In "Ekew", der Parsha der vorhin ausgegangenen Woche (wie in anderen Wochenabschnitten auch), macht Gott den Kindern Israels ein Angebot, "das man nicht ablehnen kann": Wenn sie sich an die göttliche Moral halten, die Ureinwohner vertreiben, deren Götzen vernichten usw. usf., wird es ihnen im Verheißenen Lande gut gehen; sonst wird Gott Israel genau das antun, was er mit den anderen Völkern vorhat. Interessanterweise wird diese Sonderstellung Israels hier sowie anderwärts immer wieder auf den Bund zurückgeführt, den Gott mit den Erzvätern geschlossen hat, z. B.: "So gedenke des Ewigen, deines Gottes, denn er ist es, der dir Kraft gibt, Vermögen zu schaffen, auf daß er seinen Bund halte, den er deinen Vätern geschworen, wie jetzt geschieht." (Dwarim 8:18, ins Deutsche von N. H. Tur-Sinai)
Bekanntermaßen wird zuerst Abraham, dann Isaak und schließlich Jakob jeweils auserwählt. Mit Jakob bzw. Israel hört das Auswahlverfahren auf; es ist seine Nachkommenschaft, die Gottes eigenes Volk bildet. Den Anspruch auf diese Sonderstellung - oder die Pflicht, in dieser Rolle zu figurieren - haben wir also ausschließlich deswegen, weil wir Israels Nachkommen sind. Gottes Volk sind wir also nicht deswegen, weil wir die Torah am Sinai bekommen haben, sondern im Gegenteil: Die Torah haben wir bekommen, weil wir Gottes Volk sind, was wiederum unserer Blutlinie entspringt.
Und das erinnert mich an eine Erfahrung, die meine Gedanken wohl geprägt hat: Vor ein paar Jahren - das war kurz vor dem israelischen Unabhängigkeitstag - habe ich im Rahmen meines politischen Engagements eine neue Unabhängigkeitserklärung für den Staat Israels verfasst; die bisherige hat recht wenig mit dem Judentum zu tun, also habe ich sie umgeschrieben und dabei den ursprünglichen Stil bewährt, damit die Korrekturen gleich auffallen. Zum Beispiel: Ben-Gurions Fassung fängt mit folgender Aussage an: "Im Lande Israels kam das jüdische Volk zustande [...]"; dies habe ich in der ersten Fassung (es gab mehrere) ersetzt durch: "Am Berg Sinai entstand das Volk Israel [...]". Die verbesserte Erklärung habe ich herumgeschickt; die Resonanz war i. d. R. positiv, manchmal wurde auch Kritik geäußert. Eine Antwort bewahre ich besonders gut auf, nämlich die von Rabbiner Uri Sherki, der in derselben politischen Bewegung mitwirkt und mir damals Folgendes geschrieben hat:
Meiner Meinung nach gilt die Aussage, dass das Volk Israel am Berg Sinai geboren wäre, als Ketzerei [doppelte Hervorhebung im Original], weil sie den nationalen Charakter Israels leugnet und unsere ganze Identität auf religiöser Grundlage aufbauen möchte [...] Es sei daran erinnert, dass Mose der ultra-orthodxen Versuchung widerstand, mit der Gott ihn prüfen wollte, als er ihm sagte, er würde Israel vernichten, weil es gegen die Sinai-Lehre verstieß; da erwiderte Mose [Schmot 32:13]: "Gedenke es Abraham, Jizhak und Israel [deinen Knechten, denen du bei dir geschworen hast...]" - das heißt, dass [das Volk] Israel zuallererst Nachkommen der Erzväter und erst nachher [=daraufhin] Jünger Moses sind.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Übertrittsfrage recht schwierig. Im Gegensatz zum Christentum, das auf dem Glauben an die heilsgeschichtliche Rolle Jesu, d.h. auf einer Idee basiert, zu der man sich "einfach" bekennen kann, spielt im Judentum die Idee (verkörpert v. a. im jüdischen Recht) eine erst zweitrangige Rolle; sie unterliegt nämlich dem (angeblich) objektiven Umstand, dass man Jude ist (oder nicht). So dürfen sich Nichtjuden z. B. nicht an die Schabbes-Vorschriften halten; sonst sollten sie mit dem Tode bestraft werden. Übertrittskandidaten, die sich auf ihr neues Leben vorbereiten, müssen daher jeden Schabbes einen kleinen Verstoß gegen die Schabbes-Vorschriften begehen. Erst wenn man Jude wird, darf bzw. muss man sich an das jüdische Recht halten. Doch wie kann man eigentlich Jude werden, wenn es auf ein Glaubensbekenntnis ankommt, d.h. wenn die Sache von vornherein nicht universell gemeint ist?
Diese Frage beantwortet die lurianische Kabbalah mithilfe von Begriffen ("Funken" und "Schalen") aus dem eigenen System dieser Mystik. Sieht man davon ab, so bleibt die rechtsphilosophische Frage bestehen: Wie kann ein nichtjüdisch Geborener in eine fremde Blutlinie eintreten?
Im Judentum gibt es eigentlich keine Nachnamen; man (X) ist der Sohn (bzw. die Tochter) seines Vaters (Y) und seiner Mutter (Z), je nach der Situation: Wenn man bspw. in der Synagoge zum Lesen von der Thora aufgerufen wird, heißt man "X, der Sohn von Y". Wenn man aber - Gott behüte - krank wird und andere wollen Gott um seine Genesung bitten, heißt er "X, der Sohn von Z". Und warum habe ich es erwähnt? Weil Proselyten, die als Neugeborene nichts mehr mit den biologischen Eltern zu tun haben sollen, interessanterweise dem Erzvater Abraham und der Erzmutter Sarah zugeschrieben werden, was nun genauso für die Araber in ihrer Rolle als Ismaeliten sowie für die Christen in der Rolle Esaws gilt.
Mit anderen Worten: Proselyten werden - auch bzw. gerade nach dem erfolgreichen Übertritt - nicht dem Erzvater zugeschrieben, der am Ende des göttlichen Auswahlverfahrens steht: Jakob bzw. Israel. Der Bezug des Proselyten auf die Blutlinie Israels ist also eher problematisch, d.h. ein nichtjüdisch Geborener kann in diese Blutlinie nicht wirklich eintreten. Dies hat z. B. zur Folge, dass einem Priester (heb. Cohen) eine Proselytin verboten ist (d.h. er darf sie nicht heiraten oder begatten).
In diesem Zusammenhang wäre es wohl gut zu bemerken, dass im Judentum - im Gegensatz zur üblichen (aber falschen) Meinung - nicht die Mutter, sondern der Vater die Blutlinie bestimmt (vgl. etwa bei Leviten im Allgemeinen und bei Priestern im Besonderen). Nur bei Mischehen jeder Art wird der Vater ausgeschlossen und die Blutlinie nach der Mutter bestimmt. Und dennoch: Eine jüdisch Geborene, bei der die Mutter zwar Jüdin, der Vater aber keiner ist, ist einem Priester ebenfalls verboten.
Bei den Kindern des (bzw. der) Proselyten tritt diese Schwierigkeit übrigens nicht mehr auf. Das Kind X ist dann einfach der Sohn (bzw. die Tochter) des Vaters Y und der Mutter Z (der übergetretene Elternteil hat bei seiner Neugeburt einen neuen, hebräischen Namen bekommen).
a gut Woch,
Yoav
P.S. Woran lässt sich eine gute Bibelübersetzung am schnellsten erkennen? Eine Faustregel: Man schlägt die erste Seite auf und prüft, ob in Bereschis (1. Mose) 1:5 nicht "erster Tag" oder "Tag eins", wie in den christlichen Übersetzungen üblich, sondern "ein Tag" geschrieben steht. Der Grund für diese im hebräischen Original vorhandene Differenzierung ist, dass es bis zum zweiten Tag noch keine Reihenfolge und folglich auch noch kein erster Tag gab. Unter den deutsch-christlichen Übersetzungen ist die revidierte Elberfelder m. W. die einzige, die diese Prüfung besteht.
10 Kommentar(e):
B"H
Hi Yoav, die Antwort des Machon Meir - Rabbi konnte ich nicht ganz nachvollziehen.
Vor allem in der Kabbalah heisst es, dass die Israeliten vor dem Berg Sinai und mit Erhalt der Thora zu einem Volk wurden. Es heisst, dass 600.000 Juden anwesend waren.
Nun kommt natuerlich die Frage auf, was mit Konvertiten passiert.
Die Kabbalah geht davon aus, dass alle juedischen Neshamot bei der Vergabe der Thora anwesend waren. Auch jene, der Konvertiten.
Der Vilna Gaon vertritt dazu noch eine ganz andere Meinung:
Wie es in der Midrash heisst, fragte G - tt vorher ALLE anderen Voelker, ob sie die Thora haben wollen, was die Voelker ablehnten.
Laut dem Vilna Gaon gab es aber innerhalb dieser Voelker Mneschen, die durchaus die Thora akzeptiert haetten und genau jene sind die heutigen Konvertiten. Besser, ihre Neshamot.
Eine andere kabbalistische Idee ist, die vom Shevirat HaKelim und die zu reparierenden Nezizot, von der man genauso Neshamot ableiten kann.
Ich hoere oft, dass es rassistisch sei zu sagen, Juden haetten eine besondere Neshama (Elokit).
Einem jued. Freund gab ich dazu einen Beweis, indem ich ihm folgende Frage stellte:
Haben Nichtjuden am Shabbat eine Neshama Yeterah ?
Damit hatte sich die Frage fuer ihn erledigt.
Gruesse nach Berlin.
Hallo Miriam,
so habe ich mir lange auch gedacht. Vor allem wegen der Verse, in denen Israel erst und gerade im Zusammenhang mit dem Erhalt des neuen Rechts zu Gottes eigenem Volke wird (vgl. 2. Mose 19:5-6; 3. Mose 26:12; 5. Mose 4:20, 7:6, 14:2, 26:18).
Demgegenüber gibt es die Verse, in denen das Ganze ausschließlich auf Gottes Schwur an die Erzväter zurückgeführt bzw. damit begründet wird. Anscheinend ist beides sehr eng miteinander verbunden: So schließt sich der Jude nicht nur Moses Bund, sondern auch Abrahams Bund an (indem er seinen Sohn beschneiden lässt und damit seine eigene Bescheidung rückwirkend bestätigt).
Aber wie verhalten sich die beiden Etappen zueinander? Spitzfindig formuliert: Schließen wir uns Abrahams Bund an, weil es in der Thorah steht, oder haben wir die Thorah erhalten, weil wir der Erzväter Nachkommen sind?
Mir scheint, dass Moses Bund von Abrahams abhängig ist. Nur so lassen sich beide "Versgruppen" einleuchtend, also folgerichtig miteinander vereinbaren. Zudem wird die Beschneidung auch in der Torah selbst nicht vom Sinai abhängig gemacht: Die Kinder Moses werden lange vor dem Erhalt der Thorah am Sinai beschnitten; auch die Israeliten lassen sich erst im Lande Israels (wieder) beschneiden. Gerade beim Wüstenzug Israels gibt es findet Bescheidung statt. Weitere "Beweisstücke": Der Jude kommt bereits mit 8 Tagen in Abrahams Bund, aber erst mit 13 Jahren in Moses Bund mit Gott. Warum? Denn ohne die Beschneidung darf man nicht vom Pessach(-opfer) essen. Pessach = Erste Erlösung = Erhalt der Torah. Das heißt: Ohne Beschneidung (Abrahams Bund) gibt es keinen Anspruch auf die Torah (Moses Bund).
Daher kann (und soll) man sagen, dass wir Gottes Recht erhalten haben, weil wir Nachkommen der Erzväter sind, denen er geschworen hat etc.
Die von dir erwähnten Sichtweisen der Übertrittsfrage sind mir bekannt; im Grunde genommen wollen sie alle darauf hinaus, dass die Proselyten noch vor ihrem Übertritt eigentlich schon "versteckte" Juden waren (die "Funken" sehnen sich "nachhause" usw.). Das rührt wiederum daher, dass Übertritte wegen des fehlenden Anspruchs auf die Thorah nur schwer zu rechtfertigen sind. Indem man die Seele heranzieht, kann man einen sozusagen "höheren" Bezug auf Israels Blutlinie herstellen und auf diese Weise die "objektive" Schwierigkeit des fehlenden Anspruchs umgehen.
Aufgrund der Zurückführung der Proselyten auf Abraham und Sarah lässt sich jedoch vermuten, dass sie eine Zwischenstellung haben, als würde man sagen: Vorerst seid ihr mit Israel verwandt, und wenn es sich herausstellt, dass ihr es mit Recht geworden seid - dann werden euere Kinder richtig in die Geschlechterfolge eintreten.
B"H
Hi Yoav,
ich habe Deinen Text mit in meinen Kommentar genommen, damit ich auch nichts vergesse. Meine Anwort ist in GROSSBUCHSTABEN verfasst:
Demgegenüber gibt es die Verse, in denen das Ganze ausschließlich auf Gottes Schwur an die Erzväter zurückgeführt bzw. damit begründet wird. Anscheinend ist beides sehr eng miteinander verbunden: So schließt sich der Jude nicht nur Moses Bund, sondern auch Abrahams Bund an (indem er seinen Sohn beschneiden lässt und damit seine eigene Bescheidung rückwirkend bestätigt).
AVRAHAM WAR DER ERSTE JUDE EBEN DURCH DIE BESCHNEIDUNG. SCHON FRUEH VERSPRACH G - TT AVRAHAM DEN EWIGEN BUND MIT DESSEN NACHFAHREN UND SOWOHL MOSHE ALS AUCH DIE ISRAELITEN (AUSSER DER ANWESENDEN EREV RAV) SIND DIE NACHKOMMEN AVRAHAMS.
Aber wie verhalten sich die beiden Etappen zueinander? Spitzfindig formuliert: Schließen wir uns Abrahams Bund an, weil es in der Thorah steht, oder haben wir die Thorah erhalten, weil wir der Erzväter Nachkommen sind?
MEINE ERSTE ANTWORT BEANTWORTET SCHON DEINE ZWEITE FRAGE. DER BUND BESTAND MIT AVRAHAM UND WURDE AUF DIE NACHKOMMEN UEBERTRAGEN. ES HEISST, DASS WIR HEUTE NOCH VON DEN MIDOT UNSERER VORVAETER ZEHREN.
Mir scheint, dass Moses Bund von Abrahams abhängig ist. Nur so lassen sich beide "Versgruppen" einleuchtend, also folgerichtig miteinander vereinbaren. Zudem wird die Beschneidung auch in der Torah selbst nicht vom Sinai abhängig gemacht: Die Kinder Moses werden lange vor dem Erhalt der Thorah am Sinai beschnitten; auch die Israeliten lassen sich erst im Lande Israels (wieder) beschneiden. Gerade beim Wüstenzug Israels gibt es findet Bescheidung statt.
SOWEIT MIR BEKANNT IST, FAND IN DER WUESTE KEINE BRIT MILAH STATT. ES GIBT EINIGE MEINUNGEN DARUEBER UND EINE DAVON LAUTET AUS GESUNDHEITL. GRUENDEN.
Weitere "Beweisstücke": Der Jude kommt bereits mit 8 Tagen in Abrahams Bund, aber erst mit 13 Jahren in Moses Bund mit Gott. Warum? Denn ohne die Beschneidung darf man nicht vom Pessach(-opfer) essen. Pessach = Erste Erlösung = Erhalt der Torah. Das heißt: Ohne Beschneidung (Abrahams Bund) gibt es keinen Anspruch auf die Torah (Moses Bund).
ZUM ALTER DER BAR MITZWA MIT 13 GIBT ES SICHER VIELE MEINUNGEN. ICH HABE DIE GRUENDE SCHONMAL GELERNT, ABER IMMER WIEDER VERGESSEN.
ICH GLAUBE, ES HATTE ETWAS DAMIT ZU TUN, DASS JEMAND IM ALTER VON 13 SICH SEINER VERGEHEN BEWUSST IST UND SOMIT VERANTWORTUNG TRAGEN KANN. AB DEM ALTER IST ER FUER SEIN LEBEN SELBST VERANTWORTLICH, HEISST, ER MUSS AM YOM KIPPUR BEREUEN UND DIE VERANTWORTUNG TRAGEN.
IM ORTHOD. JUDENTUM GIBT ES KEINEN ANSPRUCH AUF DIE THORA OHNE BRIT MILAH. EIN UNBESCHNITTENER KANN NICHT MITGLIED DES BUNDES SEIN.
Daher kann (und soll) man sagen, dass wir Gottes Recht erhalten haben, weil wir Nachkommen der Erzväter sind, denen er geschworen hat etc.
Die von dir erwähnten Sichtweisen der Übertrittsfrage sind mir bekannt; im Grunde genommen wollen sie alle darauf hinaus, dass die Proselyten noch vor ihrem Übertritt eigentlich schon "versteckte" Juden waren (die "Funken" sehnen sich "nachhause" usw.). Das rührt wiederum daher, dass Übertritte wegen des fehlenden Anspruchs auf die Thorah nur schwer zu rechtfertigen sind. Indem man die Seele heranzieht, kann man einen sozusagen "höheren" Bezug auf Israels Blutlinie herstellen und auf diese Weise die "objektive" Schwierigkeit des fehlenden Anspruchs umgehen.
Aufgrund der Zurückführung der Proselyten auf Abraham und Sarah lässt sich jedoch vermuten, dass sie eine Zwischenstellung haben, als würde man sagen: Vorerst seid ihr mit Israel verwandt, und wenn es sich herausstellt, dass ihr es mit Recht geworden seid - dann werden euere Kinder richtig in die Geschlechterfolge eintreten.
IM TALMUD YEVAMOT 46 + 47 WIRD DAS THEMA GIUR GANZ GROSS DISKUTIERT. DIE ANSICHTEN SIND GETEILT, DENNEINIGE RABBIS SEHEN KONVERTITEN ALS PLAGE FUER DAS JUED. VOLK UND ANDERE WIEDERUM SEHEN SIE ALS VERSTECKTE SEELEN.
DIE THORA SCHREIBT VOR, DASS EIN KONVERTIT OHNE EINSCHRAENKUNGEN ANERKANNT WERDEN MUSS. GESETZ DES FALLES, DAS ES SICH UM EINEN ERNSTHAFTEN KONVERTITEN, DER DIE MITZWOT HAELT, HANDELT.
HEUTZUTAGE SEHEN DABEI THORA UND PRAXIS ETWAS ANDERS AUS.:-)
http://hamantaschen.blogspot.com/2007/02/giur-und-halacha.html
1. "Gerade beim Wüstenzug Israels gibt es findet Bescheidung statt."
- das ist ein Typo meinerseits. Da stand nämlich "gibt es keine [...]" und dann wollte ich "gibt es" durch "findet [...] statt" ersetzen, dabei aber das falsche Wort ("keine") ersetzt und das Resultat - wie typisch - nicht gelesen. Dass der Satz als Negation zu verstehen ist, geht aber schon aus den vorangehenden Sätzen hervor. Denn ich will dort ja genau darauf hinaus, dass am Sinai und überhaupt beim Wüstenzug keine Bescheidung stattfand.
2. Das mit den gesundheitlichen Gründen wäre plausibel, wenn Israel beim Wüstenzug nicht weit "Schlimmeres" durchgemacht hätte. Und außerdem wäre zu fragen, wodurch sich die "linksjordanischen" Bedingungen so sehr von den "rechtsjordanischen" hätten unterscheiden sollen. Vielmehr ist die verspätete Massenbeschneidung - zumindest m. M. n. - auf den folgenden Zusammenhang zurückzuführen: Die Beschneidung verkörpert Gottes Bund mit Abraham, der sich vornehmlich auf das Land bezieht (die Thorah wird nicht einmal erwähnt). Daher findet die Massenbeschneidung erst dann statt, nachdem Israel ins Land gekommen ist. (Hier tauchen viele andere Frage auf, auf die ich jetzt aber nicht eingehen will; nur die verspätete Beschneidung wollte ich verständlich machen.)
3. Es gibt drei verschiedene Bünde in der jüdischen Heilsgeschichte: I. Brit Noach; II. Brit Awraham (die später bei den auserwählten Isaak und Jakob bestätigt wird); III. Brit Moshe. Ein guter Grund, die beiden Bünde nicht miteinander zu vermischen, findest du in 1. Mose 18:8.
4. Das mit dem Alter (12 bzw. 13) als Kriterium für den Eintritt in Moses Bund ("ol Thorah") ist eine relativ späte Entwicklung, bedingt durch die allmähliche Verfeinerung der Gesellschaft. Das frühere (rein körperliche) Kriterium findest du etwa in der Mischna, Trak. Nidah 6:12.
5. Abraham war bestimmt nicht "der erste Jude", eigentlich war er gar kein Jude, nicht einmal Israelit. Beschnitten wurden übrigens auch viele andere außer Abraham (vgl. 1. Mose Kap. 17).
Und natürlich habe ich das Wichtigste vergessen:
Wie man es auch immer dreht und wendet, bleibt der Übertritt stets eine Schwierigkeit, stets zu rechtfertigen (ob und wie man es erfolgreich rechtfertigt oder nicht, ist eine andere, zweitrangige Frage) - im Gegensatz zu anderen Religionen, in denen die Konversion nicht nur positiv bewertet, sondern ja auch erwartet wird. Dieser Unterschied rührt, wie gesagt, daher, dass die jüdische "Botschaft" nicht universell gemeint ist, sondern sich auf Israels Blutlinie beschränkt.
Im Übrigen gibt es in der Thorah selbst keine rechtliche Grundlage für den Übertritt; ganz im Gegenteil, das Wort "Ger", das im Talmud "Proselyt" bedeutet, kommt in der Thorah ausschließlich im Sinne von "Fremdling" vor. Auch das weist darauf hin, dass diese Möglichkeit eigentlich nicht vorgesehen war (später kommt die Geschichte von Ruth, aber das ist wiederum was anderes).
"Abraham war bestimmt nicht "der erste Jude", eigentlich war er gar kein Jude, nicht einmal Israelit. "
Das habe ich von einem Rabbiner der Berliner Jeschiwa anders vernommen, seiner Aussage nach, gilt Abraham im Judentum als der erster Jude.
Zum Begriff Gerim, siehe hier:
"In der Tora Israels besteht der Gijur-Begriff aus zwei verschiedenen und voneinander unabhängigen Teilen: Ger-Toschaw
("Beisaßproselyt") und Ger-Zedek ("Proselyt"). Der Ger-Toschaw
("den wir unter uns im Lande Israel wohnen lassen dürfen",
Maimonides, Gesetze von den verbotenen Beziehungen, 14.Kap.) steht weder in körperlicher Verbindung mit der israelitischen Nation noch schließt er sich ihr an, desgleichen ist er nicht zum Eintritt unter die
Fittiche der göttlichen Präsenz durch Erfüllen ihrer Tora und ihrer
Gebote, sondern nur dem allgemein-menschheitlichen Gesetz und des Gebotenen bezüglich der Ablehnung des Götzendienstes samt seiner Perversionen verpflichtet, den noachidischen Gesetzen, wie sie in G~ttes Tora offenbart wurden. Dem steht die vollständige und absolute Konvertierung, die Verbindung mit und der vollkommene Anschluß an die israelitische Nation mit dem Eintritt unter die Schwingen der göttlichen Präsenz und der Erfüllung ihrer Tora und ihrer Gebote gegenüber. Anders als der Ger-Toschaw, der das volle Maß der Pflichterfüllung und die für ihn geltenden Gebote in seiner
Eigenschaft als Mensch bestimmt, kommt der Ger-Zedek aufgrund
einer Entscheidung, die auf innerlicher, außergewöhnlicher und
besonderer Erkenntnis und dem Gefühl beruht, das ihm die
Lebensnotwendigkeit von Selbstverpflichtung und Hingabe zu dem offenbart und vorschreibt, wozu er seitens seiner Zugehörigkeit zur
allgemeinen Menschheit nicht verpflichtet ist: Israel anzuhängen und in ihm in Geist und Tat aufzugehen."
Liebe Yael,
mit unbegründeten Aussagen kann ich nicht viel anfangen. Tatsache ist jedenfalls, dass Abraham zwei Generationen vor Israel und drei vor Juda figuriert.
Zudem steht er, wie gesagt, erst am Anfang des Auswahlverfahrens. Wenn er schon ein "vollendeter" Israelit/Jude gewesen wäre, müsste Ismael ebenfalls als solcher gelten. Nun ist es aber so, dass nicht die Nachkommen Abrahams, auch nicht die Nachkommen Isaaks, sondern erst und ausschließlich die Nachkommen Israels dem Volke angehören.
Was dein Zitat angeht, so fehlt da der Literaturhinweis. Jedenfalls gibt es in der Bibel noch gar keinen "Ger Toschaw", d.h. ansässigen Fremdling (das hat übrigens noch nichts mit Proselyten zu tun). Der Grund ist einfach: Die andere Bedeutung, "Ger Zedek", also der gerechte Fremdling, taucht erst viel später auf. Folglich braucht die Bibel gar keine Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen treffen: Für die Bibel gibt es nur den einfachen "Ger", den Fremdling. Proselyten und die Möglichkeit des Übertritts kennt sie gar nicht. Es sei auch daran erinnert, dass selbst Ruth, die man gerne als das Vorbild des Übertritts darstellt, eigentlich eine Frau war, was im biblischen Zusammenhang das ganze Problem erheblich entschärft.
Das beste Beispiel für die große Problematik der Übertrittsfrage bleibt aber, dass selbst die größten Befürworter von Übertritten diese Möglichkeit immer wieder neu rechtfertigen müssen. Das rührt daher, dass die schriftliche Tora diese Möglichkeit nicht einmal impliziert. Die ganze Vorstellung ist dem israelitischen Selbstverständnis fremd: Wenn man aufgrund der Blutlinie allein ein vollkommener Jude ist, wieso sollen Fremdlinge Juden werden können? Diese einfache Frage ist die Grundlage der ganzen Problematik.
Man kann es vielleicht besser verstehen, wenn man das Judentum mit einer anderen Religion vergleicht, dem Christentum: Da braucht der Übertritt gar nicht gerechtfertigt zu werden, weil er die Grundlage dieser Religion bildet. Dementsprechend wird aber das "Christentum" nicht ererbt, sondern es müssen auch die Nachkommen (neu) getauft werden. Demgegenüber brauchen im Judentum die (notabene männlichen!) Nachkommen nicht in den Bund Abrahams gebracht zu werden, um Juden zu werden, sodern ganz im Gegenteil: Sie müssen die Brit Milah durchmachen, weil sie schon Juden sind, und zwar ausschließlich aufgrund ihrer Blutlinie.
Ja, sorry, hab vergessen die Quelle anzugeben. Hier ist sie:
http://www.kimizion.org/i3lngiur.html
Wie erklärst du dir dann immer wieder die Erwähnung bei Kommentaren für die Paraschoth?
Hier mal ein Beispiel:
" Eine Gesellschaft, die sich von den sozial schwächer Gestellten abwendet, keine Hilfe leistet, und in der jeder nur seine eigenen Interessen im Auge hat, ist mitschuldig an den daraus resultierenden Missständen. Unser Urvater Awraham, der erste Jude, war ein leuchtendes Beispiel für Gastfreundschaft und Geleit. Ein Beispiel, das für alle Generationen gültig und verpflichtend ist."
http://www.hagalil.com/judentum/torah/zwi-braun/5-shoftim-02.htm
Und wie gesagt, ich habe den Berliner Yeschiwa Rabbiner explitit danach gefragt, ob Abraham bereits als Jude gilt. Er bejahte das. Manche sagen auch, er wäre der erste Konvertit.
Und noch eine Frage, ich bin orthodox konvertiert, bin ich deswegen weniger Jüdin als eine Geborene?
1. Viele verwenden Begriffe in undifferenzierter Weise, d.h. ohne darauf zu achten, was sie eigentlich bedeuten. Jedenfalls obliegt es ausschließlich ihnen, ihre Aussagen zu begründen. Die bloße Tatsache, dass jemand Rabbiner ist oder dass etwas im Rahmen eines Parscha-Kommentars geschrieben wurde, bildet notabene noch keine Begründung.
2. Schließlich kommt es darauf an, was man unter dem Begriff "Jude" verstehen will. Dieser Begriff kommt in der Bibel in zwei verschiedenen Zusammenhängen vor (beide Quellen sind übrigens in chronologischer Hinsicht sehr spät). Daher gibt es m. E. zwei Möglichkeiten, ihn zu verstehen:
(I) "Jude" im Sinne der Bücher Esra u. Nechemja, d.h. jemand, der auf den Stamm Juda und mithin auf den gleichnamigen Sohn Jakobs zurückgeführt wird; diese Möglichkeit trifft aus chronologischen Gründen auf Abraham nicht zu.
(II) "Jude" im Sinne von Megilat Esther, z. B. Kap. 2 Vers 5: "In der Burg Susa lebte ein Jude namens Mordechai. Er war der Sohn Jaïrs, des Sohnes Schimis, des Sohnes des Kisch, aus dem Stamm Benjamin. (איש יהודי היה בשושן הבירה ושמו מרדכי בן יאיר בן־שמעי בן־קיש איש ימיני)" Hier hat der Begriff ungefähr die heutzutage übliche Bedeutung; er steht nämlich für jemand, der einer jüdischen Religion, einem jüdischen Glauben angehört, also für einen "Israeliten". In diesem Sinne ist es zwar nicht unmöglich, aber schon recht schwierig, den Begriff auf Abraham anzuwenden (vgl. 1. Mose 18:8).
All das will nicht sagen, dass Abraham nun weniger wichig wäre o. Ä., sondern es soll einfach begriffliche Klarheit schaffen.
3. Wie du weißt, bist du jetzt die Tochter Abrahams und Sarahs, die m. E. keine hundertprozentigen Juden (im Sinne von Israeliten) waren, da Abraham ein Auswahlverfahren eröffnete, das erst mit Jakob bzw. Israel vollendet wurde. Außer der Blutlinie ist mir jedoch kein objektiver Maßstab zur Bemessung von Jüdischsein bekannt. Ob das Jüdischsein aber in jeder Hinsicht ein Kompliment sein muss?
Im Übrigen gibt es neben dem Jüdischsein eine womöglich noch wichtigere Tugend, nämlich die Jiddischkeit. Bislang habe ich mehrmals das Vergnügen gehabt, Proselyten kennen zu lernen, die manch jüdisch Geborene an Jiddischkeit längst übertreffen.
Danke für deine Erklärungen.
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