Sam Harris anschauen bzw. -hören, der 2005 von der New York Society for Ethical Culture im Center for Inquiry (oder vielleicht umgekehrt?) veranstaltet wurde. Harris stellt die Grundthesen seiner ersten Monographie dar: The End of Faith: Religion, Terror, and the Future of Reason (New York: W.W. Norton & Co., 2004)

Die Aufnahme des Vortrages fängt nach ca. anderthalb Minuten an:

Donnerstag, 20. Dezember 2007

Theater Heidelberg: Der Protest hat gewirkt

From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Cc: Hanno Nehring (E-Mail)
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:16 PM
Subject: Entschuldigung von Herzen!


Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen: Sie haben völlig recht. Ich kannte diesen Aufleger auf unserem Spielplan nicht, der in letzter Minute vor Drucklegung hinzugekommen ist - und ich teile ihre Ihre Verärgerung und Ihre Kritik. Das ist nicht der Stil unseres Hauses, seien Sie dies versichert - und auch Leichtfertigkeit zeichnet uns normalerweise nicht aus. Mit betroffenen und unglücklichen Grüßen,

Ihr

Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg


Man darf also vermuten, dass sie in Zukunft bei der Wortauswahl größere Umsicht zeigen werden.

Nachtrag:

From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:45 PM
Subject: Nachtrag


Um Ihnen zu zeigen, wie unendlich peinlich mir dieser Aufleger ist und dass ich selbst keinesfalls damit leben kann: Wir lassen den Spielplan umgehend neu drucken! Nochmals viele Grüße,

Ihr

Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg


Beides mit Genehmigung von Herrn Spuhler veröffentlicht.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

"Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!" (Günter Eich)

Nach der gestrigen Begegnung mit dem menschenunwürdigen Sprachgebrauch im Theater Heidelberg, musste ich noch etwas erleben, und zwar, wie es viele gebildete Leute in meiner Umgebung gar nicht so auffällig finden. Offenkundig handelt es sich hier um tief verwurzelte, vielleicht unbewusste, jedenfalls für natürlich gehaltene Denkmuster, denen man aktiv entgegenzutreten hat. Also habe ich folgenden Brief an die in der Anzeige angegebenen E-Mail-Adresse geschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Spielplan für Januar 2008 haben Sie eine Anzeige veröffentlicht, mit der Sie u. a. "Mischlinge" anwerben wollen. Mich hat Ihre Wortauswahl sehr überrascht, weshalb ich Sie auf Folgendes hinweisen möchte:

1. Die Menschheit lässt sich nicht in unterschiedliche Tierarten aufteilen. Die Menschen, die Sie mit diesem menschenverachtenden Sprachgebrauch meinen, sind folglich keine Mischung zweier Arten, sondern schlicht und einfach Menschen, wie Sie und ich und jede(r) andere.

2. Nicht zufälligerweise suchten die Nationalsozialisten ihren Rassenwahn durch die entkontextualisierte Anwendung zoologischer Begriffe auf Menschen zu unterstützen. Ohne diese sprachlich-kognitive Infrastruktur wäre die durchgängige Ausgrenzung nicht von den ehemaligen Mitbürgern akzeptiert, die öffentliche Dehumanisierung nicht möglich und die systematische Ausrottung von Menschen nicht durchführbar gewesen. Weiteres zur Macht des unbewussten Sprachgebrauchs finden Sie in Victor Klemperers LTI. Notizbuch eines Philologen.

Insbesondere bin ich davon enttäuscht, dass man derartigen Vorstellungen nun ausgerechnet im Heidelberger Stadttheater begegnen muss.

Mit freundlichen Grüßen
Yoav Sapir


Aufklären könnt ihr natürlich ebenfalls (selbstverständlich auch wenn ihr anderwärts wohnhaft seid) und zwar unter: hanno.nehring@gmx.de

Umso schlimmer, weil gefährlicher ist diese Wortauswahl ja gerade dann, wenn sie keinem rechtsextremistischen Milieu entstammt, wo man den Vorfall noch leichtfertig verwerfen könnte, sondern von einer tonangebenden, meinungsbildenden Einrichtung ausgeht wie dem Theater Heidelberg und sich in ein Projekt (im Rahmen der "Afrikatage") einschleicht, das ansonsten doch aufgeklärt und aufgeschlossen wirkt und daher einen weit größeren suggestiven Einfluss ausübt.

Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier.

Dienstag, 18. Dezember 2007

Es schleicht sich durch





- Aus dem Spielplan des Stadttheaters Heidelberg für Januar 2008.

Einerseits fragt man sich, wie sich das, was man hier mit "Mischlingen" meint, kurz und bündig umformulieren lässt, damit es noch in den begrenzten Platz im Spielplan passt. Andererseits scheint die bloße Vorstellung problematisch genug zu sein, um schon als solche vermieden werden zu sollen.

Vorschläge?

Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier und hier.

Montag, 17. Dezember 2007

Öffentliche Erklärung zum Zitat in der "Deutschen Stimme"

Hallo allerseits,

I. Am 29. Oktober d. J. veröffentlichte ich hier einen Beitrag ("Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert"), in dem ich die Verhaltensweise eines Dresdner Hoteliers kritisierte, der zwei NPD-Landtagsabgeordnete nur aufgrund ihres in der BRD (noch) legitimen (=rechtsmäßigen) weltanschaulichen Engagements verwiesen hatte. Es handelte sich dabei um keine Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Hotels durch die Partei (zwecks politischer Veranstaltung innerhalb des Hotels), sondern um das in menschlicher Hinsicht sehr nachvollziehbare Bedürfnis der beiden Abgeordneten als Privatpersonen nach Unterkunft.

II. Dieser Beitrag hat viel Resonanz nach sich gezogen, nicht zuletzt auch in Form von Kommentaren. Es stellte sich dann heraus, dass meine - von Anfang an für laienhaft erklärte - Rechtsinterpretation nicht zutrifft, und zwar deswegen, weil das Grundgesetz nur für den Staat gilt und für keine anderen juristischen Personen verbindlich ist (wie etwa für ein Hotel bei seinem Geschäftsverkehr mit anderen juristischen Personen).

III. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die in der bundesrepublikanischen Verfassung gesetzten Maßstäbe gut genug sind, um auf moralischer Ebene als Vorbilder für die Gesamtbevölkerung fungieren zu können. Ferner bin ich der Meinung, dass in diesem Fall gute Absichten mit schädlichen Methoden verfolgt wurden, die der NPD - ausnahmsweise zu Recht! - zur Opferrolle verhalfen. Weiteres ist ja dem Beitrag und insbesondere den anhängenden Kommentaren zu entnehmen.

IV. Gestern hat mich der Leser Michael Klarmann per Kommentar zum besagten Beitrag darauf hingewiesen, dass in der Deutschen Stimme, dem Parteiorgan der NPD, aus meinem Beitrag zitiert worden ist. Bei meinem Beitrag handelt es sich notabene nicht um die NPD an sich, und wenn auf diese überhaupt Bezug genommen wird, dann aber eindeutig negativ. Zudem heiße ich dort die Absichten des Hoteliers gut; es wird nur die Methode kritisiert, mit der die guten Absichten umgesetzt wurden. Nun steht es aber jeder und jedem frei, für die Öffentlichkeit zugängliche Texte unter den üblichen Bedingungen wiederum öffentlich zu zitieren. Damit es jedoch zu gar keinen Missverständnissen kommt, sei es hiermit wiederholt: Ich bin kein Anhänger der NPD und unterstütze auf keine Art und Weise die politischen Positionen dieser Partei. Ich behaupte "nur", dass politisch-ideologische Kämpfe nicht ins Privatleben der Betroffenen übertragen werden sollten, selbst wenn dies in rechtlicher Hinsicht nicht immer verboten ist.

V. In Ahlehnung an Voltaire lässt sich die Sache so zusammenfassen: Die NPD ist total anderer Meinung als ich und ich werde in diesem spezifischen Fall ihr Recht, für ihre extremistische Meinung mit politischen Mitteln zu werben, nicht unbedingt verteidigen, aber ich werde schon diejenigen kritisieren, die beim sehr gerechtfertigten Kampf gegen die NPD nicht zwischen politisch-öffentlichem und Privatleben differenzieren und demzufolge nicht auf die Menschenwürde von NPD-Abgeordneten/-Funktionären/-Mitgliedern achten.

VI. Schließlich sollte man sich auch fragen, was in der deutschen Politik so falsch gemacht wird, dass es dazu gekommen ist, dass die NPD sich - wenn auch ansatzweise - Bahn brechen kann. Kann es sein, dass es in Deutschland tatsächlich an positiver Identitätsstiftung mangelt? Kann es sein, dass jenseits der CDU/CSU ein politisches Vakuum bewahrt wird, obwohl es solch eine Abnormalität des politischen Spektrums (im Vergleich mit anderen abendländischen Ländern) nicht auf Dauer geben kann? Kann es sein, dass der ständige, undifferenzierte Angriff gegen "alles Rechte", darunter auch gegen alternative Initiativen (wie etwa die Wochenzeitung Junge Freiheit, die Verlagsanstalt Edition Antaios oder das Institut für Staatspolitik, die sich in der Tradition des ehemaligen deutschen Konservativismus sehen und dem fremdenfeindlichen Rechtsextremismus durch positive Konstruktionen deutscher Nationalidentität entgegenzuwirken suchen), nicht die erwünschten Ergebnisse zur Folge hat, sondern den Extremisten eben durch die Verdrängung rechter Alternativen nur noch weiterhilft?

Nebenbei bemerkt: Mir ist vor kurzem das am 18. August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zur Kenntnis gebracht worden. Ziel des Gesetzes ist es (meine Hervorhebung), "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen." (aus § 1). Ich bin mir ziemlich sicher, dass die NPD dieses Gesetz nicht gutheißt - im AGG geht es ja u. a. auch darum, Benachteiligungen von Menschen zu verhindern, die von der statistischen "Norm" des alten Deutschland abweichen - etwa von Menschen mit Migrationshintergrund. Nichtsdestoweniger dürften sich die für die NPD tätigen, aus dem Hotel verwiesenen Privatpersonen doch positiv dafür interessieren, weil es in § 2 Abs. 1 folgendermaßen heißt (nochmals meine Hervorhebung): "Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: [...] den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen [...]" Soweit ich weiß, handelt es sich beim Geschäftsbetrieb des Hotels um solche Dienstleistungen (mit dem Geschäftsbetrieb ist ja die Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch eine grundsätzlich unbegrenzte Kundschaft - die "Öffentlichkeit" - verbunden). Aber das ist ja abermals nur meine Laienmeinung.

Schöne Grüße,
Euer Yoav

Samstag, 8. Dezember 2007

Interessante Zeitungsartikel für die neue Woche

Gut Woch allerseits,

1. vor kurzem habe ich hier (unterm P.S.) den neuen jüdischen Kongress erwähnt. Gestern ist in einem Aritkel in The Washington Times auf diese Initiative hingewiesen worden: "In the New Jewish Congress and such kindred movements as Moshe Feiglin's the Jewish Leadership Movement, lie Israel's best hope." Zur weiteren Lektüre: Louis Rene Beres, "'Auschwitz' borders" (2 Seiten)

2. Der Standard hat vorgestern ein sehr interessantes Gespräch mit Leon de Winter über den letzten US-amerikanischen Iran-Bericht gebracht: "Das Problem mit diesem Bericht ist, dass sich hier die Schwäche der amerikanischen Geheimdienste offenbart. [...] Die Geheimdienst-Community ist paralysiert, weil sie nicht die geringste Ahnung hat, was los ist." Zur Lektüre hier klicken.

3. In der gestrigen taz lässt sich ein ebenso interessantes Interview mit Tariq Ramadan, dem "Theoretiker des Euroislam[s]", finden. Da kann ich (fast?) jedem seiner Worte zustimmen. Weiß jemand, wie er sich zu Israel verhält?

a frejleches Chanukka noch!

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Chanukka und jüdische Identitäten

Wie kein anderes Fest (mal abgesehen davon, dass Chanukka nach jüdischem Recht kein richtiges Fest ist) wirft Chanukka Fragen nach jüdischem Geschichtsbewusstsein und der damit zusammenhängenden Erinnerungsarbeit auf. Hinter den Kulissen findet man einen vornehmlich innerjüdischen Krieg, in dem die von Gott unterstützten Extremisten gegen die von den Seleukiden unterstützten Assimilierten gekämpft und Letzere besiegt haben. Kurz danach haben sich die siegenden Hasmonäer selbst - aus realpolitischen Gründen - gewissermaßen in die weitgehend griechisch geprägte Umwelt assimiliert. Schließlich wurden die blutig erkämpften Errungenschaften 101 Jahre später (63 v. u. Z.) an die Römer verloren. Weiteres dazu steht im Internet wohl reichlich zur Verfügung, also erlaube ich mir gleich auf den Punkt zu kommen: Was macht man heutzutage mit diesem Erbe? Was soll eigentlich gefeiert werden? Welches Geschichtsbewusstsein soll gepflegt werden?

Im frührabbinischen Judentum wurde der Schwerpunkt verlegt: vom militärischen Sieg und der damit verbundenen Wiedereinweihung des Tempels (daher "Chanukka" - Einweihung) auf ein wohl zurückprojiziertes Ölwunder, das kaum eine (und aus wissenschaftlicher Perspektive: wohl keine) der alten Quellen kennt. Diese Form der Erinnerungsarbeit setzte sich jedoch durch und bildet die Grundlage des uns bekannten Festes.

Im Zionismus ist das Fest, wie es sich in einer nationalen Bewegung gehört, neu bewertet worden: Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bedrohungen - nationale und kulturelle Assimilation einerseits, religiös-traditionelle Passivität andererseits - sind die Bekämpfung der Assimilation sowie die physisch-militärische Kühnheit als solche hervorgehoben worden, während die Wundergeschichte - als Quintessenz des Religiösen - beiseite geschoben worden ist.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen des Rabbiners S. J. L. Rapoport um eine Synthese, eine orthodoxe Neubewertung des Chanukka-Festes und dessen Geschichte im Sinne eines bewusst gläubigen Nationalismus. Allerdings war er seinerzeit eher eine Ausnahme, die kaum rezipiert wurde (nebenbei bemerkt: auch heute steht er noch - vollkommen unberechtigterweise - am Rande des wissenschaftlichen Augenmerks).

Interessanterweise hat es die Geschichte so gewollt, dass die Tempelfrage im heutigen Israel wieder eine zenrale Rolle spielt, und zwar nicht mehr als Sinnbild der traditionellen, anti-nationalen Passivität, sondern gerade im Einklang mit dem neuen jüdischen Nationalismus. Dieser Zustand, der jetzt zum ersten Mal "seit 2000 Jahren" wiederkehrt, spieglt den Geist dieses Festes eigentlich am treffendsten wider: Die Bestrebung geistiger, weil religiöser und kultureller Ziele durch irdische, d.h. physische und politische Mittel.

Dies stellt jedoch eine große Herausforderung für Juden dar, die weder im militärischen Nationalismus noch im kulturell-religiösen Extremismus der Makkabäer ein festlich zu gedenkendes Vorbild erblicken wollen. Doch allzu leicht lässt sich dieses Fest nicht umdeuten.

Leider wird die Bedeutung dieses Festes an den meisten Orten vertuscht und die Fragen, die es aufwirft, i. d. R. gänzlich vermieden. Es wäre aber schön, wenn jüdische Gemeinden sich nicht nur mit Latkes (dt. Kartoffelpuffer) und Sufganijot (dt. Berliner Pfannkuchen), sondern auch mit Geschichtsbewusstsein und Erinnerungspolitik befassen würden.

Mehr zum Thema findet ihr in meinem vorjährigen Beitrag.

Und in diesem Sinne: Gut Chanukka!

P.S. Chanukka - alternativ (neue Komposition von Viktor Esus; man muss einige Sekunden warten, bis die Werbung vorbei ist. Hebräischlesende finden Weiteres dazu hier):

Dienstag, 27. November 2007

Das Schmita-Jahr zu unserer Zeit

Vor kurzem habe ich hier eine neue "Reihe" angefangen: Jüdische Politik. Heute möchte ich es mit einem ersten Beispiel veranschaulichen.

Und der Ewige redete zu Mosche auf dem Berg Sinai und sprach: "Rede zu den Kindern Israels und sprich zu ihnen: wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so soll das Land dem Ewigen einen Sabbat feiern. Sechs Jahre besäe dein Feld und sechs Jahre beschneide deinen Weinberg und bringe seinen Ertrag ein; aber im siebenten Jahr soll ein Sabbat vollkommener Ruhe sein für das Land, ein Sabbat dem Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinberg nicht beschneiden. Den Nachwuchs deines Schnittes sollst du nicht abmähen und die Trauben deines unbeschnittenen Weinstocks sollst du nicht lesen; ein Sabbatjahr sei es für das Land. Es sei aber der Sabbat des Landes für euch zum Essen, für dich und für deinen Knecht und für deine Magd, sowie für deinen Mietling und für deinen Beisassen, die sich bei dir aufhalten. Auch für dein Vieh und für das Getier, das in deinem Land ist, sei all sein Ertrag zum Essen."

[...]

Und ihr sollt meine Satzungen üben und meine Rechtsvorschriften wahren und sie üben; so werdet ihr in Sicherheit im Land wohnen. Und das Land wird seine Frucht geben, und ihr werdet essen zur Sättigung und in Sicherheit darin wohnen. Und wenn ihr sagt: 'Was sollen wir essen im siebenten Jahr? Wir dürfen ja nicht säen und unsern Ertrag nicht einbringen!' So will ich euch meinen Segen entbieten im sechsten jahr, daß es den Ertrag bringe für die drei Jahre. Ihr werdet säen im achten Jahr, und noch Altes essen von dem Ertrag; bis zum neunten Jahr, bis dessen Ertrag einkommt, werdet ihr Altes essen. Das Land aber soll nicht für immer verkauft werden; denn mein ist das Land, denn Fremdsassen seid ihr bei mir. Und in dem ganzen Land eures Besitzes sollt ihr Einlösung gewähren für das Land.


- aus 3. Mose 25, 1-7 bzw. 18-24 (vgl. auch 2. Mose 23, 10-11 sowie 5. Mose 15, 1-11)

Wie viele von euch wohl schon wissen, ist heuer (5768) solch ein Schmita-Jahr. Auf die Einzelheiten dieses Begriffs will ich jetzt zwar nicht eingehen, aber man kann sich auf der englischsprachigen Wikipedia einen ziemlich guten Überblick verschaffen. In diesem Beitrag beziehe ich mich auf den landwirtschaftlichen Aspekt des Schmita-Jahres (außer ihm gibt es auch den finanziellen Aspekt des Schuldenerlasses). "Schmita" bedeutet auf Hebräisch ungefähr "Wegfallen-Lassen" oder "Verzicht"; im landwirtschaftlichen Zusammenhang bedeutet es, dass man (in diesem Jahr) auf die Bodenbearbeitung verzichtet und das Land sozusagen in dessen natürlichen, noch nicht urbar gemachten Zustand zurückfallen lässt.

Dieser siebenjährliche Verzicht auf die Landwirtschaft birgt in sich eine soziale Vorstellung von größter Bedeutung: Alle sieben Jahre wird das Volk vom physischen Arebitszyklus befreit und kann sich anderen Aktivitäten, etwa geistiger Weiterentwicklung widmen.

Diese Vision kann jedoch nur dann verwirklicht werden, wenn das Volksleben - wie damals - auf der Landwirtschaft beruht, was auf unser Zeitalter kaum noch zutrifft. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum heutige Diskussionen über das Schmita-Jahr allzu oft am Eigentlichen vorbeigehen (s. Beispiel).

Es gilt also, das biblische Ideal für unsere Zeit anwendbar zu machen. Ansätze gibt es schon in mehreren Ländern, vor allem im Erziehungsbereich (Lehrer, Hochschul- und Universitätsprofessoren). Aber was bedeutet die biblische Vision für uns, die wir in einem Zeitalter leben, wo die Wirtschaft und die mit ihr zusammenhängenden Arbeitsverhältnisse nicht mehr land- bzw. bodengebunden sind? Es liegt also Israel ob, auf diese Frage eine umfassende Antwort zu geben und der Welt ein funktionierendes Modell anzubieten, wie es im antiken Israel der Fall war. Im Grunde genommen geht es darum, jedem Arbeiter - wenn auch nicht allen zugleich - die Möglichkeit zu geben, sich nach sechs Arbeitsjahren 12 Moante lang einem Schaffensbereich zu widmen, der über sein normales Tätigkeitsfeld hinausgeht.

Während dieses Lernurlaubs kann sich der Arbeiter weiterentwickeln und damit die Gesellschaft als Ganzes zu bereichern: Bürokaufleute können sich dann mit Religionsphilosophie, Juristen mit schaffender Kunst, Bäcker mit Volkswirtschaftslehre usw. usf. befassen - je nachdem, wovon sich jeder angezogen fühlt.

Wenn der Arbeiter nach dem einjährigen Lernurlaub in den Dienst zurückkehrt, bringt er nicht nur neue Kraft und Lust mit, sondern (hoffentlich) auch neue Einsichten. Er ist dann nämlich in humanistischer Hinsicht höher gebildet als vorher und kann mit diesem geistigen Mehrwert einen besseren Beitrag leisten. Es kann aber natürlich auch sein, dass der Arbeiter während seines Lernurlaubs ein neues Feld entdeckt hat, wo er sich besser entfalten kann und will. In dem Fall gewinnt die ganze Gesellschaft von dieser Bereicherung.

Finanziert werden kann dieses Modell durch freifillig geführte Sparkonten: Jeder - ob Angestellter oder Selbstständiger etc. - hat die Möglichkeit, einen festgelegten Prozentsatz seines monatlichen Gehaltes oder jährlichen Gewinns auf dieses Sondersparkonto überweisen zu lassen. Je niedriger der Grundgehalt, umso größer ist dann der staatliche Zuschuss. Nach sechs Arbeitsjahren kann das Ersparte einschließl. der staatlichen Zuschüsse in staatlich anerkannten Volkshochschulen in Anspruch genommen werden. Ansonsten kann der Arbeiter seinen Anteil zurückbekommen.

Jedenfalls geht es hier nicht um das eine oder andere Detail, sondern um die allgemeine Vision der jüdischen Bibel und die Frage, wie diese Vision zu unserer Zeit verwirklicht werden kann.

Samstag, 24. November 2007

Zersplittertes Volk

Git Woch allerseits,

es ist mir am Schabbes etwas eingefallen, worüber ich eigentlich vor langem schreiben wollte:

Zu den hohen Feiertagen war ich zuhause. Das hat dieses Jahr ziemlich gut geklappt: Nach dem Austauschjahr in Berlin und noch vor der Aufnahme des Zweitstudiums in Heidelberg. Am Versöhnungstage habe ich mit meiner Mame darüber diskutiert, wie sich gerade an diesem Tage so viele, auch "fernere" Juden in der Synagoge sammeln, wie sie dann gewissermaßen kurzfristig zueinander finden. Das ist einerseits sehr schön, führt aber andererseits zu Gedanken über den ansonsten doch sehr zersplitterten Zustand Israels, sowohl im eigenen Staat als auch im Ausland.

Bei dieser Gelegenheit hat mir meine Mame erzählt, dass sie, bevor sie nachts den Schma sagt, ihrem Gebet noch etwas hinzufügt. Wie ihr wohl wisst, handelt es sich beim Schma um das jüdische Glaubensbekenntnis: Höre, Israel: Der Ewige [ist] unser Gott, der Ewige [ist] eins (vgl. 5. Mose 6:4). Ihr Zusatz zum Schma lautet nun folgendermaßen:

Höre, Ewiger: Israel ist dein Volk, Israel ist eins!

Das Schöne an dieser Anspielung, die sowohl als Bitte wie auch als Erinnerung verstanden werden kann, ist ihre Einfachheit und Direktheit. Ich habe es für mich angenommen, wenn auch an einem anderen "Ort". Mir scheint nämlich eine Stelle im Morgen- und Abendgebet dafür besonders geeignet zu sein. Vor dem Schma wird den sog. Liebessegen gesagt, der jeweils anders formuliert ist. Der Abschluss z. B. lautet im Morgengebet: "gesegnet seist du, Ewiger, der sein Volk Israel mit Liebe auserwählt"; und im Abendgebet: "..., der sein Volk Israel liebet". Gleich danach kommt der Schma. Mich dünkt also, dass es besonders gut passt, wenn die besagte Einheitsbitte zwischen den Liebenssegen und den Schma leise einfügt wird.

Und in diesem Sinne wünsche ich euch allen eine angenehme Woche,
Yoav

P.S.
Wenn schon vom Volke die Rede ist: Nächste Woche findet in Jerusalem der neue jüdische Kongress statt. Das diesmalige Thema lautet: "Wer vertritt das jüdische Volk? Die Souveränität des jüdischen Volkes über den Staat im Lande Israels".

P.S. 2
Und wenn wir schon Jerusalem erwähnt haben: Vor kurzem habe ich auf youtube eine kostbare Aufnahme vom Jahre 1970 gefunden (Kontextualisierung: Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, vor dem Versöhnungstage-Krieg 1973). Es handelt sich um den zweiten jüdischen Liederwettbewerb, bei dem die (ehemalige) Sängerin Ilana Rovina mit dem Lied "Sei von Gott gesegnet" gewonnen hat: "Es segne dich der Herr vom Zion her. Du sollst dein Leben lang das Glück Jerusalems schauen und die Kinder deiner Kinder sehen. Frieden sei über Israel!" (Psalm 128:5-6)



Amen!

Donnerstag, 22. November 2007

Wie können wir die iranische Atombombe bekämpfen?

So macht man es richtig:

U.S. demands Israel crack down on illegal Iranian pistachio imports

American officials are urging Israel to crack down on Iranian pistachio nut imports which are reaching Israel via Turkey despite a ban on Iranian imports into Israel.

U.S. Undersecretary of Agriculture Mark Keenum said in a meeting with Israeli officials in Rome on Monday that the pistachio imports must stop, a U.S. official confirmed Wednesday.

"This causes great anger, especially since pistachios succeed in coming in through a third country," Agriculture Minister Shalom Simhon told Israel Radio.

Both the U.S. and Israel have been pushing for new UN sanctionsto persuade Iran to abandon its nuclear program which Iran insists is only aimed at energy production and not military use. "This has to do with the sanctions but also with the competition between American farmers and Iranian farmers, and we are trying to deal with this," Simhon added.

Simhon said a recent meeting with a senior U.S. agriculture official focused on using technology to detect the origin of pistachios. He said that would involve chemical testing to determine the climate and soil of where the nuts were grown. California is the second largest producer of pistachios in the world, according to the former California Pistachio Coalition. Iran is first.

In the mid 1990s U.S. officials pressured Israel to block the import of Iranian nuts coming through EU member states and winding up in Israel. Tensions have heightened since Iran began pursuing nuclear technology, as the U.S. has pushed the UN to implement new economic sanctions against the country until it gives up the program.

"As a proud native of the golden state (California), I think Israelis should eat American pistachios, not Iranian ones," said Stewart Tuttle, spokesman for the U.S. Embassy in Tel Aviv.


...jetzt bin ich beruhigt.

Dienstag, 13. November 2007

Was heißt jüdische Politik?

Wenn man irgendeine heilige Schrift liest (mit oder ohne Anführungszeichen), kann man sich die Inhalte in drei Aspekten überlegen:

1. Ich-Gott: Was bedeutet es für meine Beziehung zu Gott?
2. Mensch-Mitmensch: Was bedeutet es für meine Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich in persönlichen Kontakt komme?
- und
3. Gesellschaft als Ganzes: Was bedeutet es für die Art und Weise, in der wir Menschen unser Gemeinwesen strukturieren, organisieren und leiten?

Mit der Entstehung des modernen Staates und insbesondere mit der Verbreitung der liberalen Demokratie hat der dritte und letzte Aspekt sehr stark an Bedeutung gewonnen. Denn seitdem ist jeder von uns in der Lage, sich politisch zu engagieren und das Gemeinwesen mitzugestalten. Nun ist es so, dass das sog. "Alte Testament" im Allgemeinen und das Pentateuch im Besonderen viel mehr gesellschaftsorientierte Fragen aufgreift als etwa das sog. "Neue Testament", das sich eigentlich zu distanzieren versucht ("in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt").

Doch gerade im Judentum, wo man sich durch den Jahreskreis hindurch mit dem jeweiligen Wochenabschnitt aus dem Pentateuch befasst, ist die gesellschaftsorientierte Lektüre lange eher vernachlässigt worden. Dies hatte freilich einen guten Grund: Während der langen Exilzeit(en) hatten die Juden ja kein souveränes Gemeinwesen, sondern nur relativ kleine Gemeinden mit sehr beschränkten Autonomierechten. Unter diesen Umständen sind Staatsfragen kaum bis gar nicht aufgetaucht, weshalb sie in der Regel auch nicht aufgegriffen worden (und wenn, dann aber eher als rein theoretisch-philosophische Übung).

Heutzutage, wo die Juden wieder ein souveränes Gemeinwesen, d.h. einen richtigen Staat haben, stehen diese Fragen ganz im Mittelpunkt - oder so soll es zumindest sein. Allgemein gesprochen geht es darum, was für einen Staat wir Juden haben wollen und sollen: einfach einen herzlschen "Judenstaat", d.h. einen normalen Nationalstaat nach abendländischem Muster? Oder eher einen jüdischen Staat, wo sich aber gleich die Frage stellt: Was sind eigentlich die "jüdischen Vorbilder", an denen sich ein "jüdischer Staat" zu orientieren hätte?

Für mich heißt es: Jüdischer Staat. Denn ansonsten ergibt die Existenz des modernen Staates Israels als eine kreuzritterliche Festungsinsel inmitten der feindlichen muslimischen See einfach keinen Sinn. Ganz im Gegenteil: Wenn die Juden nur als Privatpersonen, nicht aber in ihrem Gemeinwesen jüdisch sein sollten, dann könnten die Juden im Ausland eigentlich weit besser und nicht zuletzt auch sicherer leben.

Kurzum: Der Sinn der Souveränität Israels in dem ihm verheißenen Lande liegt nicht so sehr in der Vergangenheit, sondern vornehmlich in der Zukunft. Dies hat also nicht nur mit Realpolitik, sondern m. E. vor allem auch mit dem Gottesverständnis bzw. der Heilsgeschichte zu tun: Israels Aufgabe ist es eben, nicht passiv auf die Endzeit zu warten, sondern als Gottes Volk ganz aktiv die göttlichen Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und Moral hier auf Erden zu verwirklichen - wie es dreimal täglich im Gebet heißt: "zur Vervollkommnung der Welt in Gottes Reich". Uns, die wir dazu auserwählt sind, liegt es also ob, die in unseren Schriften enthaltenen Vorstellungen zu politisieren, d.h. öffentlich, gründlich und praxisorientiert zu besprechen, um sie dann mittels eines jüdischen Staates vorbildlich zu verwirklichen:

Ich, der Ewige, habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen


- Jesaja 42:6 (meine Hervorhebung, selbstverständlich)

Samstag, 10. November 2007

Ein Stück israelischer Kulturgeschichte

Git Woch allerseits,

nach der Gründung des Staates Israels waren die führenden Positionen innerhalb der zionistisch- bzw. nationalreligiösen Strömung über Jahrzehnte hinweg von Juden besetzt, die in der Tradition des deutsch-jüdischen Bürgertums verwurzelt waren; immerhin hing der Grundgedanke des religiön Zionismus sehr eng mit der neo-orthodoxen Lehre der deutschen Rabbiner Schimschen Rephuel Hirsch und Asriel Hildesheimer zusammen: Trotz aller Unterschiede im historischen Zusammenhang liegt beiden Strömungen der Wunsch zugrunde, Traditionell-Religiöses mit Modern-Weltlichem erfolglich zur Synthese zu bringen.

Vor diesem Hintergrund verstanden es die damaligen Führer der Nationalreligiösen als ihre Aufgabe, den Abstand zwischen Säkularen und Ultraorthodoxen zu überbrücken. Dazu gehörte u. a. auch das weltliche Medium des Fernsehens: Von den überwiegend säkularen Regierungen, die damals noch gänzlich über das Fernsehen verfügten, bekamen die "daitschen" Funktionären in den 1980er Jahren die Sendezeit gleich nach dem Schabbesausgang zur Verfügung gestellt.

Diese kostbaren Sendestunden wurden dann nach guter daitscher Tradition mit religiösen Chorgesängen und sonstiger Liturgie gefüllt. Allerdings mit wenig Erfolg: Die Säkularen mochten diese Sendungen nicht, weil sie "religiös" wirkten; den Nationalreligiösen gefielen sie ebenfalls nicht, weil sie nie eine richtige Botschaft an die Säkularen hatten (das wäre damals eine Zumutung gewesen) und den Nationalreligiösen selbst einfach zu langweilig waren; und die Ultraorthodoxen hatten eh keine Fernsehapparate. Dass es so etwas überhaupt im Fernsehen gab, wurde von (fast?) allen Zuschauern als Tribut der säkularen Elite an die politischen Macher der Nationalreligiösen betrachtet - und zwar mit gutem Grunde.

Anfang der 1990er Jahre ist das Kabelfernsehen erstmals im zionistischen Schnellkochtopf eingetroffen - und mit ihm eine bis dahin noch nie erahnte Auswahl an alternativen Fernsehprogrammen. Der Wandel war so umfangreich, dass er bereits 1992 in einem damals sehr erfolgreichen Film aufgearbeitet wurde. Der Film hieß schlicht und einfach Kabel und kam durch Zusammenarbeit prominenter Komödianten zustande. Dabei nahm er natürlich auch auf das staatlich erzwungene Fernsehprogramm Bezug - und der "daitsche" Kantorismus blieb selbstverständlich nicht verschont:



Ach, those were the days...

Der Wortlaut dieses satirischen Stücks besteht übrigens nur aus vier hebräischen Wörtern, die so viel bedeuten wie: "Seid fröhlich und freut euch über das Meer Gottes". "Seid fröhlich und freut euch über..." ist einem echten Lied entnommen, das zu Simchat Thorah gesungen wird. "Das Meer Gottes" hingegen - wie lässt es sich positiv formulieren? - kommt hier erstmals vor.

Nachtrag [11.11.2007]: Auf YouTube habe ich noch etwas aus Kabel gefunden. Die Interpretation überlasse ich diesmal euch...

Freitag, 9. November 2007

Wieder-Wieder-Wiedergutmachung

Ausgerechnet am 9. November - es ist kein Zufall:

Minister for Pensioner Affairs Rafi Eitan is seeking to reopen the 1952 reparations agreement between Israel and Germany.


Liebe Mitjuden: Beschlossen ist geschlossen - und vorbei ist vorbei!

Weiteres dazu auf haAretz.com

Nebenbei bemerkt:

1. Die bloße Idee, dass Überlebende des Holocaust aufgrund ihrer Vergangenheit alleine zu größerer staatlicher Förderung berechtigt sein sollten als andere Alte, die "einfach" "nur" arm, krank oder sonstwie bedürftig sind, ist schon an und für sich lauter Unsinn. Das ist keine Politik mehr, sondern Schnorrerei, der unsere sehr wackelige Regierung nicht standgehalten hat (und jetzt versucht diese Unregierung die Verantwortung dafür auf die Deutschen zu schieben).

2. Die meisten Alten, welche die neue Regelung der israelischen Regierung betrifft, sind eh keine Überlebenden im eigentlichen Sinne. Gemeint sind Zuwanderer aus der ehem. UdSSR, welche zur Kriegszeit hinter oder sogar an der Front waren, was im Stalin-Reich freilich kein großes Vergnügen gewesen ist, aber trotzdem noch nichts mit dem von den Nazis ausgehenden Holocaust zu tun hat.

a gutn Schabbes, a gutn Choidesch
Yoav

Mittwoch, 7. November 2007

Wir sind Papst!

Kaum hat man es geschafft, den merkwürdigen Beitrag des sog. "Zentralrates der Juden in Deutschland" zum öffentlichen Kreuzzug gegen Staatsfeindin Eva Herman zu vergessen - und schon macht sich der Zentralrat wieder lächerlich. Als Anlass bietet sich diesmal der baden-württembergische Landespresseball, der heuer am 9. November stattfindet und zwar unter Schirmherrschaft von Günther Oettinger, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten.

Wie bitte? Festliche Unterhaltung am 9. Aw - err... 9. November? Nicht in unserer Zentralratsrepublik: "Der Ministerpräsident hätte klipp und klar sagen müssen [sic!]: 'Das geht nicht'". Dieses Diktat öffentlich bekannt zu geben, hat sich Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der (aller?) Juden in Deutschland, erlaubt (zitiert im Spiegel). Dabei ist Kramer freilich entgangen, dass die deutsche Geschichte am 9. November nicht nur Schlimmes aufzuweisen hat, wie ihm Millionen seiner Mitbürger erklären könnten. Weiters fehlt ihm die Einsicht, dass nicht alles, was Menschen an einem bestimmten Tage machen, unbedingt damit zusammenhängt, was an diesem Tage in der Geschichte passiert ist. Noch auffälliger ist jedoch, dass Kramer offenkundig das Gefühl hat, der Zentralrat müsste der Nation auch in diesem Fall Moralunterricht erteilen.

Denn trotz aller öffentlichen Auftritte des Zentralrates (da hat man offensichtlich viel Freizeit), belangt es den Zentralrat überhaupt nichts an, was die Landespressekonferenz Baden-Württemberg (oder jede andere Organisation, die nichts Unmittelbares mit Judentum als solchem zu tun hat) am 9. November (oder an jedem anderen Tag) veranstaltet. Wie soll, wie kann man also dieses komische Verhalten verstehen? Einen wichtigen Hinweis liefert die tageszeitung:

Presseballorganisator Jens Fink sagte der taz, die Resonanz auf das von Oettinger gewünschte Tanzverbot sei "überwiegend Unverständnis". Auch er könne die Bedenken des Zentralrats nicht nachvollziehen. Schließlich habe schon 1990 ein Presseball am 9. November stattgefunden, "und damals hat sich keiner beschwert".


Irgendwas muss also inzwischen passiert sein, damit der Zentralrat überhaupt den Eindruck gewinnen konnte, es wäre jetzt die Zeit für moralistische Expansionspolitik. Meines Erachtens ist dies auf zweierlei zurückzuführen, das eigentlich sehr eng miteinander zusammenhängt: Einerseits die neue Juden- bzw. Zuwanderungspolitik, welche die Berliner Republik zwar von der letzten DDR-Regierung mit ererbt, dann aber ganz bewusst und gezielt weiter betrieben und entwickelt hat (vgl. etwa den Staatsvertrag); andererseits die neuen Muster der Vergangenheitsbewältigung bzw. Holocaustaufarbeitung, die erst nach Abschluss der innerdeutschen Teilung in diesem Umfang möglich wurde und sich in der Fülle von Gedenkstätten oder etwa Filmen mit jüdischer Thematik bekundet.

Wenn man nun die staatlich geförderte Verzehnfachung der Zahl der Juden in Deutschland, in deren Namen der Zentralrat zu sprechen glaubt, mit der zentralen Rolle des Juden in der neuen deutschen Geschichtspolitik verbindet, wird einem klar, wie es zum vermeintlichen Mitspracherecht des Zentralrates kommen konnte, und zwar selbst in rein innerdeutschen Angelegenheiten. Allerdings wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis das Pendel der politischen Macht sein Extrem erreicht. Der Zentralrat verhilft ihm dorthin.

P.S.
Noch zu untersuchen wäre, wie der Zentralrat etwa den Leo-Baeck-Preis zugunsten seiner Expansionspolitik einsetzt. Angela Merkel ist ja nicht die erste hochrangige, noch aktive (!) Politiker/in, die diesen Preis verliehen bekommt. Ist es übrigens auch euch aufgefallen, dass die Bundeskanzlerin diesen Preis von einer Organisation bzw. Körperschaft bekommen hat, die selber ihre Finanzierung von der Bundesregierung bekommt?

Sonntag, 4. November 2007

Berlin - Hebräisch - Speyer

I.

"Kol Berlin", die Stimme Berlins, ist eine hebräischsprachige Rundfunksendung im OKB, dem Offenen Kanal Berlin, moderiert von Aviv Russ. Ab sofort stehen die Sendungen auch im Internet zur Verfügung und zwar unter:

http://www.icast.co.il/default.aspx?p=Podcast&id=54850

Für alle also, auf die diese Sprache therapeutisch einwirkt. Aviv könnt ihr übrigens unter kolberlin@gmail.com anschreiben, etwa um euer Lieblingslied zu erbitten.

II.

Einer Anregung durch medbrain zufolge bin ich letzte Woche nach Speyer gereist. Mir ist das Städtl etwas nibelungisch vorgekommen, wohl aufgrund der optischen Kongruenz zwischen dem salischen Dom einerseits und Fritz Langs Kriemhilds Rache (dem 2. Teil seines Nibelungenepos) andererseits.

III.

Und was verbindet Berlins hebräischsprachige Rundfunksendung mit meiner Reise nach Speyer? "Sapir", mein heutiger Nachname, war die Wahl meines seligen Vaters, als er den Familiennamen "Speyer" hebräisiert hat. "Sapir" bedeutet auf Hebräisch Saphir.

Dienstag, 30. Oktober 2007

Tagung in Ffm. zum Wandel in den jüdischen Gemeinden

In meinem elektronischen Briefkasten ist vor kurzem (a Dank, Mirjam!) ein wichtiger Hinweis eingetroffen:

Eine neue jüdische Gemeinschaft?
Die Einwanderung russischsprachiger Juden
und der Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland

Tagung

Donnerstag, 13. und Freitag, 14. Dezember 2007
Johann Wolfgang Goethe-Universität – Campus Westend
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main

Aus der Website von H-Soz-u-Kult:

Die Migration russischsprachiger Juden nach Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre hat zu großen Veränderungen in der hiesigen jüdischen Gemeinschaft geführt, die sich auch und gerade in den jüdischen Gemeinden niederschlagen. Im zweiten Jahrzehnt der Einwanderung ist die anfängliche Euphorie einer wechselseitigen Ernüchterung gewichen. Während mancherorts Distanz und Resignation zwischen „Alteingesessenen“ und „neu Zugewanderten“ überwiegen, lassen sich bisweilen auch neue Formen des Miteinanders beobachten.

Wie kann der Wandel in den jüdischen Gemeinden angemessen beschrieben werden? Welche Probleme und Konflikte, aber auch Chancen und Perspektiven verbinden sich mit der Einwanderung russischsprachiger Juden? Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Begriff der Integration zu? Und: Welche Folgen haben diese Veränderungen für das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland?

Diesen und weiteren Fragen soll im Rahmen einer interdisziplinären Fachtagung nachgegangen werden. Dabei gilt es, aus soziologischer, historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive die verschiedenen Erwartungshaltungen, kollektiven Narrative und Identitätsmuster auszuloten, die den spannungsreichen Aushandlungsprozessen innerhalb der jüdischen Minderheit in Deutschland gegenwärtig zugrunde liegen.

Weitere Infos bei H-Soz-u-Kult und am Fritz-Bauer-Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust (PDF-Datei).

Und nicht zuletzt: "Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei."

Montag, 29. Oktober 2007

Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

[...]

Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.


- aus dem geltenden Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Art. 3, Abs. 3, Satz 1 bzw. Art. 33, Abs. 3, Satz 2; meine Hervorhebungen). Pflichtlektüre für jeden, der hierzulande lebt! Am besten als Lesestoff im Bett vor dem Einschlafen: Ich zumindest finde das Grundgesetz sehr beruhigend...

Heißt es nun, dass es keine Grenzen gibt bzw. geben kann, dass alles erlaubt ist? Nein: Es gibt sehr klare Grenzen, nur werden sie in einer demokratischen Gesellschaft durch die öffentliche Politik gesetzt und geregelt, auf keinen Fall also durch Privatpersonen bei deren Begegnungen mit anderen.

Und wieso bin ich jetzt plötzlich darauf gekommen? Weil Juebe, die Betreiberin des Jüdischen Berlin, davon berichtet, wie der Geschäftsführer des Dresdner Holiday-Inn-Hotels "die Buchung von zwei NPD-Abgeordneten storniert" hat (vgl. hier, hier sowie in der taz vom 19.10.2007). Juebe führt den Brieftext an, den der Geschäftsführer an die beiden Abgeordneten sowie an die Presse geschickt hat. Unter anderem steht dort: "Da Sie in unserem Hause nicht willkommen sind und ich es auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten kann, Sie zu begrüßen und zu bedienen [sic!], haben wir hotel.de gebeten, die Buchung zu stornieren." Die mit öffentlichen Beleidigungen versehene Zurückweisung erfolgte mithin ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit der beiden Personen zu einer in Deutschland (noch) gesetzlich anerkannten und zugelassenen Partei!

Die Absicht des Geschäftsführers ist klar und tatsächlich als positiv zu beurteilen. Doch seine Methode weist auf Mangel an demokratischer Grundeinstellung hin: Wenn ihn die NPD so sehr stört - und das soll sie ja auch -, kann er sich politisch engagieren, um die Partei und ihr Gedankengut als solche zu bekämpfen. Nicht akzeptabel ist hingegen die Ausdehnung der politisch-ideologischen Front in den zwischenmenschlich-geschäftlichen Bereich und somit auch ins Privatleben der Betroffenen hinein.

In dieser Situation, wo man gute Absichten mit sehr schädlichen Methoden zu verwirklichen sucht, erblicke ich eine große Gefährdung der liberalen Demokratie: Heute will der besagte Hotelier keine NPD-Abgeordnete - d.h. Volks- bzw. Bürgervertreter! - unterbringen; morgen möchte ein Passauer Gastronom keine Linkspartei-Mitglieder mehr bewirten. Und übermorgen?

Laut dem Text, den Juebe auf Ihrer Webseite veröffentlich hat, hat der Geschäftsführer in seinen öffentlichen Hetzbrief nur einen einzigen Vorbehalt eingefügt (meine Hervorhebung):

Sollte dies aus vertraglichen Gründen nicht möglich sein, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich sämtliche in unserem Hause durch Sie getätigten Umsätze unmittelbar als Spende an die Dresdner Synagoge weiterleiten werde.


Der Hinweis auf die dortige Synagoge ist zwar nett, hat aber mit unserer Sache nichts zu tun. Weit wichtiger ist die Formulierung: "aus vertraglichen Gründen" - denn, wie Juebe erklärt, "[a]llerdings war nicht von Anfang an klar, ob das Hotel die Stornierung juristisch durchziehen kann, denn die Buchung war über einen Internetservice erfolgt." Auf gut Deutsch heißt es: Der Geschäftsführer hat auf den öffentlich-rechtlichen Aspekt seines Briefes gar nicht Bezug genommen, d.h. seinen verfassungswidrigen Äußerungen gar keinen öffentlich-rechtlichen Vorbehalt beigefügt.

Meiner Laienmeinung nach hat sich dieser Geschäftsführer mit seinem Hetzbrief, der einen groben Verstoß gegen das geltende Grundgesetz bildet, strafbar gemacht.

Nachtrag [29.10.2007]: Im Nachhinein ist es mir eingefallen, dass das Hotel in seinem Handeln als juristische Person (d.h. juristisch betrachtet) wohl gar nicht so weitgehend dem Grundgesetz unterliegt, wie es der Staat tun muss. Dazu sagt man auf Jüdisch: Es mag vielleicht koscher sein, aber stinken tut es sicher (übrigens rührt die Redewendung is-koscher-ober-farschtunken von einem - wohl hypothetischen - halachischen Rechtsfall her; vielleicht komme ich iregendwann noch dazu).

II. Nachtrag [30.10.2007]: Wie mir über die unten stehenden Kommentare erklärt wurde (und wie ich im ersten Nachtrag vermutet habe), treffen meine juristischen Argumente auf diesen Fall eigentlich kaum zu. Also muss ich die Botschaft dieses Beitrages auf die zwar höhere, aber subjektive moralische Ebene verlegen; sei es hiermit getan.

III. Nachtrag [17.12.2007]: Wichtige Hinweise zum Thema findet ihr in diesem anknüpfenden Beitrag.

Sonntag, 28. Oktober 2007

Sendehinweis (oder: mich gibt's jetzt auch im Fernsehen)

Save the date: An diesem Mittwoch, den 31. Oktober 2007 (also in drei Tagen!), um 18:30 Uhr läuft auf arte ein weiteres Kapitel in der Reihe "Gesichter Europas", diesmal aber auch mit meinem Gesicht!

Es handelt sich hierbei vornehmlich um das jüdische Wien, das mein Freund Walter Weihrauch - in der Rolle des Alteingesessenen - mir, dem ausländischen Juden, vor der Kamera zeigt und über das wir dann beide diskutieren. Auf der Wiener Mazzesinsel (2. Bezirk), vor allem im Dreieck Taborstraße-Karmelitermarkt-Donaukanal, gibt es nämlich - im Gegensatz etwa zu Berlin - schon wieder ein richtiges Judenviertel, ein selbsterwünschtes Ghetto. Dort halten sich die besten Stiblech versteckt (vergesst den sog. Stadttempel in der Seitenstettengasse!), dort trifft man sich, dort isst man beisammen, dort findet man halt alles, was Leib und Seel' bedürfen, ach: dort will ich wieder hin!

Insgesamt war ich zwei Monate in Wien - von Anfang Juli bis Anfang September. Danach bin ich nach Berlin, in eine völlig andere Umwelt umgezogen. Vielleicht schreibe ich mal über meine Wiener Erfahrungen: Insbesondere als Historiker war für mich die Stadt von großem Interesse. Einige meiner Notizen aus der damaligen Zeit habe ich bereits im Web veröffentlicht und zwar unter dem Titel: Deutschösterreich? Eine kritische Diskussion über das nationale Selbstverständnis des heutigen Österreich. Sie werden aber wohl kaum bis gar nicht gelesen, weshalb ich seit längerem nicht mehr daran arbeite.


Im Prückel

Das restliche Wien kommt zwischendurch aber auch noch vor: Walter (li.) und ich (re.) im Prückel am Stubenring. Echt guter Topfenstrudel! (© ZDF / Klaus Balzer)



Weiteres findet ihr natürlich auf der diesbezüglichen arte-Seite.

Ofiederschoan!

Nachtrag [29.10.2007]: Auf meinem (im obigen Foto abgebildeten) Laptop habe ich noch das folgende Foto finden können, das ich inmitten der Dreharbeiten gemacht habe:



Es gucken in die Kamera (v. l. n. r.): Klaus Balzer (Regie), Hardo Moritz (Ton) und Andreas Stonawski (Kamera) - alle übrigens aus Hamburg

Kurze Anmerkung zum letzten Wochenabschnitt

In der Parscha der vorhin ausgegangenen Woche wird davon erzählt, wie Abraham Gottes Befehl befolgte und seinen Sohn Isaak ans Altar band, um ihn gleich als Opfer zu schlachten. Die positiven, Abrahams Verhalten verherrlichenden Lesarten sind sehr bekannt und brauchen hier daher nicht wiederholt zu werden. Mich dünkt jedoch, dass Abraham bei diesem Versuch weitestgehend scheiterte. Gott erwartete von ihm die gewissenhafte Souveränität eines wahrhaft freien Menschen; er wollte, dass Abraham sich als gläubig genug erweisen würde, um notfalls auch Nein sagen zu können, und zwar ohne dabei Angst zu haben, dass dies den Glauben erschüttern könnte. Denn selbst der kleinste Soldat muss sich stets gut überlegen, ob der Befehl des größten, obersten und wichtigsten Kommandeurs überhaupt durchgeführt werden darf: Das ist die moralische Grundlage jeder hierarchisch strukturierten Beziehung. Abrahams Glaube war aber noch längst nicht ausgereift, um sich Gott gegenüber angemessen verhalten zu können. Daher musste sich Gott (durch den himmlischen Boten) einmischen und Abraham selbst daran hindern, den eigenen Sohn zu schlachten. Bis zum allerletzten Augenblick wartete Gott und hoffte darauf, dass sich Abrahams Glaubensrückgrat bekundet. Wie sehr muss er alsdann enttäuscht gewesen sein.

Freitag, 26. Oktober 2007

Ein Geschenk an die Leser der Webring-Blogs

Für die zahlreichen Leser der Webring-Blogs habe ich einen "Superfeed" zubereitet, mit dem man sich schnell und bequem einen Überblick über die gegenwärtige Lage der jüdischen Blogszene in Deutschland verschaffen kann.

Im Superfeed bekommt man immer den letzten Beitrag von jedem Webring-Blog vorgelegt und zwar in chronologischer Reihenfolge (je neuer der Beitrag ist, umso höher steht er im Superfeed). Zudem steht vor jedem Beitragstitel der jeweilige Blogtitel bzw. Autorname (je nachdem, wie man sich für den Webring angemeldet hat).

Der Superfeed steht auf dreierlei Weise zur Verfügung:


Fragen, Beschwerden und sonstiges Feedback könnt ihr gerne an meine E-Mail-Adresse richten.

Viel Vergnügen und eine angenehme Lektüre wünscht euch
Euer Yoav

Willkommen an Bord

Heute darf ich im Webring einen weiteren Blogger willkommen heißen. Er heißt Juval Porat und ist ein angehender Kantor am Abraham-Geiger-Kolleg. Seinen Blog findet ihr unter:

http://www.juval-online.de/blog

a gutn Schabbes
Euer Yoav

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Übung im Rechtsverständnis

Liebe Leser,

zunächst eine Vorstellung des gegenwärtigen Sachverhaltes:

1. Am 28. Juni 1967 wurde das so genannte "Ostjerusalem" an Israel angeschlossen: ein ca. 70 qkm großes Gebiet, das bis dahin 19 Jahre lang von der Haschemitischen Monarchie in Transjordanien bzw. Ostpalästina gesetzeswidrig besetzt war. Seitdem liegt dieses Gebiet innerhalb der Staatsgrenzen Israels, insbesondere aber gänzlich innerhalb der Verwaltungsgrenzen der Stadt Jerusalem.

2. Das israelische Grundgesetz (!) bzw. das "Grundgesetz zu Jerusalem, der Hauptstadt Israels" legt in Bezug auf Jerusalem Folgendes fest (meine Übersetzung):

§1 Das ganze wiedervereinigte Jerusalem ist die Hauptstadt Israels.

[...]

§5 Das Stadtgebiet Jerusalems umschließt in Zusammenhang mit diesem Gesetz u. a. das ganze Gebiet, das im Zusatz zur Deklaration über die Erweiterung des Jerusalemer Stadtgebietes vom 28. Juni 1967 beschrieben wird [...]

§6 Es darf keine Macht, die sich auf das Stadtgebiet Jerusalems bezieht und rechtmäßig beim Staat Israel oder dem Stadtrat Jerusalems liegt, an ein fremdes Staats-, Regierungs- oder ein in ähnlicher Weise fremdes Wesen/Organ, ob endgültig oder zeitweilig, abgegeben werden.


3. Das israelische Strafgesetzbuch legt in §97b unter dem Titel "Landesverrat" Folgendes fest (nochmals meine Übersetzung):

Wer mit der Absicht, dass irgendein Stück Land der Souveränität des Staates entzogen würde oder unter die Souveränität eines anderen Staates käme, eine Tat begangen hat, die zum Vorgenannten hätte führen können, wird mit dem Tode oder lebenslänglichem Freiheitsentzug bestraft.


Und in §100 (meine Hervorhebung):

Wer eine Tat begangen hat, aus der es sich auf eine der in §97, §98 oder §99 beschriebenen Absichten schließen lässt, wird mit zehnjährigem Freiheitsentzug bestraft.


4. Laut zahlreichen Medien im In- und Ausland (etwa dem Spiegel) hat der israelische Ministerpräsident, Ehud Olmert, vor, bei der für Ende November 2007 geplanten Gipfelkonferenz in Annapolis, Maryland über die Hoheit im so genannten "Ostjerusalem", d.h. in der Hauptstadt Israels (!) zu verhandeln.

5. Leider kann man nicht mehr erwarten, dass sich das israelische Rechtswesen in dieser Sache um Gerechtigkeit bemüht. Seit Beginn der zweiten Amtszeit Jizchak Rabins (1992), die ebenfalls von derartigen Rechtsbrüchen begleitet war, hat der oberste Gerichtshof - insbesondere in politischen Sachen - immer wieder Unrecht gesprochen.

Und die Gretchenfrage lautet:

Was soll der gewissenhafte Bürger tun, der einerseits kein Mitläufer sein und sich nicht mehr entmündigen lassen will, andererseits aber selbst von einem korrupten Rechtswesen verraten wird? Wie kann sich ein Normalbürger diesem moralischen Verfall und rechtlichen Zusammenbruch nachhaltig entgegensetzen?

P.S.
Es ist nicht auszuschließen, dass mich dieser rein deskriptive Beitrag wohl schon an und für sich in die berüchtigten Keller des geheimen Sicherheitsdienstes auf dem so genannten "Russenhof" in Jerusalem bringen könnte, wenn ich jetzt in Israel wäre und auf Hebräisch schriebe... Denkt hier eigentlich noch jemand an Rechtsstaatlichkeit? Ich zumindest nicht mehr.

Donnerstag, 18. Oktober 2007

Pseudorecht und die israelische Scheindemokratie

[T]he Israeli court [...] may well be the branch most dangerous to the political rights of the nation.

Seit langem überlege ich mir gelegentlich, wie sich am besten erklären lässt, was mit der israelischen Demokratie in den letzten 15 Jahren geschehen ist. Nun bin ich über einen Artikel gestolpert, dem das obige Zitat entnommen ist und der die Sache richtig und m. E. auch ziemlich gut verständlich darlegt. Der Artikel ist im Winter 2007 in Azure, der englischen Ausgabe der hebräischen Tcheleth erschienen, einer hochangesehenen, jüdisch-israelischen Vierteljahresschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft und alles andere, was sich auf die Zukunft Israels und dessen Staates auswirkt:

http://www.azure.org.il/magazine/magazine.asp?id=349

Geschrieben ist der Artikel - im Grunde genommen eine Buchrezension - von Robert H. Bork, "a professor at the Ave Maria School of Law in Ann Arbor, Michigan, and a Distinguished Fellow at the Hudson Institute in Washington, D.C."

In den USA muss man, wenn ich mich nicht irre, selbst für das Richteramt in den unteren Instanzen im jeweiligen Bezirk bzw. Wahlkreis kandidieren. Dadurch wird demokratisch gewährleistet, dass die Richter bei ihrer subjektiven Interpretation des geschriebenen Gesetzes die Werte und Weltauffassung der Bevölkerung zur Geltung bringen, über deren Alltag sie zu entscheiden haben. Dies gilt natürlich umso mehr für die höheren Instanzen und insbesondere bei verfassungsrechtlichen Fragen, die schließlich nur durch Umsetzung der subjektiven Wertvorstellungen des jeweiligen Richters beantwortet werden können.

In Deutschland wird die Sache wahrscheinlich ungefähr so geregelt wie in Israel, d.h. auf eine demokratiegefährdende Art und Weise [vgl. Kommentare von medbrain]. Ich habe hier nämlich noch keine Wahlplakate gesehen, wo sich qualifizierte Juristen für das Richteramt zur Wahl stellen. Weiß jemand, wie etwa die Richter ins deutsche Bundesverfassungsgericht gewählt werden? Geschieht das durch die demokratische Volksvertretung (Bundestag)? Werden sie, d.h. ihre jeweilige Biographie und Weltanschauung, im Vorfeld öffentlich geprüft?

Nachtrag [19.10.2007]:

Ebenfalls empfehlenswert ist Richard A. Posners Kritik an Aharon Barak und dessen Buch, die er - gewissermaßen im Anschluss an Borks Rezension - in The New Republic vom 23.04.2007 veröffentlicht hat und zwar unter dem Titel "Enlightened Despot":

http://www.tnr.com/doc.mhtml?pt=6s%2BxHps2IOThe8RrLmtgM2%3D%3D
(einfache, kostenlose Anmeldung ist erforderlich)

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Erzwungene "Blogferien"

Liebe Leser,

in meinem Köpfl haben sich schon mehrere Themen angehäuft, die ich hier gerne aufgriffe: Eva Herman und die zu hinterfragende Rolle des Zentralrates bei ihrer Verfolgung, das Jizchak-Rabin-Gedenkkonzert der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und ob sich so etwas ausgerechnet bei einer historisch wie aktuell so sehr umstrittenen Person gehört, das jüdische Schmita-Jahr und seine Bedeutung für das 21. Jahrhundert und und und...

Doch für all das habe ich jetzt leider keine Zeit.

Ansonsten fängt in zwei Tagen, nämlich am jüdischen Freitag bzw. dem christlichen Donnerstagabend, jedenfalls aber am 7. Marcheschwan der "jüdische" Winter offiziell an. Also wünsche ich euch bereits im Vorhinein einen guten und gesunden Winter!

Euer Yoav

Sonntag, 7. Oktober 2007

Erste Eindrücke

Die Heidelberger Gemeinde ist zwar klein bis winzig, aber sehr gemütlich; vom Ritus her (noch) verzeihlich daitsch, also nicht besonders frejlech, wofür es hier wohl kaum genug Leute gibt. Diese sind aber nett und freundlich, was ja am wichtigsten ist.

Die Stadt hingegen wirkt etwas unheimlich. Das habe ich bei meinen drei vorherigen Besuchen allerdings nicht mitbekommen. Bekanntermaßen gibt es hier überdurchschnittlich viele Ausländer, welche größtenteils zudem ständig verschwinden und durch immer neue ersetzt werden. Anscheinend ruft dies alles bei den Einheimischen eine wohl verständliche, aber immerhin gewisse Entfremdung hervor.

Und apropos unheimlich. Die Anti-Defamation League berichtet in ihrem letzten Rundbrief (vom 2. Oktober, Hervorhebung im Original):


[...] You made a difference. Your voice was heard! You helped stop the academic boycott of Israel.

On September 28, 2007 the British University and College Teachers Union (UCU) announced that based on legal advice, the union had determined that an academic boycott of Israel "would be unlawful and cannot be implemented" and thus it will not act on its May 30, 2007 resolution.


"Legal advice"? "Unlawful"? Und wie wäre es mit "unmoralisch"? Gott helfe den britischen Dozenten (weil wir Juden uns mit Wichtigerem zu befassen haben), wenn sie sich tatsächlich nur von Rechts wegen heraushelfen konnten. Nicht weit entfernt liegt ein anderes Land, dessen Geschichte sehr deutlich bekundet, was sich mit dem Recht anfangen lässt, sobald man mit der Moral aufgehört hat.

Dienstag, 2. Oktober 2007

Schöne Grüße vom Tel-Aviver Flughafen







Live-Blogging...

P.S.
Wussten Sie schon, dass man in Berlin-Schönefeld für den Internetgebrauch zahlen muss? Genau so wie in Warschau...

Samstag, 29. September 2007

Sukkos

a gute Woch,

wer sich zu Sukkos in noch keine Synagoge gewagt hat, dürfte sich für den folgenden Videobeitrag interessieren (aufgenommen bei Chol HaMoed 5767 in Alon Shvut, Israel):



Und apropos korrekte Wünsche: Bei Chol HaMoed (entweder dem von Sukkos oder dem von Pessach) wünscht man kein "Chag sameach" (frohes Fest) bzw. "gut Jontef" (auf Jiddisch), weil es dann im juristisch-halachischen Sinne kein richtiges Fest gibt. Stattdessen begnügt man sich mit "Moadim l'Simcha" (Versammlungstage für Freude), worauf man mit "Chagim uSmanim l'Sasson" (Feste und Zeiten für Fröhlichkeit) antwortet. Diese Formel ist dem besonderen Fest-Kiddusch entnommen: "[...] Du hast uns, Ewiger, unser Gott, mit Liebe Versammlungstage für Freude, Feste und Zeiten für Fröhlichkeit [...] gegeben."

Montag, 24. September 2007

Amerika, die Juden und der Judenstaat

Nach dem heiklen Artikel vom März 2006 ziehen jetzt John Mearsheimer and Stephen Walt mit ihrem eben erschienenen Buch The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy schon wieder viel Aufmerksamkeit auf sich. Die beiden behaupten, dass jüdische Organisationen, aber auch einzelne Juden in den USA die US-amerikanische Außenpolitik allzu stark zugunsten Israels beeinflussen würden, und zwar gegen das angeblich wahre Interesse der USA, die deshalb ins Visier islamischer Militanter geraten seien.

Dazu kann man viel sagen, doch bei der jetzigen Medienresonanz fehlt mir vor allem Folgendes:

1. Die treusten Freunde Israels in den USA sind nicht unbedingt die Juden, sondern vielmehr die zig Millionen ganz gewöhnliche, evangelisch-gläubige Amerikaner, die sich jenseits des verzerrten Amerikabildes befinden, das uns Hollywood gerne verkaufen möchte. Gerade bei den amerikanischen Juden kommt es oft dazu, dass sie sich (aus Angst vor möglicher Kritik?) linksextreme Meinungen zu Eigen machen.

2. Die US-amerikanische Politik lässt sich sowohl in der Gegenwart als auch in der historischen Bilanz kaum als israelfreundlich bezeichnen. Die USA haben z. B. keine Botschaft in Jerusalem, befürworten noch immer Verhandlungen mit der mörderischen Terrormiliz "Fatah" und halten Jonathan Pollard seit mehr als 22 Jahren gefangen. Nur im Vergleich mit der schlichtweg israelfeindlichen EU wirkt Amerika plötzlich "israelfreundlich". In der Tat nutzen die USA Israel aber nur aus, gleichsam einen Bauer auf dem großen Spielbrett der US-amerikanischen Weltpolitik, je nach ihrem jeweiligen Interesse.

3. Israel spielt zwar eine entscheidende Rolle bei der Erweckung des gegenwärtigen Terrorismus, aber nicht gerade deswegen, weil der eher begrenzte Kampf zwischen Israel und manchen Arabern zum Amerikahass unter gläubigen Muslimen sowie nichtgläubigen Arabern beigetragen hat. Israels "Leistung" besteht vor allem darin, dass es den islamischen Terror fast eigenhändig legitimierte und zum nachweislich erfolgreichen Kampfmittel werden ließ. Jitzchak Rabins Händedruck mit Jassir Arafat am 13. September 1993, mit dem dem Terror vor aller Welt Recht gegeben wurde, und den vierfachen Terrorangriff am 11. September 2001, mit dem das neue Rechtsgefühl auch außerhalb Israels zur Geltung kam, verbindet eine klare Linie des moralischen Verfalls: "Wir haben mit dem Tod einen Bund geschlossen und mit der Unterwelt einen Vertrag gemacht" (Jesaja 28:15).

Der allerwichtigste Punkt bei dieser Diskussion ist aber Folgendes:

Selbst wenn die USA wirklich israelfreundlich handelten und nur deswegen von Muslimen gehasst und angegriffen würden, gölte nichts anderes als: Idealismus kostet - nach wie vor! Ist aber die US-amerikanische Gesellschaft grundsätzlich bereit, um Werte und Moral zu kämpfen? Oder sucht sie jetzt nur noch den gemütlichen Ruhestand?

Das ist die eigentliche Frage, die gerade in Bezug auf Israel leider nirgendwo gestellt wird.

Nachtrag [25.09.2007]: Veröffentlicht auch im Zeitgeist und zwar hier.

Mittwoch, 19. September 2007

Korrekte Neujahrswünsche

Endlich habe ich etwas Zeit gefunden, um mein Versprechen vom letzten Beitrag einzuhalten, nämlich zu erklären, was man sich zu den verschiedenen Zeiten im Laufe des Monats Tischrej wünscht. Der Haken daran ist, dass die Wunschausdrücke teilweise sehr eng mit der theologischen Interpretation des jeweiligen Zeitpunktes zusammenhängen. Das heißt also, dass der korrekte Wunsch sich "plötzlich" ändern kann. Daher wird im Folgenden versucht, die Sache chronologisch zu ordnen.

Gregorianische Daten kann ich keine nennen, da der gregorianische Kalender sich stets "bewegt". Im Netz gibt es aber glücklicherweise einen Doppelkalender: www.kaluach.net (einfache, kostenlose Anmeldung ist erforderlich)


1. Einleitung: Was geschieht eigentlich am Neujahr?

Der religiöse Inhalt des Neujahrsfestes besteht vornehmlich im Neujahrsgericht, bei dem das Geschick aller Menschen fürs eben angefangene Jahr festgelegt wird. Davon erzählt der babylonische Talmud (Rosch Haschone 16:2) im Namen von Rabbi Jochanan:

Drei Bücher werden am Neujahr geöffnet: Eines für die durchaus Bösen, eines für die vollkommen Gerechten und eines für die Mittelmäßigen. Vollkommen Gerechte werden gleich fürs Leben [d.h. ins "Buch der Lebenden"] eingeschrieben und besiegelt. Durchaus Böse werden gleich für den Tod [d.h. ins "Buch der Toten"] eingeschrieben und besiegelt. Mittelmäßige bleiben vor Gericht vom Neujahr bis zum Versöhnungstage [am 10. Tishrej] stehen: Sind sie freigesprochen worden, so werden sie fürs Leben eingeschrieben; sind sie nicht freigesprochen worden, so werden sie für den Tod eingeschrieben.


Ferner kommen im "Unser Vater, unser König"-Gebet, das vom Neujahr bis zum Versöhnungstage in der Synagoge aufgesagt wird, das "Buch des guten Lebens", das "Buch der Erlösung und Rettung", das "Buch von Unterhalt und Versorgung", das "Buch der Verdienste" sowie das "Buch von Vergebung und Verzeihung" vor. In einem festlichen Zusatz zum normalen Achtzehn- bzw. Standgebet wird zu dieser Zeit auch das "Buch von Leben, Segen und Frieden, gutem Unterhalt und guten Urteilen, Rettungen und Tröstungen" erwähnt.


2. Ab wann wird gewünscht?

Der sechste Monat, d.h. der Monat vor dem Neujahr, heißt "Elul". In diesem Monat wird wochentags (d.h. täglich außer samstags) nach Schachris, dem Morgengebet, das Schofar geblasen. Auf diese Weise wird an das baldige Neujahrsgericht gemahnt. Ab dem ersten Elul steht also das Neujahr "amtlich" bevor. Wenn man im Elul einem Menschen begegnet, den man bis zum Neujahr wohl nicht mehr sehen wird, kann und soll man ein gutes Jahr etc. wünschen - wie im Folgenden erklärt.

Nebenbei bemerkt: Auf Jiddisch dient "gut Jor" auch zu sonstigen Zeiten als Grussformel, und zwar im Sinne von "hallo"+"lange nicht gesehen".


3. Vom 1. Elul bis zum Mittag des ersten Neujahrstages

Obwohl im 3. Mose 23:24 nur von einem Tag die Rede ist ("im siebten Monat, am ersten Tag des Monats"), dauert das jüdische Neujahrfest zwei Tage, d.h. bis zum 2. Tischrej. Dies gilt selbst im Lande Israels, wo sonst kein Fest verdoppelt wird. Auf die Entstehungsgeschichte dieser Ausnahme möchte ich jetzt nicht eingehen, aber man soll sich zumindest merken, dass von diesen beiden Tagen nur der erste das eigentliche Neujahr ist.

Zu dieser Zeit wünscht man sich "Schana towa", d.h. ein gutes Jahr, sowie "Ktiwa towa waChatima towa", d.h. gute Einschreibung und gute Besiegelung. Beim Schreiben hebt sich der Sprachgebrauch: "Möget ihr für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt werden". Und früher schrieb man: "Möget ihr ins Buch der Lebenden eingeschrieben und besiegelt werden".

Diese Wünsche beziehen sich auf das vorerwähnte Neujahrsgericht. Sie gelten als richtig bis zum Mittag des 1. Tischrej, an dem alle Menschen bereits in das für sie geeignete Buch eingeschrieben worden sind.


4. Vom Mittag des erten Neujahrstages bis zum Vorabend des Versöhnungstages

Vollkommen Gerechte und durchaus Böse sind am ersten Neujahrstage für ihr jeweiliges Geschick im neuen Jahr gleich besiegelt worden. Nicht beschlossen ist noch jenes der Mittelmäßigen - und das sind ja die meisten. Diese können bis zum Versöhnungstage ihr Urteil noch ändern, indem sie sich von ihren Missetaten bekehren. Daher wünscht man zu dieser Zeit noch "Chatima towa", also gute Besiegelung (aber keine "Ktiwa towa" bzw. gute Einschreibung mehr).


5. Am Vorabend des und am Versöhnungstage selbst

Am 10. Tischrej, dem Versöhnungstag, und zwar bei dessen Abenddämmerung, wird auch das Schicksal aller Mittelmäßigen endgültig beschlossen. Zu dieser Zeit wünscht man "Gmar Chatima towa", d.h. gute Endbesiegelung. Zuletzt habe ich bemerkt, dass viele bereits gleich nach dem Neujahrsfest damit anfangen, "Gmar Chatima towa" zu wünschen; das ist aber falsch (wie in Punkt 4 erklärt).

Nebenbei bemerkt: In dieser Formel gibt es einen kleinen grammatischen Fehler, denn "Gmar" ist maskulin und daher sollte es lauten "Gmar Chatima tow" (und nicht "towa"). Aber das macht nichts aus, da wir hier mit einer festen Redewendung zu tun haben.

Nachtrag [23.09.2007]: In israelischen Medien verbreitet sich seit geraumer Zeit der Wunsch "Zom kal" bzw. "leichtes Fasten". Dieser scheint in Widerspruch zum Gebot zu stehen, sich an diesem Tage [durch Enthaltung] zu quälen (vgl. 3. Mose 16:29, 16:31, 23:27, 23:29, 23:32; 4. Mose 29:7). Manche Denker haben aber gesagt, dass mit dem "Quälen" ausschließlich die Enthaltung gemeint ist; und wem das Fasten gut und leicht ergangen ist, der soll sich freuen, weil es demnach ein gutes Vorzeichen sein darf. Ohnehin scheint es mir besser und angebrachter, ein wirksames, verbesserndes Fasten zu wünschen. [Nachtragsende]


6. Vom 11. Tischrej bis zum letzten Sukkoth-Tag

Etwas umstritten ist die aschkenasische Tradition, nach der das Geschick erst an Hoschana Raba, dem letzten Laubhüttenfesttag bzw. den 21. Tischrej, wirklich endgültig besiegelt wird. Diese Auffassung wird von den Opfern abgeleitet, die am 22. Tischrej darzubringen sind, aber darauf wollen wir jetzt nicht eingehen.

Zu dieser Zeit und insbesondere an Hoschana Raba selbst wünscht mancher "Pikta tawa" (auf Aramäisch) oder "gut Quittl" (auf Jiddisch), d.h. einen guten Zettel. Gemeint ist der persönliche Zettel von jedem und jeder, auf dem das heurige Urteil steht und den Gott an diesem Tage seinen Gesandten gibt, damit sie es denjenigen im göttlichen Verwaltungsapparat weitergeben, die das Urteil umzusetzen haben. Nach jüdischer Mystik könne man bis zu diesem Tage und sogar an diesem Tage selbst durch Reue und Umkehr das Urteil auf seinem Zettel noch versüßen. Auch der Brauch, sich in der Nacht von Hoschana Raba mit der Thorah zu befassen, haben jüdische Mystiker mit dieser Quittl-Tradition in Verbindung gebracht (er geht aber wohl darauf zurück, dass diejenigen, welche die 5. Bücher Mose noch nicht durchgelesen haben, dies noch vor Simchat Thorah nachholen wollen). Weil die Quittl-Tradition sehr eng mit jüdischer Mystik zusammenhängt, erfreut sie sich in chassidischen Kreisen größerer Verbreitung als anderwärts.


So, damit ist die Sache hoffentlich etwas verständlicher geworden...

Chatima towa,
Gute Besiegelung!

Mittwoch, 12. September 2007

a gut gebentscht Jor!

Liebe Menschen,

heute Abend (nach eurer Zeitrechnung) bzw. morgen (nach der unsrigen) fängt ein neues Jahr an - 5768. Auf Hebräisch heißt das zweitägige Fest "Rosch HaSchone" oder - in sefardischer Aussprache - "Rosch HaSchana". Im Gegensatz zu den meisten jüdischen Festen, deren Bedeutung eng mit Israel zusammenhängt, ist das allgemeine Neujahr auch euer Fest!

Eine weitere, wenn auch kleine Ausnahme bildet die endzeitliche Zukunft von Sukkuth, dem Laubhüttenfest, wenn alle Menschen jährlich nach Jerusalem reisen und bei uns zu Gast sein sollen (vgl. Secharja Kap. 14). Anders ist es beim allgemeinen Neujahr, das von universeller Bedeutung ist und genauso für euch gilt wie für uns.

Im Judentum gibt es nämlich in jedem beliebigen Kreislauf von 12 Monaten mehrere Neujahre - genau gesagt sind es vier. So kommt es dazu, dass das allgemeine, mit der Schöpfung des Menschen zusammenhängende Neujahr im Monat Tischrej stattfindet, der nach jüdischer Tradition eigentlich der siebte ist. Demgegenüber fängt das biblische, sozusagen innerjüdische Jahr im Monat Nissan statt, in dem Gott Israel von dessen Knechtschaft in Ägypten erlöst hat. Mit diesem Ereignis hängt das wichtige Pessachopfer zusammen, von dem jeder Israelit essen muss und kein Nichtjude, Unbeschnittener (sowie andere, vgl. 2. Mose 12:43-50) verzehren darf. Aber beim allgemeinen Neujahr sind wir alle gleich, denn es wird dann über das Schicksal aller Menschen entschieden - Juden und Nichtjuden zugleich.

In der Zeit vorm sowie beim Neujahr selbst ist es üblich, sich "Ktiwa towa waChatima towa" zu wünschen (vgl. etwa meinen Beitrag vom 2. Sept.); auf Deutsch heißt es: "Gute Einschreibung und gute Besiegelung". Wenn man sich anschreibt, neigt sich der Sprachgebrauch zu heben: "Möget ihr für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt werden". In der nachstehenden Grusskarte findet ihr eine etwas ältere Formel, die sich besser auf den eigentlichen Inhalt dieser Zeit bezieht: "Möget ihr ins Buch der Lebenden eingeschrieben und besiegelt werden":


Gut Jor!


Die übliche Übersetzung ins Deutsche - "Buch des Lebens" - ist übrigens sprachlich falsch, vom Inhalt her aber natürlich in Ordnung.

Für die Zeit nach dem Neujahr und bis zum bevorstehenden Versöhnungstag sowie beim Versöhnungstag selbst und sogar danach gibt es verschiedene Grussformeln, die sehr eng mit der theologischen Interpretation dieser Zeit zusammenhängen und die ich, so Gott will, nach dem Neujahrfest noch erklären werde.

Euch möchte ich aber noch etwas wünschen, und zwar ein Jahr voll Wein. Wein: Das ist ja nicht nur das Getränk, sondern auch die Pflanze, die auf Hebräisch "Gofen" oder - in sefardischer Aussprache - "Gefen" heißt. Ehe wir vom Wein trinken, sagen wir (natürlich auf Hebräisch): "Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du die Frucht des Weins (d.h. die Weintrauben) geschaffen hast." Die Frucht des Weins, das heißt auf Hebräisch: "Pri HaGefen". In dem hebräischen Wort HaGefen - הגפן - gibt es vier Buchstaben, die auf Jiddisch folgendermaßen gedeutet werden:

H: Hazloche - Erfolg
G: Gesunt - Gesundheit
F = Ph = P: Parnosse - Lebensunterhalt
N: Naches - Zufriedenheit, Freude

Hoffentlich war es verständlich... Und wie gesagt:


Möget ihr haben ein Jahr voll Pri HaGefen, voll der Frucht des Weins!Carmel-Wein






Montag, 10. September 2007

Nachträgliches Abschiedsgeschenk: Der offizielle Falafel-Guide für Berlin

Liebe Leser,

als Zeichen meiner großen Dankbarkeit für alles, was ich in dieser faszinierenden Metropolis erleben durfte, möchte ich Berlin seinen ersten professionellen Falafel-Guide überreichen (1., überarb. u. erw. Ausgabe):


1. Türkisch oder arabisch?

Der eigentliche Grund, weshalb der Oberste Israel ein Land verheißen hat, das gerade zur Zeit der letzten Erlösung von Arabern besetzt wird, ist natürlich die fabelhafte arabische Küche, welche irdische Zutaten in himmlische Erfahrungen zu verwandeln vermag und auf diese Weise ihren eigenen Beitrag zum Tikkun Olam, der Vervollkommnung der Welt in Gottes Reich leistet.

Aber Wie kann man schnell und bequem feststellen, ob es sich um einen türkischen oder arabischen Laden handelt, und zwar selbst dann, wenn alles nur auf (gebrochenes) Deutsch geschrieben steht?

Laut einigen Talmudstellen soll es ganz einfach sein: Wenn im Laden Döner angeboten wird, ist der Laden türkisch; wird jedoch Schawarma angeboten, so ist der Laden arabisch. Uns geht es jetzt zugegebenermaßen nicht um Fleischiges, aber anhand dieser Hinweise können wir uns schnell entschließen, ob wir dem Laden überhaupt eine Chance geben wollen.

Übrigens: Das W in "Schawarma" wird so ausgesprochen wie die Kombination Wh im englischen "Why?".


2. Auf die Soße kommt's an

Die Herkunft der komischen weißen Sesam-Knoblauch-Kräuter-Joghurt-Soße ist mir noch nicht ganz klar: Mancher sagt, die Türken hätten sie nach Deutschland mitgebracht, doch andere behaupten, dass es selbst in der Türkei nicht so schlimm sei und die Soße als türkischer Anpassungsversuch an den deutschen Speck-und-Schmalz-Geschmack entstanden sei. Im Land der Sonne, Anschläge und Palme ist sie jedenfalls völlig unbekannt; daher ist von ihr nur abzuraten.

Statt dessen ist die herkömmliche Sesamsoße zu empfehlen, nämlich die Tchina (Heb.) oder Tachini (Arab.), die in Berlin leider nur selten angeboten wird. Dafür gibt es aber einige nette Verkäufer, die diese Soße gerne auf der Stelle extra vorbereiten, sobald sie den Kunden trotz seiner osteuropäischen Gesichtszüge als ihresgleichen erkannt haben. Andere Verkäufer brauchen a bissl Zeit, bis der Kunde als Stammgast aufgenommen und dementsprechend behandelt wird.

Hat der Kunde jedoch großen Hunger und mithin keine Lust zu warten, bis die Soße vorbereitet wird, so kann er auf etwas anderes zurückgreifen, nämlich den Chumussalat. Bei den Arabern fast verboten, gilt die Zusammenstellung von Falafelkugeln, die eigentlich selbst aus Chumus bestehen, einerseits und Chumussalat andererseits in Israel vielerorts als Standard. Im Übrigen ist beim Schawarmaverzehr der Zusatz von Chumussalat immer empfehlenswert.

Bei der Soßenauswahl bekundet sich schnell, mit was für einer Geschäftsidee der Kunde hier zu tun hat. Hat der Verkäufer daran Spaß, seine Gäste zu ernähern, oder geht es ihm nur ums Geld? Mit anderen Worten: Ist man nur Kunde oder vor allem auch Gast? Leider gibt es in Berlin, selbst unter den Arabern, zahlreiche Verkäufer, die ihre Kundschaft missachten und gegen jede Änderung bei der Soßenauswahl noch €0,50 verlangen. Abgesehen von der Tchina, die manchmal extra vorbereitet werden muss, ist die verdächtige Joghurtsoße für den Ladenbesitzer eigentlich teurer als der Chumussalat. Ein Verkäufer, der für die Änderung extra verlangt, freut sich nicht darüber, dass er endlich einen Sachverständigen vor sich hat, sondern versucht unberechtigterweise nur noch mehr Geld zu gewinnen. Kommt es dazu, so soll sich der Kunde am besten gleich verabschieden; ansonsten schadet er nicht nur seiner eigenen Bewirtungserlebnis, sondern auch der künftiger Kunden.


3. Unser tägliches Brot

Im Gegensatz zur jahrzehntelangen israelischen Tradition wird der Falafel in anderen Ländern des Orients nicht im "Pita"-Brot, das die Araber schlicht und einfach "Brot" nennen, sondern in der Lafa. Die Lafa ist eine dünne Scheibe schnell gebackener Teig, auf die man die Falafelkugeln und alles andere gibt; dann wird die Scheibe - in der Regel sind es zwei - gerollt. Im Vergleich mit der Pita hat die Lafa zwei deutliche Vorteile aufzuweisen: 1. Sie kann weit mehr Zutaten beinhalten; 2. sie lässt sich nicht so schnell auseinander reißen.


Das kontraproduktive, nur bei den Türken übliche Fladenbroteck ist selbstverständlich um jeden Preis zu vermeiden: Je mehr man in dieses Stück viergeteiltes Brot hineingibt, umso mehr fällt einem auf die Erde runter.


4. Heiß begehrt

Zum Schluss muss die Lafa noch aufgewärmt werden, am besten in einem kleinen Toaster, damit sie a bissl knusprig wird. Nicht immer weiß der Verkäufer, dass der Kunde es sich wünscht, also soll man sicherheitshalber im Voraus darum bitten. Mit der Pita oder dem Fladenbroteck ist es natürlich unmöglich, es sei denn, man wärmt bereits im Vorfeld nur das Brot auf - aber dann bleiben alle Beilagen kalt. Nur die gerollte Lafa lässt sich problemlos im Toaster aufwärmen.

In manchen Läden gibt es leider keinen Toaster. Da zieht man des Öfteren die Mikrowelle heran, von der grundsätzlich abzuraten ist, weil sie die Qualität des Teiges herabsetzt.


5. Der Geschmack

...ist natürlich eine Geschmacksache. Doch eines muss klar sein: Die Falafelkugeln dürfen selbst auf keinen Fall scharf schmecken; sonst kann man den Geschmack des Chumus, aus dem die Kugeln gemacht worden sind, so gut beurteilen wie die Qualität von verzuckertem Wein. Die scharfen Gewürze oder Soßen sind immer getrennt und nur auf Wunsch zu servieren.


6. Arabische Gastfreundlichkeit

Es gehört dazu, dass der Verkäufers seine Gastfreundschaft zeigt, indem er euch auf seine Kosten ein Glas Tee bietet. Mancher bietet kleine, andere wiederum große Gläser, bisweilen mit Minzblättern drinnen - ein echter Genuss. Darauf könnt ihr mit einem weiteren Besuch reagieren, und es wäre auch schön, euch mit Trinkgeld zu bedanken.


7. Alkohol

Israelis mögen ihren Falafel sehr gerne mit Bier runterschlucken. Demgegenüber mögen die Deutschen ihr Bier sehr gerne mit Falafel zu würzen. So oder so ist es Muslimen verboten, im Besitz von Alkohol zu sein. Aus geschäftlichen Gründen wird aber in manchen Läden trotzdem Bier u. Ä. angeboten. Ich begleite den Falafel am liebsten mit Tee (s. o.). Sonst würde ich dazu raten, vorerst Alkohol zu vermeiden, wenn man vorhat, sich mit dem Verkäufer zu unterhalten. Nachdem man sich a bissl kennen gelernt hat, weiß man schon, mit was für einem Gastgeber man zu tun hat und ob man sich beim nächsten Besuch über ein erfrischendes Bier freuen kann oder darauf lieber verzichten soll.


8. Der musikalische Mehrwert

In vielen Läden wird arabische Musik gespielt. In der Regel handelt es sich dabei um ein und dieselbe CD oder Kassette, die den Verkäufern längst auf die Nerven geht. Sie machen damit trotzdem weiter, weil sie meinen, es wirkt irgendwie authentischer und zieht die Kunden an. Allerdings kann es mögliche Stammgäste sehr schnell wegtreiben. Manche Verkäufer schalten den CD-Player erst an, wenn ein neuer Kunde den Laden betritt, und dann gleich wieder aus, sobald er den Laden verlassen hat. Andere warten einfach unbewusst darauf, dass jemand ihnen endlich sagt, dass der Falafel in Begleitung von Radio Eins o. Ä. umso besser schmeckt. Eure Aufgabe ist es, diesen Hinweis höflich zu geben, nachdem ihr euch eine Weile mit dem Verkäufer unterhalten habt. Und wie lange dauert eine Weile? Die Weile ist vorbei, nachdem er euch erzählt hat, aus welcher Stadt in welchem Land er kommt und wie der Weg seiner Familie nach Deutschland aussah.


9. Die Kosten

Ein guter Falafel soll €2,00 kosten. 1,50 ist gewissermaßen schon verdächtig, darf jedoch einen Versuch wert sein; 2,50 zwar nicht billig, aber noch zulässig, solange der Verkäufer euch nicht missachtet, indem er für den Soßenumtausch noch 0,50 verlangt. Über 2,50 ist schon zu teuer und lohnt sich in der Regel auch von der Qualität her nicht: Es handelt sich dabei um die bürgerlichen "Falafelcafés", in denen jeder Wunsch extra kostet und selbst die Zahl der Falafelkugeln im Voraus angekündigt wird (es sollen übrigens mindestens vier Kugeln sein, damit ihr in jedem Biss neben den Beilagen auch ein Stück Falafel habt; aber in den guten Läden versteht es sich von selbst).


10. Meine Empfehlung

nach langer Suche habe ich mir den einfach, aber einladend ausgestatteten Imbiss "RAI" ausgewählt, das sich auf der nördlichen Seite der Skalitzer Straße, diagonal unterhalb des Görlitzer Bahnhofs (U1) befindet. Der Besitzer ist ein sehr netter Iraker aus Basra, der zwar eine Mikrowelle benutzt, dies aber mit seiner Freude an den Gästen gutmacht. Auch seine Schawarma erinnert einen ans Paradies.

Alles weitere müsst ihr selbst entdecken - und in diesem Sinne: Guten Appetit!

Falafel in Lafa


...und grüßt Berlin ganz herzlich von mir :-)