Donnerstag, 15. Februar 2007

Rache ist wichtig

In der letztwöchigen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen (Nr. 6/07 vom 8. Februar) sind die kurzen Stellungnahmen von fünf Rabbinern in Deutschland zur Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristen veröffentlicht (S. 15) und zwar unter dem zusammenfassenden Titel "Reue ist wichtig". Dort beziehen sich alle Rabbiner in ihren Antworten ausschließlich auf die Straftäter und in dieser Hinsicht ist die Frage nach deren Reue in der Tat wichtig. Aber ist das die einzige Hinsicht, die es in dieser Diskussion zu berücksichtigen gilt?

Die Bestrafung findet nicht gerade beim Täter und dessen Leiden, sondern vielmehr im Verhältnis der bestrafenden Gesellschaft zu dem von ihr Bestraften statt. Durch die Bestrafung setzt die Gesellschaft ihre moralischen Grenzen, erklärt ihre Werte und verteidigt ihre Vorstellung von Gerechtigkeit. Eine zu leichte Bestrafung ist nicht gerade deshalb abträglich, weil sie etwaige, künftige Täter nicht abscheut, sondern vor allem deshalb, weil sie die Moral der Gesellschaft schwächt und deren Rechtsgefühl unterminiert. Bei der Ausübung von Gerechtigkeit - nach welchem Verständnis davon auch immer - ist leider kein goldener Mittelweg möglich, denn die Gesellschaft wird dabei geprüft und dadurch entweder gestärkt oder geschwächt.

Aus diesem Grunde war z. B. der in juristischer Hinsicht nicht gerade annehmbarer Schauprozess gegen Adolf Eichmann so wichtig - also nicht deswegen, weil Eichmann am Ende eines unnatürlichen Todes starb, sondern weil Israel ihn mit dem Tode bestrafte und somit sein Rechtsgefühl durchsetzen konnte. Ein anderes, diesmal negatives Beispiel: Es wird behauptet, Arafat sei nicht einfach so todkrank geworden, sondern von israelischen Geheimagenten angesteckt worden. Was aber die Moral betrifft, ist diese Frage eigentlich belanglos: So oder so ist Arafat nicht öffentlich hingerichtet worden. Diese Prüfung (nebst vielen anderen dieser Art) hat Israel nicht bestanden, woraufhin seine Moralität unleugbar geringer und sein Rechtsgefühl schwächer geworden ist.

Gerechtigkeit muss bekanntermaßen gesehen, also erlebt werden. Sie muss öffentlich und ausreichend ausgeübt werden, nicht damit der Täter stirbt, sondern damit die Gesellschaft tötet; nicht damit der Täter leidet, sondern damit die Gesellschaft rächt. Nicht nur der Täter ist wichtig, sondern vor allem auch die Gesellschaft; nicht nur die ehrliche Reue, sondern vor allem auch die moralische Rache trägt zur Vervollkommnung der Welt bei.

Was nun die Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristen anbelangt, so kann und will ich als Außenseiter keine Antwort auf diese Frage geben, zumal ich mich als Jude grundsätzlich von der Moral distanziere, die für dieses deutsche Thema relevant ist, nämlich von der christlich-abendländlischen Moral, welche die Rache sowieso ablehnt.

Nachtrag (17.02.2007): Obwohl dieser Eindruck wohl schon entstehen kann, wird hier notabene nicht behauptet, dass man die RAF-Terroristen damals hätte hinrichten sollen. Mit den obigen Beispielen wollte ich nämlich nur veranschaulichen, dass bei der jetzigen Diskussion über ihre Freilassung nicht nur der Zustand der Bestraften (Reue etc.), sondern vor allem auch die möglicherweise negativen Auswirkungen einer Freilassung auf die Moralität der bestrafenden Gesellschaft zu berücksichtigen sind.

6 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Du hast den Eichmanprozes angesprochen.
Ich hab nur die Aufnahmen gesehen.

Wenn man sich überlegt, dass Eichman
die schlimmsten Verbrechen organisiert
hat und sich im Prozes so hingestellt
hat, als ob er ein einfacher Fahrkarten
kontroleur gewesen ist. Ich bin zu dem
Schluss gekommen dass so jemand, der nicht
einmal fähig ist zu seinen eigenen Taten
zu stehen keinen Prozess verdient hat.
Man hätte ihn eifnach so hinrichten sollen.

Aber um zu diesem schluss zu kommen
musste ich die Aufnahmen vom Prozess
sehen. Sonst hätte ich das nicht
verstanden.

Ich glaube das der Eichmanprozes auch
deshalb so wichtig war.

Jakobo

Anonym hat gesagt…

Also, ich stimme dem Artikel "Rache ist wichtig" völlig zu. Meiner Meinung nach hätte man die RAF-Mitglieder Mohnhaupt & Co. öffentlich hinrichten sollen (aber es gibt ja keine Todesstrafe in Deutschland)oder sie sollten zumindest bis zu ihrem Tod im Gefängnis bleiben. Wer solche perfiden Verbrechen begeht, hat keine "Gnade" verdient - warum auch, er selbst hatte ja auch keine. Aber die deutsche Justiz ist generell schwach, das hat man ja schon an den unzähligen NS-Verbrechern gesehen, die nicht bestraft, sehr milde bestraft oder freigesprochen wurden (viele machten ja noch eine ansehnliche Karriere im Nachkriegsdeutschland...).
Diese schwächliche Haltung hält bis heute an und erstreckt sich auch auf Gewaltverbrecher wie z.B. Kinderschänder, die nach ein paar Jahren mit einem schönen psychologischen Gutachten wieder aus dem Gefängnis kommen und dann das nächste Kind schänden und ermorden. Ein bisschen mehr Rache täte not.

Yoav Sapir Berlin Jewish Tours hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Ich habe die Kommentare der Rabbiner nicht gesehen und weiss daher nicht, was genau sie geaeussert haben.
Die HERALD TRIBUNE berichtete aber vor einigen Tagen gross ueber die baldige Freilassung von der RAF - Terroristin (ich glaube sie heisst Mohnhaupt). Man konnte nicht verstehen, warum Deutschland ueberhaupt solche Leute freilasse. Ob Deutschland zuviel "Gewissen" entwickelt haette. Staendig wuerde sich die dt. Gesellschaft in Frage stellen und auf Moral machen.

Das kann jeder sehen wie er will. Soweit ich aber die jued. Meinung zu der Freilassung beurteilen kann, ist es lt. Halacha sehr wichtig, dass die Taeter ihre Schuld bekennen und sich entschuldigen. Ohne das keine Gnade.

Shavua Tov,
Miriam

schmetterlingsfrau hat gesagt…

Interessantes Thema. Rache ist bei jeder Bestrafung ein Element. Immer. Bis heute. Interessanterweise wird das aber verleugnet und Bestrafung rein in bezug auf den Täter betrachtet: Abschreckung und Rehabilitation. Bei den Diskussionen um die Todesstrafe wird es dann sehr deutlich. Obwohl es etliche gute Argumente dagegen gibt (Justizirrtum), begründen die meisten Gegner ihre Haltung damit, daß es ja nur Rache wäre.

Neben der Gesellschaft gibt es noch ein drittes Element im Verbrechen: Das Opfer. Es wird im üblichen Strafvollzug völlig ignoriert. Eine direkte Wiedergutmachung am Opfer findet nicht statt. Dabei wäre das der wichtigste Punkt bei der Wiederherstellung der Gerechtigkeit. (Bei Mord natürlich unmöglich.)

Anonym hat gesagt…

Das mit der christlich-abendländischen Moral möchte ich mal in Frage stellen: es ist eine humanistisch-abendländische Moral, und die ist nicht christlich.
Christlich wäre, daß Täter über Umkehr (Reue) und Buße (Wiedergutmachung) ihren Teil dazu beitragen, daß Gerechtigkeit geübt, und in erster Linie dem Opfer und in zweiter Linie der Gesellschaft damit Genugtuung gegeben und der Weg zum Frieden eröffnet wird.
Mit dieser christlichen Sicht (die aus jüdischen Wurzeln den Gedanken und dem Herz Gottes folgen will) könnte verhindert werden, daß das Wort Jesu sich so traurig in unserer Zeit bewahrheitet: in den letzten Tagen wird die Liebe in Vielen erkalten, weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird...