Samstag, 17. Februar 2007

Der Holocaust im 21. Jahrhundert

Als Erstes sei vorweggenommen: Ernst Zündel ist als Neonazi und Holocaustleugner aufs Schärfste zu kritisieren. Desgleichen David Irving, der jetzt wegen Ähnlichem im österreichischen Gefängnis sitzt.

Nach dieser Verbindlichkeit können wir nun auf die eigentliche Frage eingehen: Wollen wir mit Holocaustleugnern wirklich so umgehen, wie man früher Ketzer behandelt hat, also indem wir sie wegen ihrer abweichenden Meinungen bestrafen? Das kommt darauf an, ob wir den Holocaust zum Glaubensbekenntnis, ja zu einer Art Religion machen bzw. werden lassen wollen. Genauer betrachtet geht es aber darum, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen: Entweder ist man bereit, für die Redefreiheit derjenigen zu kämpfen, deren Meinungen man ganz abscheulich findet, oder man ist unbedingt bereit, sich mit einer Gesellschaft abzufinden, in der manche - heute noch wenige, morgen vielleicht mehr - Meinungen gesetzlich verboten sind. Denn erst beim Kampf um den Schutz von Meinungen, die wir selbst nie wieder hören möchten, wird die Redefreiheit in unserer Gesellschaft tatsächlich geprüft - und dann entweder durchgesetzt oder aufgegeben. Dabei geht es notabene nicht um Volksverhetzung: In dem Moment, wo man zur Verfolgung anderer aufruft, hat man sein Recht auf Redefreiheit verloren. Jedoch sind Äußerungen wie "den Holocaust/die Gaskammern hat es nicht gegeben" noch kein solcher Aufruf. Die Unterscheidung ist sehr fein, deswegen aber umso wichtiger.

Das gesetzliche Verbot der Holocaustleugnung wirft aber noch weitere, ebenso schwierige Fragen auf: Wie kann es z. B. sein, dass man nicht den Holocaust, aber zu gleicher Zeit und in demselben Land die Existenz Gottes doch leugnen darf? Ist unsere Vorstellung vom Holocaust wichtiger als die vom Gott? In dem Fall kann schon vom Holocaust als einer neuen Religion die Rede sein - oder wie es Avishai Margalit und Gabriel Motzkin formuliert haben: »a negative myth of origin for the post[-]war world«[1].

Eine andere Frage wäre, warum die Leugnung des deutschen Völkermordes an den Juden verboten, die des türkischen Völkermordes an den Armeniern hingegen erlaubt sein sollte. Trotz der wesentlichen Unterschiede zwischen beidem muss man hier doch eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Darf man Völkermorde in Frage stellen - oder nicht? Darf man, solange nicht verhetzt wird, über alles diskutieren - oder eben nicht?

Die schwierigste Frage ist jedoch, wer vom Verbot profitiert, also ob diese Maßnahme uns zum Ziel verhilft. Dass man keine Meinungen in Haft nehmen kann, ist klar. Genauso klar soll aber auch sein, dass wir gar nicht gewinnen können, wenn wir den Revisionismus - oder etwa die Neonazis - durch Verbot bekämpfen. Denn wenn man es versucht, ist man nicht besser, vielleicht sogar noch schlechter als seine Gegner - und da hat man den Kampf schon am Ansatzpunkt verloren. Man weiß immer, wie man mit dem Verbot anfängt, aber nie, wie die Sache noch enden und mit wie vielen Verboten man noch rechnen sollte.

Als Letztes bleibt noch der Gedanke: Was bedeutet es überhaupt, dass es den Holocaust gegeben hat, wenn diese Aussage nicht zur Diskussion stehen, wenn das Gegenteil nicht behauptet werden darf? Kann man ehrlich vom Weißen reden, ohne das Schwarze zu berücksichtigen? Kann man wirklich das Tageslicht beschreiben, ohne die Nacht zu kennen...?

Nachtrag (21.02.2007): David Irving sitzt nicht mehr im Gefängnis (a Dank an Stefan für den Hinweis).

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[1] Avishai Margalit and Gabriel Motzkin, »The Uniqueness of the Holocaust«, Philosophy and Public Affairs 25 (1996), pp. 65-83, here 80-81. Siehe auch: Moshe Zimmermann, »Globalisierte Erinnerung«, in: Zeichen, Heft 2 des Jahres 2000 (verfügbar unter: http://www.asf-ev.de/zeichen/00-2-08.shtml), wo es steht: »Daß die Shoah zum Fundament der Welt geworden ist, kann man nicht bestreiten.« – was ja wenigstens auf den so genannten Westen zutrifft.

4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Eine kleine Übung in Dialektik - schön.

Die Bestrafung von Holokaustleugnern kan man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Pro: Es ist nach dem Ende der frei gewählten nationalsozialistischen Diktatur das "Nie wieder" ein Axiom der deutschen Gesellschaft geworden. Holokaustleugner übertreten mit ihren Behauptungen die Würde der Opfer wie auch des Teils der Gesellschaft, der sich mit diesem "Nie wieder" identifiziert. Daher ist die Bestrafung adäquat - jede Gesellschaft hat das Recht, sich und die von ihr gesetzten Normen zu verteidigen. Im Grundgesetz ist die Würde des Menschen verankert.
Contra: die Bestrafung sei Ausdruck der Schwäche.
Nur: die Bestrafung verhindert ja nicht die gesellschaftliche Diskussion. Deren konstruktive Beiträge vermisse ich jedoch seit ich die immer wieder aufkommenden Diskussionen verfolge (und das ist jetzt mehr als ein Jahrzehnt).

Die Haltung, die Du hier vertrittst kommt nahe an die Ideale der Weimarer Republik. Nur glaube ich nicht, daß die menschliche Natur sich seither grundlegend geändert hat: sie ist schwach. Die Gesetze dieses Landes dienen daher auch dem Schutz der Minderheiten.

Die feinen aber klaren Unterscheidungen die Du triffst, würden in Gesetzesform alle Möglichkeiten der Ausbeutung und Umdeutung bieten.

In einem säkularen Staat muß man die Existenz G´ttes leugnen dürfen können.
Das "Nie wieder" gehört zu den Eckpfeilern der deutschen Demokratie und ist darum zu schützen. Der Begriff "Religion" geht mir zu weit. Margalit u. Motzkin verwenden ihn in Deinem Zitat auch nicht.

Das Leugnen des türkischen Völkermordes an den Armeniern sollte ebenso verboten werden. Dass es das nicht ist, ist eine politische Verdrehung bzw. Verschweigen von Tatsachen.

Die Holokaustleugner sind ja immer noch laut genug, um Diskussionsstoff zu bieten - siehe der Prozeß um Zündel. "Das Schwarze " wird also behauptet - nur die Antwort "des Weißen" macht irgendwie keinen Mut.

schmetterlingsfrau hat gesagt…

Ich stimme zu 100% zu. So sehe ich das auch. Meinungsverbote sind ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft. Achmachmirdendschihad hat leider recht, wenn er Europa als verlogen, schwach und dekadent sieht. Das Verbot muß fallen. Jeder muß das Recht haben, sich öffentlich zum Idioten und Menschenfeind zu machen, indem er falsche Sachen sagt. Diese Holocaustleugner haben keine Prozesse verdient, sondern Ignoranz und Auslachen. Die Wahrheit braucht keine Gesetze, sie steht von selbst aufrecht.

Anonym hat gesagt…

Hallo, also ich kann medbrain nicht zustimmen, und hoffe sogar ihn auch überzeugen zu können. Er sagt sinngemäß, der Mord an den Armeniern sollte auch strafbar / rechtswidrig sein. Okay soweit gut, aber die Deutschen und Türken sind ja nun definitiv nicht einzigartig in der Weltgeschichte, das Leugnen welcher Völkermörde sollten denn rechtswidrig sein? Und wer legt die historischen Warheiten dafür fest, ich glaube Orwell hatte dafür ja eine Einrichtung vorgesehen. Ich wage auch zu behaupten, ein gewisser Teil der Aufmerksamkeit entsteht durch das rechtswidrige des Verhalten und nicht durch das Verhalten selbst.

Die Weimarer Republik als Grund zu dafür zu nennen halte ich für unzureichend. Sie war definitiv schwach, aber sie war schwach, weil überspitzt gesagt, außer einem Häufchen in der Mitte, sie keiner wollte. Die amerikanische Demokratie funktioniert schon erheblich länger mit dieser "Schwäche" völlige Meinungsfreiheit.

Ansonsten kann ich den letzten Satz von Schmetterlingsfrau nur voll unterstreichen.

Anonym hat gesagt…

Ich stimme zu, Meinungsfreiheit hat in Deutschland noch zuviele Grenzen. Zum Beispiel wäre ich dafür, das der § 166 StGB, also Gotteslästerungsparagraphe, abgeschafft wird. Das gleiche kann man für die Verbote von "Mein Kampf" usw. verlangen. Ich denke von den Amis können wir lernen:

Der Originaltext des 1. Zusatzes zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika lautet:

"Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances."

"Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen."