Nach ein paar Enttäuschungen - alle ganz meinerseits - habe ich in Berlin versucht, politische Israel-Veranstaltungen zu vermeiden. Israelis, die hierher kommen, um zu einem mehr oder weniger politischen Thema zu referieren, neigen nämlich leider allzu oft zu Linksextremismus. Es dauert dann a bissl, bis ich mich wieder beruhigt habe.
Trotzdem war ich heute in der israelicshen Botschaft mit einer Studentengruppe bei einem Vortrag von Dan Golan, dem Leiter der Kulturabteilung, über "Kulturen in Israel". Dabei hat er viel behauptet, womit ich nicht einverstanden war, aber besonders aufgefallen sind mir drei Punkte (ich zitiere aus dem Gedächtnis; das Gespräch fand auf Englisch statt, da er kaum Deutsch kann):
1. "Es gibt in der Kultur Israels keine Klassik, da der Staat erst 1948 gegründet wurde." Nach dem Vortrag habe ich darauf hingewiesen, dass es nach diesem Prinzip auch keine deutsche Klassik gäbe, da der heutige deutsche Staat, die BRD, erst 1949 gegründet und 1955 unabhängig wurde; trotzdem sind die Kulturvertretungen dieses neuen Staates weltweit nach einer Person benannt, die ja bereits 117 Jahre vor Staatsgründung starb: Goethe. "Da waren die Deutschen aber auch vorher auf verschiedene Weise souverän." Auch die Polen waren in den letzten Jahrhunderten lange nicht wirklich, nicht überall und manchmal auch halt gar nicht souverän, und trotzdem versuchen sie nicht über diese Zeit hinwegzusehen, erwiderte ich (übrigens: Was heißt hier überhaupt "souverän"? Der Dichter ist ja als solcher immer souverän!). Warum soll denn etwa die hebräische Dichtung von Jehuda HaLevi ausgeschlossen werden? "Man muss aber auch eine sprachliche Kontinuität haben", hat er mir geantwortet, "ich kann diese Texte nicht verstehen." Nanu! Diese Dichtung ist ja Pflichtlektüre an israelischen Schulen! Und außerdem ist die Sprache eigentlich dieselbe, nur wird sie heutzutage als gehoben empfunden.
Um ihn aber vor dem deutschen Publikum nicht in Verlegenheit zu bringen, habe ich ihm einfach gesagt, dass gewöhnliche Deutsche heute mittelhochdeutsche Texte ebenfalls nicht verstehen können. "Mehr kann ich nicht sagen", lautete seine Antwort - und zwar mit guten Grunde, denn eigentlich geht es nicht um das Selbstverständnis des Staates, sondern eher um seinen ganz persönlichen Wunsch, dass Israel ein "normaler", abendländischer Staat wäre, der die "Last" der jüdischen Vergangenheit nicht mehr trüge und die Juden somit "normalisieren" könnte. Und Normalisierung setzt natürlich einen neuen Anfang voraus. Also: Keine Klassik.
Anschließend hat er erzählt, dass diese Selbstbeschränkung seiner Abteilung auf Staatsbürger auch praktische Folgen hat: Als man darum gebeten hat, dass die Abteilung einen finanziellen Beitrag zu einer Ausstellung über Albert Einstein leisten würde, hat sich die Abteilung "nach langer Diskussion" geweigert, da Einstein doch kein Staatsbürger war. Nun soll man bedenken, dass Einstein, einem bekennenden Zionisten, 1952 die israelische Präsidentschaft angeboten wurde, die er allerdings ablehnte, v. a. um sich mit der Physik weiter befassen zu können. Und trotzdem: Für die Präsidentschaft war er gut genug, für finanzielle Leistungen aber nicht mehr?! Da wäre es doch besser gewesen, Mangel an Mitteln als Grund zu geben! Übrigens vererbte Einstein die Rechte auf die Nutzbarmachung seiner Person und Werke an die Hebräische Universität Jerusalem.
2. "Das israelische Recht ist nicht das jüdische Recht, sondern geht auf das britische Mandat zurück." Dies war der Zustand bis 1980, als das israelische Parlament ein Gesetz (das "Rechtsgrundlagengesetz") erließ, nach dem dem israelischen Recht nunmehr das "jüdische Erbe" zugrunde liegt, sofern die Behandlung eines Falls nicht aus israelischen Gesetzen oder rechtlichen Präzendenzfällen zu ziehen ist. Dass unsere "tollen" Richter gerne von diesem Gesetz absehen, gebe ich zu; doch dieses Gesetz gibt es immerhin! "Dazu kann ich nichts sagen", hat er geantwortet, "mir ist das besagte Gesetz nicht bekannt" - sic!
3. "Israel sei kein jüdischer Staat, sondern einer für die Juden. In Neuseeland [wo er vorher gearbeitet hat] gibt es Christen, wenige davon sind Gläubige; käme jemand auf die Idee, Neuseeland als christlichen Staat zu bezeichnen?" - Erstens steht im israelischen (allmählich zustande kommenden) Grundgesetz mehrmals, d.h. in mehreren Teilgesetzen, geschrieben, dass Israel ein "jüdischer und demokratischer Staat" ist; der Hinweis auf den Staat als "jüdischen Staat" liegt auch bereits in der Unabhängigkeitserklärung vom Jahre 1948 vor. Zweitens greift Neuseeland für seine Nationalsymbole (Staatsfahne und -wappen) nicht auf christliche Symbole zurück; Israel tut es doch. Diese Einwände habe ich dann aber nicht mehr vorgebracht, da er offensichtlich schon ganz irritiert war. Naja, es wäre ihm wohl lieber gewesen, wenn alle ihm einfach so geglaubt hätten.
Also? Was kann man nach solch einer Erfahrung noch sagen? Seit langem denke ich mir, dass ich kein guter Diplomat wäre, weil ich keinem Staat meine Zunge zur Verfügung stellen könnte, mit dessen Politik ich nicht unbedingt einverstanden bin. Da ist mir die eigene Meinung schon zu wichtig, um eine andere zu vertreten. Doch anscheinend kann man selbst als Diplomat weiterhin die eigene Meinung aussprechen, so extrem sie sein mag, sogar wenn sie kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Oder gilt das nur für ganz bestimmte Meinungen? Jedenfalls bin ich als Israeli sehr von Herrn Golan enttäuscht, der zumindest hätte sagen können, dass er jetzt nur seine eigene Meinung ausspricht. Und wenn ich mir dann vorstelle, dass er diesen Vortrag überall in Deutschland hält...!
In der Tat folgt er aber einfach der Vision Herzls, von der ich wenig halte und die erfreulicherweise auch recht wenig mit der israelischen Wirklichkeit zu tun hat. Vielleicht schreibe ich später auch darüber.
Donnerstag, 12. Juli 2007
Wie jüdisch darf der Judenstaat sein?
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