Sonntag, 15. Juli 2007

Körperschaften und Gentlemen

Im Dezember habe ich einen Beitrag über das "doppelte Verhältnis" der Juden in Deutschland zum Staat, in dem sie leben, geschrieben und mich dort auf den so genannten Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat und der Bundesregierung bezogen (ein weiteres Beispiel auf regionaler Ebene bildet der kürzlich unterzeichnete Hamburger Staatsvertrag). Gegen meine Sichtweise wird bisweilen eingewandt, dass die Juden doch kein Ausnahmefall seien, da die einzelnen jüdischen Gemeinden sowie der Zentralrat religiöse bzw. kirchenrechtliche "Körperschaften des öffentlichen Rechts" sind; und da haben ja auch die EKD und die Katholische Kirche in Deutschland ähnliche Staatsverträge mit Bund und Ländern abgeschlossen.

Doch gerade dieser Vergleich veranschaulicht m. E. den qualitativen Unterschied zwischen den Kirchen und den Jüdischen Gemeinden, denn Letztere - sowie der Zentralrat - werden ja nicht von Geistlichen bzw. Rabbinern, sondern von ganz "weltlichen" Politikern geführt. Ich kann mir zwar vorstellen, dass in den Gremien der EKD auch Laien tätig sind, die sich aus religiösen Gründen für ihre Gemeinden engagieren (im katholischen Fall erscheint es mir hingegen eher unwahrscheinlich, dass Laien die Kirche in solchen Sachen vertreten dürfen). Doch selbst diesen religiösen Hintergrund (Motivation, Umfeld...) ist in den jüdischen Gemeinden und dem Zentralrat nicht vorhanden.

Themawechsel: Ha'aretz erzählt in seiner Wochenendausgabe unter dem Titel "SS-Offizier und Gentleman" von SS-Brigadeführer Karl Rink, der mit einer Jüdin verheiratet und dennoch ein überzeugter Nationalsozialist war - bis auf die Judenfrage. Das Paar lebte in Berlin und hatte eine Tochter. Der a Bissl naive Rink versuchte, die beiden, die eh auch von der jüdischen Umgebung ausgestoßen wurden, zu schützen, solange er nur konnte. Doch schließlich wurde ihm ein Ultimatum gestellt: Entweder er lässt sich scheiden oder er wird als Jude (in dem Fall also Geltungsjude) behandelt. Rink entschied sich für den Nationalsozialismus. Die Frau wurde kurz nachher auf Befehl von Rinks Vorgesetztem ermordet. Im allerletzten Augenblick, am Vorabend des Krieges, erfüllte er noch sein Verprechen an seine Frau und schickte seine Tochter nach Israel, die heute in einem Kibbutz lebt. Im Kriege war er in osteuropäischen Ghettos tätig, setzte sich aber verschiedentlich für Juden ein. Nach dem Krieg erfuhr er, wie seine Frau umgebracht wurde, und ermordete seinen ehemaligen Vorgesetzten.

Später hat er Briefe mit seiner Tochter gewechselt, die lange noch davon überzeugt gewesen ist, dass er ein ausgesprochener Kriegsverbrecher war. Doch Überlebende, denen er half, haben ihr von ihm erzählt. Diese Zeitzeugen haben ihm auch die Möglichkeit verschaffen, nach Israel einzureisen ohne in Haft genommen zu werden. Eine Woche vor seiner geplaten Reise verriet ihm sein Herz und er starb in Berlin.

Eine in Deutschland wohl noch unbekannte Figur?

2 Kommentar(e):

Noktavian hat gesagt…

Der Beitrag über Karl Rink ist ja hochinteressant. Schade, dass es den Ha'aretz-Artikel nur auf Hebräisch gibt.

Anonym hat gesagt…

Ja, der Fall Rink war mir bis jetzt auch nicht bekannt. Es ist schön, in einer Weise von Leuten von früher zu erfahren, die etwas genauer und vielschichtiger beschreibt und nicht von vornherein in Schwarz-Weiß malt.
Menschen fair zu beurteilen, ist das Schwierigste überhaupt, und jedesmal müßte man alles über ihn und sein gesamtes Seelenleben, seine Motivationen, seine Vorgeschichte, seine Prägungen, ... wissen. Jedem Menschen, auch dem Massenmörder sollte Menschenwürde zugedacht werden, weil kein Mensch einen anderen zur Gänze bewerten kann. Deshalb auch keine Todesstrafe, sondern zeitlebens die Möglichkeit der Wiedergutmachung und, falls nicht möglich, wenigstens des Bereuens und Verarbeitens mit anderen.
Auch in der heutigen Zeit kommen wir alle ob unserer Tatenlosigkeit nicht ohne Schuld durchs Leben.
Es gilt wohl im Leben, eher Schuld auf sich zu nehmen und abzubauen als Schuld zuzuweisen. Ob es letztlich überhaupt Schuld gibt, wissen wir auch nicht ganz.

Gruß von Christoph.Hans.Messner@gmx.de