Montag, 14. Mai 2007

Natürlicher Judenhass?

Gestern habe ich mit ein paar Studenten am Geiger-Kolleg über Antisemitismus (mit oder ohne Anführungszeichen) gesprochen. Meiner Meinung nach darf man nicht erwarten, dass es gerade gegen die Juden keine Ressentiments gäbe, bzw. diese Ressentiments moralisch verurteilen, wenn andere Gruppen nach wie vor doch als solche gehasst werden. Wenn man mit sich ehrlich ist, muss man zugeben, dass dieses Phänomen nichts Außergewöhnliches ist; ganz im Gegenteil: Menschen verallgemeinern, stigmatisieren, neigen zu Vorurteilen, hassen andere Gruppen, halten diese für minderwertig usw. usf., kurzum sind die Menschen nicht gerade so, wie man sie sich wünschen könnte. Sie sind nicht aufgeklärt, nicht immer liberal, meistens kaum aufgeschlossen - aber die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Warum sollen wir also fast jede Erscheinung von Ressentiments gegen Juden als solche gleich als "Antisemitismus" brandmarken und noch strenger verurteilen als Ressentiments gegen, sagen wir mal, Polen?

Ein Student meinte, dass Ressentiments gegen Polen zu noch keinem Holocaust geführt haben. Das kann man gewissemaßen schon bestreiten, aber selbst wenn der Fall so klar und einfach wäre, würde ich mir denken, dass gerade der moralische Stress, den die strenge Verurteilung dieser allgemein menschlichen, weil identitätsstiftenden Ab- und Ausgrenzungstendenzen zur Folge hat, die ohnehin vorhandenen Ressentiments nur noch schlimmer machen kann, und zwar vor allem genau gegen die Gruppe, die man nicht hassen dürfte.

Ich habe also gar kein Problem damit, dass mancher keine Juden mag, und für mich ist es längst noch kein "Antisemitismus". Jedem Menschen muss das Recht vorbehalten werden, irgendwelche Gruppen zu mögen oder als solche nicht zu mögen, und diese Tendenzen ganz willkürlich auszuleben, ohne sich dabei rechtfertigen zu müssen. Das mag vielleicht nicht das Schönste am Menschlichen sein, aber das gehört dazu. Genau so, wie es Frankophile geben darf, darf es auch das Gegenteil davon geben, ob bei Franzosen, Juden, Homosexuellen, Kapitalisten oder welcher Gruppenvorstellung auch immer.