Samstag, 29. Dezember 2007

Eine Fußnote zu Genesis

Zu Genesis wollte ich in der vorletzten Woche Stellung nehmen, als wir im Begriff waren, Genesis bzw. 2. Mose bzw. Bereschith zu Ende zu lesen. Jedoch konnte der gute Vorsatz aus Zeitgründen nicht in Erfüllung gehen. Also habe ich mich jetzt noch dazu gezwungen, bevor es "zu spät" wird (oder aber zu früh für den nächstjährigen Lesezyklus).

Einerseits handelt es sich beim Buch Genesis um sehr Wichtiges: um die Erzfamilie, also um den Ursprung des Volkes und dessen Vorzeichen; im Rückblick möchte man auch sagen: um die Anfänge der Heilsgeschichte. Andererseits fallen die Geschichten von der Erzvätern und -müttern gerade durch die zahlreichen Missetaten auf, die in sie verwoben sind. Dabei sehe ich absichtlich von der Ursünde, der ersten Mordtat u. Ä. ab und richte das Augenmerk gerade auf die "Kleinigkeiten", von denen man meinen könnte, sie wären für die Heilsgeschichte überhaupt nicht nötig gewesen.

Ich versuche also eine Liste dieser Missetaten herzustellen; freilich kann ich mich nicht an alles erinnern:

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Abraham stellt Sarah, sein Weib bzw. seine Frau, als seine Schwester vor und überredet sie dazu, sich ebenfalls so vorzugeben. Er verhindert nicht, dass sie infolge seiner falschen Aussage zu einem anderen Mann genommen wird. Ganz im Gegenteil: Er wird für sie gut bezahlt. Erst durch Gottes Einmischung kommt es doch nicht zum Sexualverkehr und Sarah wird zu Abraham zurückgebracht. Und das nicht ein-, sondern zweimal: Zuerst mit dem Pharao (1. Mose 12:10-20), dann mit Abimelech, dem König von Grar (1. Mose 20:1-18). Interssanterweise wiederholt es sich zum dritten Mal bei Isaak, der Rebekka ebenfalls als seine Schwester vorstellt (1. Mose 26:7).

Abraham versucht, seinen eigenen Sohn zu schlachten, und scheut sich zu diesem Zweck nicht davor, Isaak zu belügen und dessen Vertrauen auszunutzen (1. Mose 22:1-19). Wie sich diese Gräuelerfahrung auf Isaak eingewirkt hat, kann man sich vorstellen.

Abraham schickt seinen Knecht in die alte Heimat, um dort eine Frau für Isaak zu finden. Vom Bräutigam will der Knecht nicht zu viel erzählen; vielmehr lässt er die Geschenke reden, mit denen er Rebekkas Familie überschüttet. Erst wenn es schon zu spät ist, darf Rebekka die Wahrheit erfahren: "Und Isaak ging gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu ergehen. Da hob er seine Augen und sah: Kamele kamen daher. Und auch Rebekka hob ihre Augen und sah Isaak. Da fiel sie vom Kamel herunter [Rev. Elberfelder: "Da glitt sie vom Kamel"]. Sie sprach zu dem Knecht: "Wer ist jener Mann, der dort auf dem Feld uns entgegenkommt? Und der Knecht sprach: "Das ist mein Herr!" Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich." (1. Mose 24:63-65).

Lot, Abrahams Neffe, will dem Sodomer Pöbel seine eigenen, noch jungfräulichen Töchter übergeben, damit sie vom Pöbel vergewaltigt werden und Lots Gäste, Gottes Boten, von diesem Geschick verschont bleiben (1. Mose 19:1-38; interessanterweise rächen sich die Töchter nachher, indem sie ihn narkotisieren und begatten).

Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab (1. Mose 25:29-34). Das muss man abermals lesen: Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab. Wie ist die Erstgeburt zur Ware geworden? Wie ist Jakob überhaupt auf die Idee gekommen, mit so etwas handeln zu können? (Und leise hinzugefügt: Ist das der Ursprung "jüdischer Geschäftstüchtigkeit"?)

Jakob führt seinen eigenen, blinden Vater irre, um den Segen des Erstgeborenen zu bekommen, und zwar nachdem ihn seine Mutter, Isaaks Frau (!), dazu verleitet hat (1. Mose 27). Im Übrigen stellt sich hier die Frage, warum es überhaupt zu solch einem Betrug hätte kommen müssen, wenn sich die Erstgeburt einfach so verkaufen ließe, wie es Genesis beschreibt? Schließlich muss Rebekka Jakob zur Flucht nach Haran, zu ihrem Bruder Laban raten.

Nachdem Jakob sieben Jahre lang im Dienste Labans gearbeitet hat, um Rahel zu bekommen, gibt ihm Laban im Schutze der Dunkelheit Lea, die ältere Tochter (1. Mose 29).

Innerhalb der Erzfamilie geht es mit dem Handel recht voran: Lea will Rahel eine Nacht mit dem gemeinsamen Mann abkaufen. Und: Rahel verkauft ihrer Schwester die Nacht. Und: Jakob lässt sich darauf ein (verkauft ist verkauft, das weiß er wohl am besten; 1. Mose 30:14-16).

Jakob und Laban betrügen einander bei der Aufteilung der Schafherden (1. Mose 30:31-43).

Jakob teilt Laban nicht mit, dass er vorhat, ihn zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren. Beim Auszug aus Labans Haushalt stiehlt Rahel ihrem Vater die Götzerbilder (1. Mose 31:19-44).

Nachdem Schechem, der Sohn Hamors, Dina, die Tochter Leas, vergewaltigt hat, schlägt Hamor Jakob und seinen Söhnen vor, dass sie den Söhnen Hamors ihre Töchter geben und im Gegenzug die Töchter der Familie Hamors bekommen. Noch will er ihnen alles geben, was sie bekommen möchten, um Dina abzugeben. Die Söhne Jakobs willigen scheinbar darin ein, indem sie voraussetzen, dass Hamor und seine Söhne sich beschneiden. Das tun sie auch, doch am dritten Tage, während sie noch leiden, werden sie alle von den Söhnen Jakobs getötet, ihr sämtlicher Besitz geraubt (1. Mose 34).

Ruben begattet Bilha, die Kebse Jakobs, seines Vaters (1. Mose 35:22).

Die Söhne Jakobs wollen Josef, ihren Bruder, erschlagen. Schließlich wird er "nur" in die Grube hineingeworfen, in der es "kein Wasser", aber wohl anderes gibt. Als die Brüder Jakob als Knecht an die Ismaeliten verkaufen wollen, müssen sie feststellen, dass ihnen die Midianiter zuvorgekommen sind. Dann führen sie ihren eigenen Vater irre, indem sie ihn glauben lassen, Josef wäre gefressen worden (1. Mose 37).

Juda hält nicht sein Wort, das er Tamar, seiner Schwiegertochter, gegeben hat, nämlich, dass sie die Frau Schelas, seines dritten Sohnes, wäre. Daraufhin verführt Tamar ihren Schwiegervater, Juda, der sie begattet, weil er sie für eine Hure hält (1. Mose 38). Aus diesem Geschlechtsverkehr sollte noch David hervorgehen (also auch der Heiland).

Man möchte hier auch auf Josefs unehrlichen Umgang mit seinen Brüdern in Ägypten hinweisen, doch erscheint es nach alledem, was sie selbst angetan haben, fast angemessen...

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Lügen, Irreführungen, Betrügereien und sogar Zuhältereien: In Genesis bilden die Missetaten keine Ausnahmen, sondern die Regel. Im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. des Familienlebens ist die israelitische Erzfamilie kläglich gescheitert. Vorbildlich? Kaum. Kindergerechter Lesestoff? Wohl auch nicht.

Die Geschichte der Erzväter und -mütter stellt eine große, weil grundsätzliche Schwierigkeit dar. Was soll uns mit dieser Problematik vermittelt werden? Auf diese Frage vermag vielleicht mancher eine Antwort zu geben. Es scheint mir aber angebrachter zu sein, die Frage unbeantwortet "schweben" zu lassen. Manchen Fragen steht es nämlich zu.


P.S. Um den Beitrag trotzdem mit einem positiven Ton ausklingen zu lassen:



Danke an Marek aus Warschau für den Hinweis!

Dienstag, 25. Dezember 2007

Gegen den dogmatischen Glauben, für die experimentelle Spiritualität

Wenn ihr die nächsten 82 Minuten gut investieren wollt, könnt ihr euch einen geschickt präsentierten Vortrag von Sam Harris anschauen bzw. -hören, der 2005 von der New York Society for Ethical Culture im Center for Inquiry (oder vielleicht umgekehrt?) veranstaltet wurde. Harris stellt die Grundthesen seiner ersten Monographie dar: The End of Faith: Religion, Terror, and the Future of Reason (New York: W.W. Norton & Co., 2004)

Die Aufnahme des Vortrages fängt nach ca. anderthalb Minuten an:

Donnerstag, 20. Dezember 2007

Theater Heidelberg: Der Protest hat gewirkt

From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Cc: Hanno Nehring (E-Mail)
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:16 PM
Subject: Entschuldigung von Herzen!


Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen: Sie haben völlig recht. Ich kannte diesen Aufleger auf unserem Spielplan nicht, der in letzter Minute vor Drucklegung hinzugekommen ist - und ich teile ihre Ihre Verärgerung und Ihre Kritik. Das ist nicht der Stil unseres Hauses, seien Sie dies versichert - und auch Leichtfertigkeit zeichnet uns normalerweise nicht aus. Mit betroffenen und unglücklichen Grüßen,

Ihr

Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg


Man darf also vermuten, dass sie in Zukunft bei der Wortauswahl größere Umsicht zeigen werden.

Nachtrag:

From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:45 PM
Subject: Nachtrag


Um Ihnen zu zeigen, wie unendlich peinlich mir dieser Aufleger ist und dass ich selbst keinesfalls damit leben kann: Wir lassen den Spielplan umgehend neu drucken! Nochmals viele Grüße,

Ihr

Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg


Beides mit Genehmigung von Herrn Spuhler veröffentlicht.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

"Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!" (Günter Eich)

Nach der gestrigen Begegnung mit dem menschenunwürdigen Sprachgebrauch im Theater Heidelberg, musste ich noch etwas erleben, und zwar, wie es viele gebildete Leute in meiner Umgebung gar nicht so auffällig finden. Offenkundig handelt es sich hier um tief verwurzelte, vielleicht unbewusste, jedenfalls für natürlich gehaltene Denkmuster, denen man aktiv entgegenzutreten hat. Also habe ich folgenden Brief an die in der Anzeige angegebenen E-Mail-Adresse geschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Spielplan für Januar 2008 haben Sie eine Anzeige veröffentlicht, mit der Sie u. a. "Mischlinge" anwerben wollen. Mich hat Ihre Wortauswahl sehr überrascht, weshalb ich Sie auf Folgendes hinweisen möchte:

1. Die Menschheit lässt sich nicht in unterschiedliche Tierarten aufteilen. Die Menschen, die Sie mit diesem menschenverachtenden Sprachgebrauch meinen, sind folglich keine Mischung zweier Arten, sondern schlicht und einfach Menschen, wie Sie und ich und jede(r) andere.

2. Nicht zufälligerweise suchten die Nationalsozialisten ihren Rassenwahn durch die entkontextualisierte Anwendung zoologischer Begriffe auf Menschen zu unterstützen. Ohne diese sprachlich-kognitive Infrastruktur wäre die durchgängige Ausgrenzung nicht von den ehemaligen Mitbürgern akzeptiert, die öffentliche Dehumanisierung nicht möglich und die systematische Ausrottung von Menschen nicht durchführbar gewesen. Weiteres zur Macht des unbewussten Sprachgebrauchs finden Sie in Victor Klemperers LTI. Notizbuch eines Philologen.

Insbesondere bin ich davon enttäuscht, dass man derartigen Vorstellungen nun ausgerechnet im Heidelberger Stadttheater begegnen muss.

Mit freundlichen Grüßen
Yoav Sapir


Aufklären könnt ihr natürlich ebenfalls (selbstverständlich auch wenn ihr anderwärts wohnhaft seid) und zwar unter: hanno.nehring@gmx.de

Umso schlimmer, weil gefährlicher ist diese Wortauswahl ja gerade dann, wenn sie keinem rechtsextremistischen Milieu entstammt, wo man den Vorfall noch leichtfertig verwerfen könnte, sondern von einer tonangebenden, meinungsbildenden Einrichtung ausgeht wie dem Theater Heidelberg und sich in ein Projekt (im Rahmen der "Afrikatage") einschleicht, das ansonsten doch aufgeklärt und aufgeschlossen wirkt und daher einen weit größeren suggestiven Einfluss ausübt.

Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier.

Dienstag, 18. Dezember 2007

Es schleicht sich durch





- Aus dem Spielplan des Stadttheaters Heidelberg für Januar 2008.

Einerseits fragt man sich, wie sich das, was man hier mit "Mischlingen" meint, kurz und bündig umformulieren lässt, damit es noch in den begrenzten Platz im Spielplan passt. Andererseits scheint die bloße Vorstellung problematisch genug zu sein, um schon als solche vermieden werden zu sollen.

Vorschläge?

Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier und hier.

Montag, 17. Dezember 2007

Öffentliche Erklärung zum Zitat in der "Deutschen Stimme"

Hallo allerseits,

I. Am 29. Oktober d. J. veröffentlichte ich hier einen Beitrag ("Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert"), in dem ich die Verhaltensweise eines Dresdner Hoteliers kritisierte, der zwei NPD-Landtagsabgeordnete nur aufgrund ihres in der BRD (noch) legitimen (=rechtsmäßigen) weltanschaulichen Engagements verwiesen hatte. Es handelte sich dabei um keine Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Hotels durch die Partei (zwecks politischer Veranstaltung innerhalb des Hotels), sondern um das in menschlicher Hinsicht sehr nachvollziehbare Bedürfnis der beiden Abgeordneten als Privatpersonen nach Unterkunft.

II. Dieser Beitrag hat viel Resonanz nach sich gezogen, nicht zuletzt auch in Form von Kommentaren. Es stellte sich dann heraus, dass meine - von Anfang an für laienhaft erklärte - Rechtsinterpretation nicht zutrifft, und zwar deswegen, weil das Grundgesetz nur für den Staat gilt und für keine anderen juristischen Personen verbindlich ist (wie etwa für ein Hotel bei seinem Geschäftsverkehr mit anderen juristischen Personen).

III. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die in der bundesrepublikanischen Verfassung gesetzten Maßstäbe gut genug sind, um auf moralischer Ebene als Vorbilder für die Gesamtbevölkerung fungieren zu können. Ferner bin ich der Meinung, dass in diesem Fall gute Absichten mit schädlichen Methoden verfolgt wurden, die der NPD - ausnahmsweise zu Recht! - zur Opferrolle verhalfen. Weiteres ist ja dem Beitrag und insbesondere den anhängenden Kommentaren zu entnehmen.

IV. Gestern hat mich der Leser Michael Klarmann per Kommentar zum besagten Beitrag darauf hingewiesen, dass in der Deutschen Stimme, dem Parteiorgan der NPD, aus meinem Beitrag zitiert worden ist. Bei meinem Beitrag handelt es sich notabene nicht um die NPD an sich, und wenn auf diese überhaupt Bezug genommen wird, dann aber eindeutig negativ. Zudem heiße ich dort die Absichten des Hoteliers gut; es wird nur die Methode kritisiert, mit der die guten Absichten umgesetzt wurden. Nun steht es aber jeder und jedem frei, für die Öffentlichkeit zugängliche Texte unter den üblichen Bedingungen wiederum öffentlich zu zitieren. Damit es jedoch zu gar keinen Missverständnissen kommt, sei es hiermit wiederholt: Ich bin kein Anhänger der NPD und unterstütze auf keine Art und Weise die politischen Positionen dieser Partei. Ich behaupte "nur", dass politisch-ideologische Kämpfe nicht ins Privatleben der Betroffenen übertragen werden sollten, selbst wenn dies in rechtlicher Hinsicht nicht immer verboten ist.

V. In Ahlehnung an Voltaire lässt sich die Sache so zusammenfassen: Die NPD ist total anderer Meinung als ich und ich werde in diesem spezifischen Fall ihr Recht, für ihre extremistische Meinung mit politischen Mitteln zu werben, nicht unbedingt verteidigen, aber ich werde schon diejenigen kritisieren, die beim sehr gerechtfertigten Kampf gegen die NPD nicht zwischen politisch-öffentlichem und Privatleben differenzieren und demzufolge nicht auf die Menschenwürde von NPD-Abgeordneten/-Funktionären/-Mitgliedern achten.

VI. Schließlich sollte man sich auch fragen, was in der deutschen Politik so falsch gemacht wird, dass es dazu gekommen ist, dass die NPD sich - wenn auch ansatzweise - Bahn brechen kann. Kann es sein, dass es in Deutschland tatsächlich an positiver Identitätsstiftung mangelt? Kann es sein, dass jenseits der CDU/CSU ein politisches Vakuum bewahrt wird, obwohl es solch eine Abnormalität des politischen Spektrums (im Vergleich mit anderen abendländischen Ländern) nicht auf Dauer geben kann? Kann es sein, dass der ständige, undifferenzierte Angriff gegen "alles Rechte", darunter auch gegen alternative Initiativen (wie etwa die Wochenzeitung Junge Freiheit, die Verlagsanstalt Edition Antaios oder das Institut für Staatspolitik, die sich in der Tradition des ehemaligen deutschen Konservativismus sehen und dem fremdenfeindlichen Rechtsextremismus durch positive Konstruktionen deutscher Nationalidentität entgegenzuwirken suchen), nicht die erwünschten Ergebnisse zur Folge hat, sondern den Extremisten eben durch die Verdrängung rechter Alternativen nur noch weiterhilft?

Nebenbei bemerkt: Mir ist vor kurzem das am 18. August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zur Kenntnis gebracht worden. Ziel des Gesetzes ist es (meine Hervorhebung), "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen." (aus § 1). Ich bin mir ziemlich sicher, dass die NPD dieses Gesetz nicht gutheißt - im AGG geht es ja u. a. auch darum, Benachteiligungen von Menschen zu verhindern, die von der statistischen "Norm" des alten Deutschland abweichen - etwa von Menschen mit Migrationshintergrund. Nichtsdestoweniger dürften sich die für die NPD tätigen, aus dem Hotel verwiesenen Privatpersonen doch positiv dafür interessieren, weil es in § 2 Abs. 1 folgendermaßen heißt (nochmals meine Hervorhebung): "Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: [...] den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen [...]" Soweit ich weiß, handelt es sich beim Geschäftsbetrieb des Hotels um solche Dienstleistungen (mit dem Geschäftsbetrieb ist ja die Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch eine grundsätzlich unbegrenzte Kundschaft - die "Öffentlichkeit" - verbunden). Aber das ist ja abermals nur meine Laienmeinung.

Schöne Grüße,
Euer Yoav

Samstag, 8. Dezember 2007

Interessante Zeitungsartikel für die neue Woche

Gut Woch allerseits,

1. vor kurzem habe ich hier (unterm P.S.) den neuen jüdischen Kongress erwähnt. Gestern ist in einem Aritkel in The Washington Times auf diese Initiative hingewiesen worden: "In the New Jewish Congress and such kindred movements as Moshe Feiglin's the Jewish Leadership Movement, lie Israel's best hope." Zur weiteren Lektüre: Louis Rene Beres, "'Auschwitz' borders" (2 Seiten)

2. Der Standard hat vorgestern ein sehr interessantes Gespräch mit Leon de Winter über den letzten US-amerikanischen Iran-Bericht gebracht: "Das Problem mit diesem Bericht ist, dass sich hier die Schwäche der amerikanischen Geheimdienste offenbart. [...] Die Geheimdienst-Community ist paralysiert, weil sie nicht die geringste Ahnung hat, was los ist." Zur Lektüre hier klicken.

3. In der gestrigen taz lässt sich ein ebenso interessantes Interview mit Tariq Ramadan, dem "Theoretiker des Euroislam[s]", finden. Da kann ich (fast?) jedem seiner Worte zustimmen. Weiß jemand, wie er sich zu Israel verhält?

a frejleches Chanukka noch!

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Chanukka und jüdische Identitäten

Wie kein anderes Fest (mal abgesehen davon, dass Chanukka nach jüdischem Recht kein richtiges Fest ist) wirft Chanukka Fragen nach jüdischem Geschichtsbewusstsein und der damit zusammenhängenden Erinnerungsarbeit auf. Hinter den Kulissen findet man einen vornehmlich innerjüdischen Krieg, in dem die von Gott unterstützten Extremisten gegen die von den Seleukiden unterstützten Assimilierten gekämpft und Letzere besiegt haben. Kurz danach haben sich die siegenden Hasmonäer selbst - aus realpolitischen Gründen - gewissermaßen in die weitgehend griechisch geprägte Umwelt assimiliert. Schließlich wurden die blutig erkämpften Errungenschaften 101 Jahre später (63 v. u. Z.) an die Römer verloren. Weiteres dazu steht im Internet wohl reichlich zur Verfügung, also erlaube ich mir gleich auf den Punkt zu kommen: Was macht man heutzutage mit diesem Erbe? Was soll eigentlich gefeiert werden? Welches Geschichtsbewusstsein soll gepflegt werden?

Im frührabbinischen Judentum wurde der Schwerpunkt verlegt: vom militärischen Sieg und der damit verbundenen Wiedereinweihung des Tempels (daher "Chanukka" - Einweihung) auf ein wohl zurückprojiziertes Ölwunder, das kaum eine (und aus wissenschaftlicher Perspektive: wohl keine) der alten Quellen kennt. Diese Form der Erinnerungsarbeit setzte sich jedoch durch und bildet die Grundlage des uns bekannten Festes.

Im Zionismus ist das Fest, wie es sich in einer nationalen Bewegung gehört, neu bewertet worden: Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bedrohungen - nationale und kulturelle Assimilation einerseits, religiös-traditionelle Passivität andererseits - sind die Bekämpfung der Assimilation sowie die physisch-militärische Kühnheit als solche hervorgehoben worden, während die Wundergeschichte - als Quintessenz des Religiösen - beiseite geschoben worden ist.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen des Rabbiners S. J. L. Rapoport um eine Synthese, eine orthodoxe Neubewertung des Chanukka-Festes und dessen Geschichte im Sinne eines bewusst gläubigen Nationalismus. Allerdings war er seinerzeit eher eine Ausnahme, die kaum rezipiert wurde (nebenbei bemerkt: auch heute steht er noch - vollkommen unberechtigterweise - am Rande des wissenschaftlichen Augenmerks).

Interessanterweise hat es die Geschichte so gewollt, dass die Tempelfrage im heutigen Israel wieder eine zenrale Rolle spielt, und zwar nicht mehr als Sinnbild der traditionellen, anti-nationalen Passivität, sondern gerade im Einklang mit dem neuen jüdischen Nationalismus. Dieser Zustand, der jetzt zum ersten Mal "seit 2000 Jahren" wiederkehrt, spieglt den Geist dieses Festes eigentlich am treffendsten wider: Die Bestrebung geistiger, weil religiöser und kultureller Ziele durch irdische, d.h. physische und politische Mittel.

Dies stellt jedoch eine große Herausforderung für Juden dar, die weder im militärischen Nationalismus noch im kulturell-religiösen Extremismus der Makkabäer ein festlich zu gedenkendes Vorbild erblicken wollen. Doch allzu leicht lässt sich dieses Fest nicht umdeuten.

Leider wird die Bedeutung dieses Festes an den meisten Orten vertuscht und die Fragen, die es aufwirft, i. d. R. gänzlich vermieden. Es wäre aber schön, wenn jüdische Gemeinden sich nicht nur mit Latkes (dt. Kartoffelpuffer) und Sufganijot (dt. Berliner Pfannkuchen), sondern auch mit Geschichtsbewusstsein und Erinnerungspolitik befassen würden.

Mehr zum Thema findet ihr in meinem vorjährigen Beitrag.

Und in diesem Sinne: Gut Chanukka!

P.S. Chanukka - alternativ (neue Komposition von Viktor Esus; man muss einige Sekunden warten, bis die Werbung vorbei ist. Hebräischlesende finden Weiteres dazu hier):