Samstag, 29. September 2007

Sukkos

a gute Woch,

wer sich zu Sukkos in noch keine Synagoge gewagt hat, dürfte sich für den folgenden Videobeitrag interessieren (aufgenommen bei Chol HaMoed 5767 in Alon Shvut, Israel):



Und apropos korrekte Wünsche: Bei Chol HaMoed (entweder dem von Sukkos oder dem von Pessach) wünscht man kein "Chag sameach" (frohes Fest) bzw. "gut Jontef" (auf Jiddisch), weil es dann im juristisch-halachischen Sinne kein richtiges Fest gibt. Stattdessen begnügt man sich mit "Moadim l'Simcha" (Versammlungstage für Freude), worauf man mit "Chagim uSmanim l'Sasson" (Feste und Zeiten für Fröhlichkeit) antwortet. Diese Formel ist dem besonderen Fest-Kiddusch entnommen: "[...] Du hast uns, Ewiger, unser Gott, mit Liebe Versammlungstage für Freude, Feste und Zeiten für Fröhlichkeit [...] gegeben."

Montag, 24. September 2007

Amerika, die Juden und der Judenstaat

Nach dem heiklen Artikel vom März 2006 ziehen jetzt John Mearsheimer and Stephen Walt mit ihrem eben erschienenen Buch The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy schon wieder viel Aufmerksamkeit auf sich. Die beiden behaupten, dass jüdische Organisationen, aber auch einzelne Juden in den USA die US-amerikanische Außenpolitik allzu stark zugunsten Israels beeinflussen würden, und zwar gegen das angeblich wahre Interesse der USA, die deshalb ins Visier islamischer Militanter geraten seien.

Dazu kann man viel sagen, doch bei der jetzigen Medienresonanz fehlt mir vor allem Folgendes:

1. Die treusten Freunde Israels in den USA sind nicht unbedingt die Juden, sondern vielmehr die zig Millionen ganz gewöhnliche, evangelisch-gläubige Amerikaner, die sich jenseits des verzerrten Amerikabildes befinden, das uns Hollywood gerne verkaufen möchte. Gerade bei den amerikanischen Juden kommt es oft dazu, dass sie sich (aus Angst vor möglicher Kritik?) linksextreme Meinungen zu Eigen machen.

2. Die US-amerikanische Politik lässt sich sowohl in der Gegenwart als auch in der historischen Bilanz kaum als israelfreundlich bezeichnen. Die USA haben z. B. keine Botschaft in Jerusalem, befürworten noch immer Verhandlungen mit der mörderischen Terrormiliz "Fatah" und halten Jonathan Pollard seit mehr als 22 Jahren gefangen. Nur im Vergleich mit der schlichtweg israelfeindlichen EU wirkt Amerika plötzlich "israelfreundlich". In der Tat nutzen die USA Israel aber nur aus, gleichsam einen Bauer auf dem großen Spielbrett der US-amerikanischen Weltpolitik, je nach ihrem jeweiligen Interesse.

3. Israel spielt zwar eine entscheidende Rolle bei der Erweckung des gegenwärtigen Terrorismus, aber nicht gerade deswegen, weil der eher begrenzte Kampf zwischen Israel und manchen Arabern zum Amerikahass unter gläubigen Muslimen sowie nichtgläubigen Arabern beigetragen hat. Israels "Leistung" besteht vor allem darin, dass es den islamischen Terror fast eigenhändig legitimierte und zum nachweislich erfolgreichen Kampfmittel werden ließ. Jitzchak Rabins Händedruck mit Jassir Arafat am 13. September 1993, mit dem dem Terror vor aller Welt Recht gegeben wurde, und den vierfachen Terrorangriff am 11. September 2001, mit dem das neue Rechtsgefühl auch außerhalb Israels zur Geltung kam, verbindet eine klare Linie des moralischen Verfalls: "Wir haben mit dem Tod einen Bund geschlossen und mit der Unterwelt einen Vertrag gemacht" (Jesaja 28:15).

Der allerwichtigste Punkt bei dieser Diskussion ist aber Folgendes:

Selbst wenn die USA wirklich israelfreundlich handelten und nur deswegen von Muslimen gehasst und angegriffen würden, gölte nichts anderes als: Idealismus kostet - nach wie vor! Ist aber die US-amerikanische Gesellschaft grundsätzlich bereit, um Werte und Moral zu kämpfen? Oder sucht sie jetzt nur noch den gemütlichen Ruhestand?

Das ist die eigentliche Frage, die gerade in Bezug auf Israel leider nirgendwo gestellt wird.

Nachtrag [25.09.2007]: Veröffentlicht auch im Zeitgeist und zwar hier.

Mittwoch, 19. September 2007

Korrekte Neujahrswünsche

Endlich habe ich etwas Zeit gefunden, um mein Versprechen vom letzten Beitrag einzuhalten, nämlich zu erklären, was man sich zu den verschiedenen Zeiten im Laufe des Monats Tischrej wünscht. Der Haken daran ist, dass die Wunschausdrücke teilweise sehr eng mit der theologischen Interpretation des jeweiligen Zeitpunktes zusammenhängen. Das heißt also, dass der korrekte Wunsch sich "plötzlich" ändern kann. Daher wird im Folgenden versucht, die Sache chronologisch zu ordnen.

Gregorianische Daten kann ich keine nennen, da der gregorianische Kalender sich stets "bewegt". Im Netz gibt es aber glücklicherweise einen Doppelkalender: www.kaluach.net (einfache, kostenlose Anmeldung ist erforderlich)


1. Einleitung: Was geschieht eigentlich am Neujahr?

Der religiöse Inhalt des Neujahrsfestes besteht vornehmlich im Neujahrsgericht, bei dem das Geschick aller Menschen fürs eben angefangene Jahr festgelegt wird. Davon erzählt der babylonische Talmud (Rosch Haschone 16:2) im Namen von Rabbi Jochanan:

Drei Bücher werden am Neujahr geöffnet: Eines für die durchaus Bösen, eines für die vollkommen Gerechten und eines für die Mittelmäßigen. Vollkommen Gerechte werden gleich fürs Leben [d.h. ins "Buch der Lebenden"] eingeschrieben und besiegelt. Durchaus Böse werden gleich für den Tod [d.h. ins "Buch der Toten"] eingeschrieben und besiegelt. Mittelmäßige bleiben vor Gericht vom Neujahr bis zum Versöhnungstage [am 10. Tishrej] stehen: Sind sie freigesprochen worden, so werden sie fürs Leben eingeschrieben; sind sie nicht freigesprochen worden, so werden sie für den Tod eingeschrieben.


Ferner kommen im "Unser Vater, unser König"-Gebet, das vom Neujahr bis zum Versöhnungstage in der Synagoge aufgesagt wird, das "Buch des guten Lebens", das "Buch der Erlösung und Rettung", das "Buch von Unterhalt und Versorgung", das "Buch der Verdienste" sowie das "Buch von Vergebung und Verzeihung" vor. In einem festlichen Zusatz zum normalen Achtzehn- bzw. Standgebet wird zu dieser Zeit auch das "Buch von Leben, Segen und Frieden, gutem Unterhalt und guten Urteilen, Rettungen und Tröstungen" erwähnt.


2. Ab wann wird gewünscht?

Der sechste Monat, d.h. der Monat vor dem Neujahr, heißt "Elul". In diesem Monat wird wochentags (d.h. täglich außer samstags) nach Schachris, dem Morgengebet, das Schofar geblasen. Auf diese Weise wird an das baldige Neujahrsgericht gemahnt. Ab dem ersten Elul steht also das Neujahr "amtlich" bevor. Wenn man im Elul einem Menschen begegnet, den man bis zum Neujahr wohl nicht mehr sehen wird, kann und soll man ein gutes Jahr etc. wünschen - wie im Folgenden erklärt.

Nebenbei bemerkt: Auf Jiddisch dient "gut Jor" auch zu sonstigen Zeiten als Grussformel, und zwar im Sinne von "hallo"+"lange nicht gesehen".


3. Vom 1. Elul bis zum Mittag des ersten Neujahrstages

Obwohl im 3. Mose 23:24 nur von einem Tag die Rede ist ("im siebten Monat, am ersten Tag des Monats"), dauert das jüdische Neujahrfest zwei Tage, d.h. bis zum 2. Tischrej. Dies gilt selbst im Lande Israels, wo sonst kein Fest verdoppelt wird. Auf die Entstehungsgeschichte dieser Ausnahme möchte ich jetzt nicht eingehen, aber man soll sich zumindest merken, dass von diesen beiden Tagen nur der erste das eigentliche Neujahr ist.

Zu dieser Zeit wünscht man sich "Schana towa", d.h. ein gutes Jahr, sowie "Ktiwa towa waChatima towa", d.h. gute Einschreibung und gute Besiegelung. Beim Schreiben hebt sich der Sprachgebrauch: "Möget ihr für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt werden". Und früher schrieb man: "Möget ihr ins Buch der Lebenden eingeschrieben und besiegelt werden".

Diese Wünsche beziehen sich auf das vorerwähnte Neujahrsgericht. Sie gelten als richtig bis zum Mittag des 1. Tischrej, an dem alle Menschen bereits in das für sie geeignete Buch eingeschrieben worden sind.


4. Vom Mittag des erten Neujahrstages bis zum Vorabend des Versöhnungstages

Vollkommen Gerechte und durchaus Böse sind am ersten Neujahrstage für ihr jeweiliges Geschick im neuen Jahr gleich besiegelt worden. Nicht beschlossen ist noch jenes der Mittelmäßigen - und das sind ja die meisten. Diese können bis zum Versöhnungstage ihr Urteil noch ändern, indem sie sich von ihren Missetaten bekehren. Daher wünscht man zu dieser Zeit noch "Chatima towa", also gute Besiegelung (aber keine "Ktiwa towa" bzw. gute Einschreibung mehr).


5. Am Vorabend des und am Versöhnungstage selbst

Am 10. Tischrej, dem Versöhnungstag, und zwar bei dessen Abenddämmerung, wird auch das Schicksal aller Mittelmäßigen endgültig beschlossen. Zu dieser Zeit wünscht man "Gmar Chatima towa", d.h. gute Endbesiegelung. Zuletzt habe ich bemerkt, dass viele bereits gleich nach dem Neujahrsfest damit anfangen, "Gmar Chatima towa" zu wünschen; das ist aber falsch (wie in Punkt 4 erklärt).

Nebenbei bemerkt: In dieser Formel gibt es einen kleinen grammatischen Fehler, denn "Gmar" ist maskulin und daher sollte es lauten "Gmar Chatima tow" (und nicht "towa"). Aber das macht nichts aus, da wir hier mit einer festen Redewendung zu tun haben.

Nachtrag [23.09.2007]: In israelischen Medien verbreitet sich seit geraumer Zeit der Wunsch "Zom kal" bzw. "leichtes Fasten". Dieser scheint in Widerspruch zum Gebot zu stehen, sich an diesem Tage [durch Enthaltung] zu quälen (vgl. 3. Mose 16:29, 16:31, 23:27, 23:29, 23:32; 4. Mose 29:7). Manche Denker haben aber gesagt, dass mit dem "Quälen" ausschließlich die Enthaltung gemeint ist; und wem das Fasten gut und leicht ergangen ist, der soll sich freuen, weil es demnach ein gutes Vorzeichen sein darf. Ohnehin scheint es mir besser und angebrachter, ein wirksames, verbesserndes Fasten zu wünschen. [Nachtragsende]


6. Vom 11. Tischrej bis zum letzten Sukkoth-Tag

Etwas umstritten ist die aschkenasische Tradition, nach der das Geschick erst an Hoschana Raba, dem letzten Laubhüttenfesttag bzw. den 21. Tischrej, wirklich endgültig besiegelt wird. Diese Auffassung wird von den Opfern abgeleitet, die am 22. Tischrej darzubringen sind, aber darauf wollen wir jetzt nicht eingehen.

Zu dieser Zeit und insbesondere an Hoschana Raba selbst wünscht mancher "Pikta tawa" (auf Aramäisch) oder "gut Quittl" (auf Jiddisch), d.h. einen guten Zettel. Gemeint ist der persönliche Zettel von jedem und jeder, auf dem das heurige Urteil steht und den Gott an diesem Tage seinen Gesandten gibt, damit sie es denjenigen im göttlichen Verwaltungsapparat weitergeben, die das Urteil umzusetzen haben. Nach jüdischer Mystik könne man bis zu diesem Tage und sogar an diesem Tage selbst durch Reue und Umkehr das Urteil auf seinem Zettel noch versüßen. Auch der Brauch, sich in der Nacht von Hoschana Raba mit der Thorah zu befassen, haben jüdische Mystiker mit dieser Quittl-Tradition in Verbindung gebracht (er geht aber wohl darauf zurück, dass diejenigen, welche die 5. Bücher Mose noch nicht durchgelesen haben, dies noch vor Simchat Thorah nachholen wollen). Weil die Quittl-Tradition sehr eng mit jüdischer Mystik zusammenhängt, erfreut sie sich in chassidischen Kreisen größerer Verbreitung als anderwärts.


So, damit ist die Sache hoffentlich etwas verständlicher geworden...

Chatima towa,
Gute Besiegelung!

Mittwoch, 12. September 2007

a gut gebentscht Jor!

Liebe Menschen,

heute Abend (nach eurer Zeitrechnung) bzw. morgen (nach der unsrigen) fängt ein neues Jahr an - 5768. Auf Hebräisch heißt das zweitägige Fest "Rosch HaSchone" oder - in sefardischer Aussprache - "Rosch HaSchana". Im Gegensatz zu den meisten jüdischen Festen, deren Bedeutung eng mit Israel zusammenhängt, ist das allgemeine Neujahr auch euer Fest!

Eine weitere, wenn auch kleine Ausnahme bildet die endzeitliche Zukunft von Sukkuth, dem Laubhüttenfest, wenn alle Menschen jährlich nach Jerusalem reisen und bei uns zu Gast sein sollen (vgl. Secharja Kap. 14). Anders ist es beim allgemeinen Neujahr, das von universeller Bedeutung ist und genauso für euch gilt wie für uns.

Im Judentum gibt es nämlich in jedem beliebigen Kreislauf von 12 Monaten mehrere Neujahre - genau gesagt sind es vier. So kommt es dazu, dass das allgemeine, mit der Schöpfung des Menschen zusammenhängende Neujahr im Monat Tischrej stattfindet, der nach jüdischer Tradition eigentlich der siebte ist. Demgegenüber fängt das biblische, sozusagen innerjüdische Jahr im Monat Nissan statt, in dem Gott Israel von dessen Knechtschaft in Ägypten erlöst hat. Mit diesem Ereignis hängt das wichtige Pessachopfer zusammen, von dem jeder Israelit essen muss und kein Nichtjude, Unbeschnittener (sowie andere, vgl. 2. Mose 12:43-50) verzehren darf. Aber beim allgemeinen Neujahr sind wir alle gleich, denn es wird dann über das Schicksal aller Menschen entschieden - Juden und Nichtjuden zugleich.

In der Zeit vorm sowie beim Neujahr selbst ist es üblich, sich "Ktiwa towa waChatima towa" zu wünschen (vgl. etwa meinen Beitrag vom 2. Sept.); auf Deutsch heißt es: "Gute Einschreibung und gute Besiegelung". Wenn man sich anschreibt, neigt sich der Sprachgebrauch zu heben: "Möget ihr für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt werden". In der nachstehenden Grusskarte findet ihr eine etwas ältere Formel, die sich besser auf den eigentlichen Inhalt dieser Zeit bezieht: "Möget ihr ins Buch der Lebenden eingeschrieben und besiegelt werden":


Gut Jor!


Die übliche Übersetzung ins Deutsche - "Buch des Lebens" - ist übrigens sprachlich falsch, vom Inhalt her aber natürlich in Ordnung.

Für die Zeit nach dem Neujahr und bis zum bevorstehenden Versöhnungstag sowie beim Versöhnungstag selbst und sogar danach gibt es verschiedene Grussformeln, die sehr eng mit der theologischen Interpretation dieser Zeit zusammenhängen und die ich, so Gott will, nach dem Neujahrfest noch erklären werde.

Euch möchte ich aber noch etwas wünschen, und zwar ein Jahr voll Wein. Wein: Das ist ja nicht nur das Getränk, sondern auch die Pflanze, die auf Hebräisch "Gofen" oder - in sefardischer Aussprache - "Gefen" heißt. Ehe wir vom Wein trinken, sagen wir (natürlich auf Hebräisch): "Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du die Frucht des Weins (d.h. die Weintrauben) geschaffen hast." Die Frucht des Weins, das heißt auf Hebräisch: "Pri HaGefen". In dem hebräischen Wort HaGefen - הגפן - gibt es vier Buchstaben, die auf Jiddisch folgendermaßen gedeutet werden:

H: Hazloche - Erfolg
G: Gesunt - Gesundheit
F = Ph = P: Parnosse - Lebensunterhalt
N: Naches - Zufriedenheit, Freude

Hoffentlich war es verständlich... Und wie gesagt:


Möget ihr haben ein Jahr voll Pri HaGefen, voll der Frucht des Weins!Carmel-Wein






Montag, 10. September 2007

Nachträgliches Abschiedsgeschenk: Der offizielle Falafel-Guide für Berlin

Liebe Leser,

als Zeichen meiner großen Dankbarkeit für alles, was ich in dieser faszinierenden Metropolis erleben durfte, möchte ich Berlin seinen ersten professionellen Falafel-Guide überreichen (1., überarb. u. erw. Ausgabe):


1. Türkisch oder arabisch?

Der eigentliche Grund, weshalb der Oberste Israel ein Land verheißen hat, das gerade zur Zeit der letzten Erlösung von Arabern besetzt wird, ist natürlich die fabelhafte arabische Küche, welche irdische Zutaten in himmlische Erfahrungen zu verwandeln vermag und auf diese Weise ihren eigenen Beitrag zum Tikkun Olam, der Vervollkommnung der Welt in Gottes Reich leistet.

Aber Wie kann man schnell und bequem feststellen, ob es sich um einen türkischen oder arabischen Laden handelt, und zwar selbst dann, wenn alles nur auf (gebrochenes) Deutsch geschrieben steht?

Laut einigen Talmudstellen soll es ganz einfach sein: Wenn im Laden Döner angeboten wird, ist der Laden türkisch; wird jedoch Schawarma angeboten, so ist der Laden arabisch. Uns geht es jetzt zugegebenermaßen nicht um Fleischiges, aber anhand dieser Hinweise können wir uns schnell entschließen, ob wir dem Laden überhaupt eine Chance geben wollen.

Übrigens: Das W in "Schawarma" wird so ausgesprochen wie die Kombination Wh im englischen "Why?".


2. Auf die Soße kommt's an

Die Herkunft der komischen weißen Sesam-Knoblauch-Kräuter-Joghurt-Soße ist mir noch nicht ganz klar: Mancher sagt, die Türken hätten sie nach Deutschland mitgebracht, doch andere behaupten, dass es selbst in der Türkei nicht so schlimm sei und die Soße als türkischer Anpassungsversuch an den deutschen Speck-und-Schmalz-Geschmack entstanden sei. Im Land der Sonne, Anschläge und Palme ist sie jedenfalls völlig unbekannt; daher ist von ihr nur abzuraten.

Statt dessen ist die herkömmliche Sesamsoße zu empfehlen, nämlich die Tchina (Heb.) oder Tachini (Arab.), die in Berlin leider nur selten angeboten wird. Dafür gibt es aber einige nette Verkäufer, die diese Soße gerne auf der Stelle extra vorbereiten, sobald sie den Kunden trotz seiner osteuropäischen Gesichtszüge als ihresgleichen erkannt haben. Andere Verkäufer brauchen a bissl Zeit, bis der Kunde als Stammgast aufgenommen und dementsprechend behandelt wird.

Hat der Kunde jedoch großen Hunger und mithin keine Lust zu warten, bis die Soße vorbereitet wird, so kann er auf etwas anderes zurückgreifen, nämlich den Chumussalat. Bei den Arabern fast verboten, gilt die Zusammenstellung von Falafelkugeln, die eigentlich selbst aus Chumus bestehen, einerseits und Chumussalat andererseits in Israel vielerorts als Standard. Im Übrigen ist beim Schawarmaverzehr der Zusatz von Chumussalat immer empfehlenswert.

Bei der Soßenauswahl bekundet sich schnell, mit was für einer Geschäftsidee der Kunde hier zu tun hat. Hat der Verkäufer daran Spaß, seine Gäste zu ernähern, oder geht es ihm nur ums Geld? Mit anderen Worten: Ist man nur Kunde oder vor allem auch Gast? Leider gibt es in Berlin, selbst unter den Arabern, zahlreiche Verkäufer, die ihre Kundschaft missachten und gegen jede Änderung bei der Soßenauswahl noch €0,50 verlangen. Abgesehen von der Tchina, die manchmal extra vorbereitet werden muss, ist die verdächtige Joghurtsoße für den Ladenbesitzer eigentlich teurer als der Chumussalat. Ein Verkäufer, der für die Änderung extra verlangt, freut sich nicht darüber, dass er endlich einen Sachverständigen vor sich hat, sondern versucht unberechtigterweise nur noch mehr Geld zu gewinnen. Kommt es dazu, so soll sich der Kunde am besten gleich verabschieden; ansonsten schadet er nicht nur seiner eigenen Bewirtungserlebnis, sondern auch der künftiger Kunden.


3. Unser tägliches Brot

Im Gegensatz zur jahrzehntelangen israelischen Tradition wird der Falafel in anderen Ländern des Orients nicht im "Pita"-Brot, das die Araber schlicht und einfach "Brot" nennen, sondern in der Lafa. Die Lafa ist eine dünne Scheibe schnell gebackener Teig, auf die man die Falafelkugeln und alles andere gibt; dann wird die Scheibe - in der Regel sind es zwei - gerollt. Im Vergleich mit der Pita hat die Lafa zwei deutliche Vorteile aufzuweisen: 1. Sie kann weit mehr Zutaten beinhalten; 2. sie lässt sich nicht so schnell auseinander reißen.


Das kontraproduktive, nur bei den Türken übliche Fladenbroteck ist selbstverständlich um jeden Preis zu vermeiden: Je mehr man in dieses Stück viergeteiltes Brot hineingibt, umso mehr fällt einem auf die Erde runter.


4. Heiß begehrt

Zum Schluss muss die Lafa noch aufgewärmt werden, am besten in einem kleinen Toaster, damit sie a bissl knusprig wird. Nicht immer weiß der Verkäufer, dass der Kunde es sich wünscht, also soll man sicherheitshalber im Voraus darum bitten. Mit der Pita oder dem Fladenbroteck ist es natürlich unmöglich, es sei denn, man wärmt bereits im Vorfeld nur das Brot auf - aber dann bleiben alle Beilagen kalt. Nur die gerollte Lafa lässt sich problemlos im Toaster aufwärmen.

In manchen Läden gibt es leider keinen Toaster. Da zieht man des Öfteren die Mikrowelle heran, von der grundsätzlich abzuraten ist, weil sie die Qualität des Teiges herabsetzt.


5. Der Geschmack

...ist natürlich eine Geschmacksache. Doch eines muss klar sein: Die Falafelkugeln dürfen selbst auf keinen Fall scharf schmecken; sonst kann man den Geschmack des Chumus, aus dem die Kugeln gemacht worden sind, so gut beurteilen wie die Qualität von verzuckertem Wein. Die scharfen Gewürze oder Soßen sind immer getrennt und nur auf Wunsch zu servieren.


6. Arabische Gastfreundlichkeit

Es gehört dazu, dass der Verkäufers seine Gastfreundschaft zeigt, indem er euch auf seine Kosten ein Glas Tee bietet. Mancher bietet kleine, andere wiederum große Gläser, bisweilen mit Minzblättern drinnen - ein echter Genuss. Darauf könnt ihr mit einem weiteren Besuch reagieren, und es wäre auch schön, euch mit Trinkgeld zu bedanken.


7. Alkohol

Israelis mögen ihren Falafel sehr gerne mit Bier runterschlucken. Demgegenüber mögen die Deutschen ihr Bier sehr gerne mit Falafel zu würzen. So oder so ist es Muslimen verboten, im Besitz von Alkohol zu sein. Aus geschäftlichen Gründen wird aber in manchen Läden trotzdem Bier u. Ä. angeboten. Ich begleite den Falafel am liebsten mit Tee (s. o.). Sonst würde ich dazu raten, vorerst Alkohol zu vermeiden, wenn man vorhat, sich mit dem Verkäufer zu unterhalten. Nachdem man sich a bissl kennen gelernt hat, weiß man schon, mit was für einem Gastgeber man zu tun hat und ob man sich beim nächsten Besuch über ein erfrischendes Bier freuen kann oder darauf lieber verzichten soll.


8. Der musikalische Mehrwert

In vielen Läden wird arabische Musik gespielt. In der Regel handelt es sich dabei um ein und dieselbe CD oder Kassette, die den Verkäufern längst auf die Nerven geht. Sie machen damit trotzdem weiter, weil sie meinen, es wirkt irgendwie authentischer und zieht die Kunden an. Allerdings kann es mögliche Stammgäste sehr schnell wegtreiben. Manche Verkäufer schalten den CD-Player erst an, wenn ein neuer Kunde den Laden betritt, und dann gleich wieder aus, sobald er den Laden verlassen hat. Andere warten einfach unbewusst darauf, dass jemand ihnen endlich sagt, dass der Falafel in Begleitung von Radio Eins o. Ä. umso besser schmeckt. Eure Aufgabe ist es, diesen Hinweis höflich zu geben, nachdem ihr euch eine Weile mit dem Verkäufer unterhalten habt. Und wie lange dauert eine Weile? Die Weile ist vorbei, nachdem er euch erzählt hat, aus welcher Stadt in welchem Land er kommt und wie der Weg seiner Familie nach Deutschland aussah.


9. Die Kosten

Ein guter Falafel soll €2,00 kosten. 1,50 ist gewissermaßen schon verdächtig, darf jedoch einen Versuch wert sein; 2,50 zwar nicht billig, aber noch zulässig, solange der Verkäufer euch nicht missachtet, indem er für den Soßenumtausch noch 0,50 verlangt. Über 2,50 ist schon zu teuer und lohnt sich in der Regel auch von der Qualität her nicht: Es handelt sich dabei um die bürgerlichen "Falafelcafés", in denen jeder Wunsch extra kostet und selbst die Zahl der Falafelkugeln im Voraus angekündigt wird (es sollen übrigens mindestens vier Kugeln sein, damit ihr in jedem Biss neben den Beilagen auch ein Stück Falafel habt; aber in den guten Läden versteht es sich von selbst).


10. Meine Empfehlung

nach langer Suche habe ich mir den einfach, aber einladend ausgestatteten Imbiss "RAI" ausgewählt, das sich auf der nördlichen Seite der Skalitzer Straße, diagonal unterhalb des Görlitzer Bahnhofs (U1) befindet. Der Besitzer ist ein sehr netter Iraker aus Basra, der zwar eine Mikrowelle benutzt, dies aber mit seiner Freude an den Gästen gutmacht. Auch seine Schawarma erinnert einen ans Paradies.

Alles weitere müsst ihr selbst entdecken - und in diesem Sinne: Guten Appetit!

Falafel in Lafa


...und grüßt Berlin ganz herzlich von mir :-)

Donnerstag, 6. September 2007

Wie entstehen Synagogen?

Beim Flug nach Israel hat sich eine Vermutung bestätigt: Im Gegensatz zur Sanierung der Synagoge in der Rykestraße, die vom deutschen Lotto und durch Denkmalschutzmittel finanziert wurde, soll einer wohl verlässlichen Quelle nach der Bau von Chabads Bildungszentrum ausschließlich durch Spenden von Juden, dazu noch vornehmlich Berliner Juden ermöglicht worden sein.

In der Tat kann ich mich nur an einen Fall erinnern, wo Chabad Berlin deutsche Gelder erhalten hat, nämlich für den Kindergarten nach dem antisemitischen Vorfall im Februar (und wenn ich mich nicht irre, war es damals ebenfalls das deutsche Lotto). Aber auch in diesem Fall ging es ja um eine Einrichtung, die ohnehin schon bestanden hat und tätig war.

Es scheint sich also ein weiterer Aspekt zu bekunden, durch den sich die Lubawitscher Herangehensweise in der deutsch-jüdischen Landschaft auszeichnet: Chabad Berlin hat zuerst eine funktionierende Gemeinde zustande gebracht, die erwartungsgemäß mithilfe der Wohlhabenden unter ihren Mitgliedern in der Lage war, die gewünschten Einrichtungen
eigenständig zu errichten.

Diesen Vorgang kann man als Entwicklung von unten bezeichnen: Eine Gemeinde entsteht aus eigener, d.h. jüdischer Initiative heraus und entwickelt sich mit eigenen Kräften selbst weiter. Nach allem weiß die Gemeinde ja am besten, was sie braucht und wünscht, und Vorhaben, die den Bedürfnissen und Wünschen der Gemeinde nicht gerecht werden, haben daher kaum Chancen, in Erfüllung zu gehen; es würden sich in dem Fall einfach nicht diejenigen finden, die bereit wären, das Vorhaben zu finanzieren.

Demgegenüber gibt es in Deutschland vielerorts noch immer das umgekehrte Muster, nämlich die Entwicklung von oben. Dabei hängt die Entwicklung einer Gemeinde von Außenseitern, sprich Deutschen, ab. Früher, d.h. nach der Wende, waren es deutsche Behörden, die darüber entschieden, wo eine jüdische Gemeinde künstlich "entstehen" soll. Auch heute sind es oft noch deutsche Einrichtungen, die darüber entscheiden, welche Projekte finanziert und damit verwirklicht werden sollen, wobei die geschichtsbewusste Judenpolitik natürlich eine große Rolle spielt. So wird die Sanierung einer traditionsreichen Synagoge zu einer förderungswürdigen Sache, obwohl dieses teuere Angebot eigentlich in keinem Verhältnis zur Nachfrage steht.

Folglich hat der Rabbiner, dessen Name mir leider entfallen ist (möchte mich jemand bitte daran erinnern?), in seiner Rede beim ersten Gottesdienst nach der Neueröffnung der Synagoge in der Rykestraße nicht umsonst ausgerechnet davon gesprochen (und das ist notabene kein genaues Zitat), wie wichtig es ist, dass diese Synagoge nunmehr von einer aktiven, lebendigen Gemeinde in Anspruch genommen wird. Unter normalen Umständen hätte es ja umgekehrt erfolgen müssen: Zuerst entsteht eine größere, mehr oder weniger feste Gemeinde, die nicht mehr mit privaten Räumlichkeiten zufrieden ist. Sie überlegt sich dann, was für öffentliche Räumlichkeiten sie benötigt, und prüft, welche finanziellen Mittel ihr zur Verfügung stehen. Erst daraufhin wird über den passenden Plan entschieden, der sowohl den Bedürfnissen als auch den finanziellen Fähigkeiten der Gemeinde entsprechen soll.

In Deutschland gibt es aber noch keine Normalität, und wenn diese Synagoge in ihrer überwältigenden Leerheit zugleich auch als Denkmal fungiert, so ist es doch recht, denn immerhin war der Denkmalschutz ja ebenfalls an der millionenschweren Sanierung beteiligt. Das Positive am Ganzen ist dann aber, dass dieses Denkmal glücklicherweise auch als Synagoge dient - zumindest gewissermaßen.

Nachtrag [10.09.2007]: Ein Leser hat mir per E-Mail seine Vermutung mitgeteilt, der besagte Rabbiner dürfte Leo Trepp sein. Und nachdem ich mir etliche Fotos von ihm angeschaut habe, scheint mir diese Vermutung in der Tat sehr plausibel zu sein.

Sonntag, 2. September 2007

Schwanengesang und Löwenbrüll?

Wer einen Überblick über den Zustand des Judentums im heutigen Deutschland gewinnen wollte, konnte es an diesem einen Wochenende in Berlin tun:

Einerseits die Neueröffnung von Deutschlands größter, dafür aber wohl leerster Synagoge in der Rykestraße, deren Gottesdienst einem Chorkonzert ähnelt, das man nicht stören sollte. Und andererseits das fröhliche Tanzen beim Straßenfest zur Einweihung von Chabads Bildungszentrum, das ungeachtet der bisherigen Bauarbeiten bereits eine nachweislich lebendige Gemeinde beherbergt und zusammenhält.

Möge austreten, wer nur will; in diesem Lande gehört die Zukunft denjenigen, die Jiddischkeit vermitteln können. Rabbiner Teichtal, Rabbiner Segal: Es war mir ein großes Vergnügen, euch zumindest gewissermaßen kennenzulernen. Ich bin zwar kein Lubawitscher, nicht einmal ein Orthodoxer, doch nichtsdestoweniger - oder vielleicht umso mehr? - verneige ich mich vor euch.

In diesem Sinne möchte ich von Berlin Abschied nehmen: Die Tischrei-Feiertage werde ich bei meiner Familie in jenem Land verbringen, das allen Völkern der Erde heilig und dennoch einem einzigen, Gottes eigenem verheißen ist. Nach Deutschland komme ich mit Gottes Hilfe im Oktober zurück, diesmal aber nach Heidelberg, wo ich an der Hochschule für Jüdische Studien ein Zweitstudium aufnehme.

Allen meinen Lesern und insbesondere den Berlinern wünsche ich ein gutes, wunderschönes neues Jahr,

כתיבה וחתימה טובה

Euer Yoav