Dienstag, 5. Dezember 2006

Das "Manifest der 25" und seine Kritiker

Angehörige des linksextermen Flügels unter den "Juden in Deutschland" traten vor kurzem mit einem Aufruf zur Neubetrachtung und Revision der deutschen Nahostpolitik auf, der sowohl auf eigener Website als auch in der Frankfurter Rundschau vom 15. Novemeber veröffentlicht worden sind. Im Grunde genommen fordern sie die deutsche Regierung dazu auf, ihr bisheriges Verhältnis zu Israel neu zu gestalten, um sich stärker und israelkritischer für den so genannten "Frieden" zu engagieren. Begründen wollen sie ihren Appell mit dem Hinweis auf den Holocaust, "der das seit sechs Jahrzehnten anhaltende und gegenwärtig bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Leid über die (muslimischen wie christlichen und drusischen) Palästinenser gebracht hat". Für den Holocaust - als solchen, d.h. nicht nur den jüdischen Opfern gegenüber - hat sich das amtliche Deutschland noch verantwortlich zu fühlen, denn "[a]ls Deutsche, Österreicher und Europäer haben wir nicht nur Mitverantwortung für die Existenz Israels, die, nachdem die Geschichte nun einmal diesen Gang genommen hat [sic!], ohne Abstriche für alle Zukunft zu sichern ist, sondern auch eine Mitverantwortung für die Lebensbedingungen und eine selbstbestimmte Zukunft des palästinensischen Volkes."

Wie mir scheint, sorgten sie damit aber für Aufregung vor allem gerade unter ihren "Mitjuden" in Deutschland, denen es nicht so gut gefällt, dass die Erstunterzeichner sich in ihrer "Berliner Erklärung" als "Jüdinnen und Juden aus Deutschland" vorstellen. Zu diesem Punkt wäre nun Folgendes zu bemerken:

1. Wenn sich die Juden in Deutschland, sofern sie sich amtlich als Mitglieder bei den jüdischen Gemeinden angemeldet haben, nicht nur als gewöhnliche Bundesbürger ansehen, sondern ein Parallelverhältnis zur deutschen Bundesregierung auch und gerade als "Juden in Deutschland" pflegen wollen, können sie keine Einwände mehr erheben, wenn anders gesinnte Juden in Deutschland das gleiche tun, um ihre eigene Sichtweise somit besser zum Durchbruch zu verhelfen.

2. Die Erstunterzeichner können jedoch nur deswegen die jüdische Karte ausspielen, weil das heutige Deutschland als deutscher Nationalstaat und Nachfolgestaat des Dritten Reiches eine - ob zum Guten oder zum Schlechten - besondere Beziehung zum Judentum und erst darunter auch zum Judenstaat hat. Damit gelangen sie zu einem Widerspruch in sich, denn wenn diese Beziehung jetzt neu bewertet werden soll, um eine "richtige" Israelkritik zu ermöglichen und somit das deutsche Verhaltensmuster zu Israel schließlich doch zu normalisieren, sollte es uns als mögliche Unterzeichner ebenso wenig interessieren wie die deutsche Bundesregierung, ob diese Erklärung nun aus jüdischen oder aber aus anderen Kreisen in Deutschland stammt.

Die Erklärung an sich finde ich zugegebenermaßen gar nicht so interessant wie etwa Markus Weingardts Kritik daran, die auf die offenbar nicht nur mir bislang weniger bekannten Seiten der deusch-israelischen Beziehungen hinweist. Zum Sachverhalt würde ich aber sagen, dass die Verfasser des "Manifestes der 25" im Grunde genommen Recht haben, wenn man bedenkt, dass die herzlianisch-zionistische Vision vom modernen Judenstaat einen säkular aufgeklärten Rechtsstaat nach abendländischem Muster vorsieht. Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen verständlich, dass sie die entsprechenden Ansprüche an den zionistischen Staatswesen stellen und auch die deutsche Bundesregierung dazu aufrufen. Ob Israel dann von einem realpolitischen Gesichtspunkt aus noch fortbestehen könnte und, was noch wichtiger ist, ob Israel diesen Erwartungen von einem "religiösen", also heilsgeschichtlichen Gesichtspunkt aus überhaupt gerecht werden sollte, sind jeweils vollkommen andere Fragen.

Trotz all ihrer argumentativen Fehler, auf die auch Michael Wolffsohn hinweist, haben also die fünfundzwanzig m. E. zumindest mit ihren Wünschen Recht, solange man - allerdings ganz axiomatisch - davon ausgeht, dass der Staat "Israel" ein abendländisch-säkularer Judenstaat sein soll; in diesem Fall soll sich Deutschland tatsächlich als für die noch immer aktuellen "Spätfolgen des Holocaust" in Palästina mitverantwortlich betrachten und sich nicht zuletzt auch aufgrund seiner eigenen moralgeschichtlichen Erfahrung für die zweifelsohne heftig unterdrückten und schwer leidenden Palästinenser einsetzen. Sobald man sich jedoch vorstellt (und wenn ihr wollt, ist es ja kein Märchen), dass der abendländische Judenstaat "Israel" noch zum auf die eine oder andere Weise wahrhaft jüdischen "Staat Israels" werden kann, soll und realpolitisch betrachtet vielleicht auch muss, hat das Manifest all seine politische Bedeutung verloren und ist einfach zu noch einer europäischen Kuriosität geworden, denn es soll dann den Israelis ja sowieso vollkommen egal sein, was die deutsche Bundesregierung zu sagen hat. So oder so besteht seine eigentliche Bedeutung nicht in der Reaktion der deutschen Bundesregierung darauf, sondern gerade in der öffentlichen Diskussion darüber. Wünschenswert wäre also, dass das öffentliche Interesse daran nicht allzu schnell erlöscht.

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