Sonntag, 12. August 2007

Der Rabbi, der ein vorzeitiger Pazifist sein sollte

Vorige Woche habe ich ausnahmsweise ein Kinderbuch gelesen (immerhin gefällt mir das Gefühl, auf gleicher Augenhöhe angesprochen zu werden): Marc-Alain Quaknin und Dory Rotnemer, Der Rabbi, der seine Geschichten verschenkte. Erzählungen aus dem Judentum (Lahr: Verlag Ernst Kaufmann, 1997 [Gallimard, 1994]); aus dem Französischen von Daniela Nußbaum-Jacob, religionswissenschaftliche Beratung von Dr. Ilas Körner-Wellershaus.

In diesem einladend gestalteten und schön illustrierten Buch findet man sechs Bearbeitungen von Erzählungen aus der jüdischen Tradition, umgeben von allerhand Wissenswertem, das mehr oder weniger mit der jeweiligen Erzählung zusammenhängt. Abgeschlossen wird das Buch mit drei ebenfalls kindergerechten Einführungen ins Judentum. Bemerkenswerterweise sind die Angaben trotz der notwendigen Vereinfachung i. d. R. zutreffend formuliert. Nur eine Stelle hört sich ganz merkwürdig an, und zwar die wichtigste, nämlich der rückseitige Werbetext (meine Hervorhebung):

Sechs Erzählungen aus [soll es hier übrigens nicht "von" heißen - wegen "von ... bis" - ?] der biblischen Zeit Salomons bis hin zu den Ereignissen um einen Rabbi im Russland des 19. Jahrhunderts zeigen auf, wie die Juden in vielen Ländern und zu verschiedenen Zeiten gelebt haben. Lebendig geschildert wird dabei auch, wie sie Probleme stets durch Nachdenken und nicht mit Gewalt gelöst haben.

Da stellen sich gleich doch einige Fragen: War es denn wirklich so, dass die Juden sich "stets" gewaltlos verhielten? Und in den Fällen, wo es tatsächlich so war - wollten sich die Juden so verhalten? Und konnten sie auf diese Weise überhaupt das Problem lösen? Oder haben eher manche Nichtjuden selbst für eine "Lösung" gesorgt?

Im Einklang mit dem Werbetext wagen die jüdischen Figuren, mit denen sich die jungen Köpfe bekannt machen sollen, nie, Gewalt auszuüben; selbst nicht dann, wenn sie verfolgt werden - etwa in der Geschichte vom Prager Rabbi Löw, wo es zu einem bevorstehenden Pogrom kommt:

Das Tor sprang auf und die Christen ["die Christen"? A-l-l-e ?!] drangen in wildem Durcheinander in die Synagoge.

Und was machen dann die Juden?

Starr vor Entsetzen drängten sich die Juden in einer Ecke zusammen.

Macht euch aber, liebe Kinder, keine Sorgen: Am Ende kommt der Prinz und rettet die Prinzessin. Dem wirklichkeitsfremden Golem ist es nämlich in diesem Kinderbuch erlaubt, Gewalt auszuüben, wenn es nötig ist. Den jüdischen Prinzessinnen ist so etwas leider nicht gestattet.

Das Buch ist in der Reihe "Geschichte vom Himmel und der Erde" erschienen. Neben dem altruistischen Rabbi liegen bereits Kinderbücher zum Islam, Hinduismus, Christentum, Buddhismus u. a. vor. Wahrscheinlich sind die anderen Bücher nicht mit demselben Werbetext versehen, also scheint hier die Gewaltlosigkeit eine vermeintlich typisch jüdische Tugend zu bilden. Aber warum? Warum will man die Juden - heutzutage! - überhaupt so darstellen? Was wird damit bezweckt?

Ich vermute, dass mit diesem scheinbar harmlosen Judenbild den jungen, unkritischen Lesern suggeriert werden soll, dass "richtige" Juden die Gewalt scheuen würden, wie es die "guten" Figuren tun, denen die Kinder im Buch begegnen. Und die neuen Hebräer in Palästina, denen die Kinder im Fernsehen begegnen können? Ach, die sind anscheinend keine richtigen Juden - und schon gar nicht gut.

1 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Ja, anscheinend können einige Nichtjuden Juden nur im Extrem sehen: entweder sind sie absolute Peaceniks, schlechthin einfach überhöht oder sie sind diejenigen, die gewaltstrotzend (mit einem Gott der Rache im Rücken) andere Völker niedermetzeln.

"Aus (der Zeit)"... "bis hin" ist im Deutschen ein durchaus gängiger Terminus. Bei "von... bis" dürfte kein "hin" nachgestellt werden.