Montag, 10. September 2007

Nachträgliches Abschiedsgeschenk: Der offizielle Falafel-Guide für Berlin

Liebe Leser,

als Zeichen meiner großen Dankbarkeit für alles, was ich in dieser faszinierenden Metropolis erleben durfte, möchte ich Berlin seinen ersten professionellen Falafel-Guide überreichen (1., überarb. u. erw. Ausgabe):


1. Türkisch oder arabisch?

Der eigentliche Grund, weshalb der Oberste Israel ein Land verheißen hat, das gerade zur Zeit der letzten Erlösung von Arabern besetzt wird, ist natürlich die fabelhafte arabische Küche, welche irdische Zutaten in himmlische Erfahrungen zu verwandeln vermag und auf diese Weise ihren eigenen Beitrag zum Tikkun Olam, der Vervollkommnung der Welt in Gottes Reich leistet.

Aber Wie kann man schnell und bequem feststellen, ob es sich um einen türkischen oder arabischen Laden handelt, und zwar selbst dann, wenn alles nur auf (gebrochenes) Deutsch geschrieben steht?

Laut einigen Talmudstellen soll es ganz einfach sein: Wenn im Laden Döner angeboten wird, ist der Laden türkisch; wird jedoch Schawarma angeboten, so ist der Laden arabisch. Uns geht es jetzt zugegebenermaßen nicht um Fleischiges, aber anhand dieser Hinweise können wir uns schnell entschließen, ob wir dem Laden überhaupt eine Chance geben wollen.

Übrigens: Das W in "Schawarma" wird so ausgesprochen wie die Kombination Wh im englischen "Why?".


2. Auf die Soße kommt's an

Die Herkunft der komischen weißen Sesam-Knoblauch-Kräuter-Joghurt-Soße ist mir noch nicht ganz klar: Mancher sagt, die Türken hätten sie nach Deutschland mitgebracht, doch andere behaupten, dass es selbst in der Türkei nicht so schlimm sei und die Soße als türkischer Anpassungsversuch an den deutschen Speck-und-Schmalz-Geschmack entstanden sei. Im Land der Sonne, Anschläge und Palme ist sie jedenfalls völlig unbekannt; daher ist von ihr nur abzuraten.

Statt dessen ist die herkömmliche Sesamsoße zu empfehlen, nämlich die Tchina (Heb.) oder Tachini (Arab.), die in Berlin leider nur selten angeboten wird. Dafür gibt es aber einige nette Verkäufer, die diese Soße gerne auf der Stelle extra vorbereiten, sobald sie den Kunden trotz seiner osteuropäischen Gesichtszüge als ihresgleichen erkannt haben. Andere Verkäufer brauchen a bissl Zeit, bis der Kunde als Stammgast aufgenommen und dementsprechend behandelt wird.

Hat der Kunde jedoch großen Hunger und mithin keine Lust zu warten, bis die Soße vorbereitet wird, so kann er auf etwas anderes zurückgreifen, nämlich den Chumussalat. Bei den Arabern fast verboten, gilt die Zusammenstellung von Falafelkugeln, die eigentlich selbst aus Chumus bestehen, einerseits und Chumussalat andererseits in Israel vielerorts als Standard. Im Übrigen ist beim Schawarmaverzehr der Zusatz von Chumussalat immer empfehlenswert.

Bei der Soßenauswahl bekundet sich schnell, mit was für einer Geschäftsidee der Kunde hier zu tun hat. Hat der Verkäufer daran Spaß, seine Gäste zu ernähern, oder geht es ihm nur ums Geld? Mit anderen Worten: Ist man nur Kunde oder vor allem auch Gast? Leider gibt es in Berlin, selbst unter den Arabern, zahlreiche Verkäufer, die ihre Kundschaft missachten und gegen jede Änderung bei der Soßenauswahl noch €0,50 verlangen. Abgesehen von der Tchina, die manchmal extra vorbereitet werden muss, ist die verdächtige Joghurtsoße für den Ladenbesitzer eigentlich teurer als der Chumussalat. Ein Verkäufer, der für die Änderung extra verlangt, freut sich nicht darüber, dass er endlich einen Sachverständigen vor sich hat, sondern versucht unberechtigterweise nur noch mehr Geld zu gewinnen. Kommt es dazu, so soll sich der Kunde am besten gleich verabschieden; ansonsten schadet er nicht nur seiner eigenen Bewirtungserlebnis, sondern auch der künftiger Kunden.


3. Unser tägliches Brot

Im Gegensatz zur jahrzehntelangen israelischen Tradition wird der Falafel in anderen Ländern des Orients nicht im "Pita"-Brot, das die Araber schlicht und einfach "Brot" nennen, sondern in der Lafa. Die Lafa ist eine dünne Scheibe schnell gebackener Teig, auf die man die Falafelkugeln und alles andere gibt; dann wird die Scheibe - in der Regel sind es zwei - gerollt. Im Vergleich mit der Pita hat die Lafa zwei deutliche Vorteile aufzuweisen: 1. Sie kann weit mehr Zutaten beinhalten; 2. sie lässt sich nicht so schnell auseinander reißen.


Das kontraproduktive, nur bei den Türken übliche Fladenbroteck ist selbstverständlich um jeden Preis zu vermeiden: Je mehr man in dieses Stück viergeteiltes Brot hineingibt, umso mehr fällt einem auf die Erde runter.


4. Heiß begehrt

Zum Schluss muss die Lafa noch aufgewärmt werden, am besten in einem kleinen Toaster, damit sie a bissl knusprig wird. Nicht immer weiß der Verkäufer, dass der Kunde es sich wünscht, also soll man sicherheitshalber im Voraus darum bitten. Mit der Pita oder dem Fladenbroteck ist es natürlich unmöglich, es sei denn, man wärmt bereits im Vorfeld nur das Brot auf - aber dann bleiben alle Beilagen kalt. Nur die gerollte Lafa lässt sich problemlos im Toaster aufwärmen.

In manchen Läden gibt es leider keinen Toaster. Da zieht man des Öfteren die Mikrowelle heran, von der grundsätzlich abzuraten ist, weil sie die Qualität des Teiges herabsetzt.


5. Der Geschmack

...ist natürlich eine Geschmacksache. Doch eines muss klar sein: Die Falafelkugeln dürfen selbst auf keinen Fall scharf schmecken; sonst kann man den Geschmack des Chumus, aus dem die Kugeln gemacht worden sind, so gut beurteilen wie die Qualität von verzuckertem Wein. Die scharfen Gewürze oder Soßen sind immer getrennt und nur auf Wunsch zu servieren.


6. Arabische Gastfreundlichkeit

Es gehört dazu, dass der Verkäufers seine Gastfreundschaft zeigt, indem er euch auf seine Kosten ein Glas Tee bietet. Mancher bietet kleine, andere wiederum große Gläser, bisweilen mit Minzblättern drinnen - ein echter Genuss. Darauf könnt ihr mit einem weiteren Besuch reagieren, und es wäre auch schön, euch mit Trinkgeld zu bedanken.


7. Alkohol

Israelis mögen ihren Falafel sehr gerne mit Bier runterschlucken. Demgegenüber mögen die Deutschen ihr Bier sehr gerne mit Falafel zu würzen. So oder so ist es Muslimen verboten, im Besitz von Alkohol zu sein. Aus geschäftlichen Gründen wird aber in manchen Läden trotzdem Bier u. Ä. angeboten. Ich begleite den Falafel am liebsten mit Tee (s. o.). Sonst würde ich dazu raten, vorerst Alkohol zu vermeiden, wenn man vorhat, sich mit dem Verkäufer zu unterhalten. Nachdem man sich a bissl kennen gelernt hat, weiß man schon, mit was für einem Gastgeber man zu tun hat und ob man sich beim nächsten Besuch über ein erfrischendes Bier freuen kann oder darauf lieber verzichten soll.


8. Der musikalische Mehrwert

In vielen Läden wird arabische Musik gespielt. In der Regel handelt es sich dabei um ein und dieselbe CD oder Kassette, die den Verkäufern längst auf die Nerven geht. Sie machen damit trotzdem weiter, weil sie meinen, es wirkt irgendwie authentischer und zieht die Kunden an. Allerdings kann es mögliche Stammgäste sehr schnell wegtreiben. Manche Verkäufer schalten den CD-Player erst an, wenn ein neuer Kunde den Laden betritt, und dann gleich wieder aus, sobald er den Laden verlassen hat. Andere warten einfach unbewusst darauf, dass jemand ihnen endlich sagt, dass der Falafel in Begleitung von Radio Eins o. Ä. umso besser schmeckt. Eure Aufgabe ist es, diesen Hinweis höflich zu geben, nachdem ihr euch eine Weile mit dem Verkäufer unterhalten habt. Und wie lange dauert eine Weile? Die Weile ist vorbei, nachdem er euch erzählt hat, aus welcher Stadt in welchem Land er kommt und wie der Weg seiner Familie nach Deutschland aussah.


9. Die Kosten

Ein guter Falafel soll €2,00 kosten. 1,50 ist gewissermaßen schon verdächtig, darf jedoch einen Versuch wert sein; 2,50 zwar nicht billig, aber noch zulässig, solange der Verkäufer euch nicht missachtet, indem er für den Soßenumtausch noch 0,50 verlangt. Über 2,50 ist schon zu teuer und lohnt sich in der Regel auch von der Qualität her nicht: Es handelt sich dabei um die bürgerlichen "Falafelcafés", in denen jeder Wunsch extra kostet und selbst die Zahl der Falafelkugeln im Voraus angekündigt wird (es sollen übrigens mindestens vier Kugeln sein, damit ihr in jedem Biss neben den Beilagen auch ein Stück Falafel habt; aber in den guten Läden versteht es sich von selbst).


10. Meine Empfehlung

nach langer Suche habe ich mir den einfach, aber einladend ausgestatteten Imbiss "RAI" ausgewählt, das sich auf der nördlichen Seite der Skalitzer Straße, diagonal unterhalb des Görlitzer Bahnhofs (U1) befindet. Der Besitzer ist ein sehr netter Iraker aus Basra, der zwar eine Mikrowelle benutzt, dies aber mit seiner Freude an den Gästen gutmacht. Auch seine Schawarma erinnert einen ans Paradies.

Alles weitere müsst ihr selbst entdecken - und in diesem Sinne: Guten Appetit!

Falafel in Lafa


...und grüßt Berlin ganz herzlich von mir :-)

1 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Guter Beitrag, nur Absatz zwei muss ich widersprechen!