Sonntag, 10. Dezember 2006

Hinter den Kulissen: Säkulare und homosexuelle Rabbiner

Seit 1945 ist das Judentum in Deutschland, d.h. in der BRD zwar nicht nur, aber vor allem auch in religiöser Hinsicht weitestgehend eine Kolonie zweier jüdischer Zentren: Israel und die USA (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). An diesen beiden weltweit größten "Gemeinden" orientiert sich das religiöse Leben des deutschen Judentums und aus dort wird alles importiert, was dem hiesigen Judentum an Menschen, Gedankengut, Lehrmaterial usw. fehlt. Mit der kürzlich erfolgten Ordination von drei Reformrabbinern am Abraham-Geiger-Kolleg mögen sich neue Möglichkeiten eröffnet haben - jedoch schickt das Geiger-Kolleg die werdenden Rabbiner eben nach Israel, desgleichen die Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien (da kann man zwischen Jerusalem, New York und London wählen). Daher soll man den Blick bisweilen auch nach Israel und in die USA richten.

Und dieser Blick scheint sich zu lohnen: In Israel werden am 30. Kislew - 01. Tewet 5767 (21.-22. Dezember 2006) erstmals sieben "säkulare Rabbiner" ordiniert. Allerdings wird in der Bekanntmachung nicht der herkömmliche und sonst übliche Begriff für Rabbinerordination - "Smicha" -, sondern ein sprachlich verwandter, neuhebräischer Begriff gebraucht - "Hasmacha", der eigentlich "Bevollmächtigung" bedeutet. Begründet darf die begriffliche Abweichung darin sein, dass diese Strömung als eine nichtorthodoxe in Israel amtlich nicht anerkannt wird, was aber natürlich nichts daran ändern kann, dass diese Ordination in bestimmten Kreisen eben als solche angesehen wird. Selbst ein Import aus den USA, bekommt diese Richtung jedoch eine ganz andere Bedeutung mit ihrer Ansiedlung in Israel, das in den letzten Jahren zum jüdischen Boxring schlechthin geworden ist. Selbst das amerikanische Reformjudentum, das sonst eine US-amerikanische Nationalidentität pflegt, bemüht sich um Anerkennung in und durch das zionistische Staatswesen; in Anbetracht der umfangreichen Assimilation und der demzufolge nicht mehr so allmählichen, aber erst seit kurzem zu bekämpfenden Auflösung des amerikanischen Reformjudentums ist nun dieser Wunsch bzw. Bedarf nach zumindest "halbamtlicher" Bestätigung in und durch Israel aber vollkommen verständlich.

Auch in den USA gibt es Neues, und zwar im konservativen Judentum: Vor vier Tagen, am 6. Dezember, hat das "Committee on Jewish Law and Standards" eine Entscheidung über die Annahme homosexueller Eheschließung und die Stellung homosexueller Rabbiner und Rabbinerinnen getroffen. Allerdings wirkt die Entscheidung nicht besonders "jüdisch": Von nun an darf sich jeder Rabbiner, jede Gemeinde, jede Einrichtung selbst entscheiden, ob Homosexualität am jeweiligen Ort "verkoschert", d.h. institutionalisiert wird - oder eben nicht. Homosexualität als solche ist im Judentum, wohl gemerkt, nicht verboten, sondern erst die anale Umsetzung der vielleicht nicht erwünschten, aber immerhin erlaubten Neigung (Lesbianismus gilt zwar auch als unerwünscht, ist jedoch vollkommen erlaubt). Das konservative Komitee hätte folglich eigentlich entscheiden sollen, ob Homosexualität nur zu dulden oder aber auch gleichzustellen ist. Sein Problem war jedoch, dass manche Rabbiner bereits "unerlaubt" damit angefangen haben, Gleichgeschlechtige zu trauen. Mit dieser Nicht- bzw. Unentscheidung sucht wohl das Komitee, eine mögliche Spaltung im konservativen Judentum zu verhindern; damit hat es jedoch die eigentliche Entscheidung und mithin auch die Spaltungsgefahr nur auf die nächste(n) Generation(en) verschoben.

Anscheinend ist den beiden Neuentwicklungen in Israel und den USA viel gemeinsam, denn beide weisen auf so genannten Liberalismus bzw. "Aufgeschlossenheit" hin. Wichtig ist jedoch nicht so sehr das Ereignis an sich, sondern vielmehr die Bewegung, die zu ihm geführt hat - und in dieser Hinsicht weichen die beiden Entwicklungen ziemlich stark voneinander ab: Während die Unentscheidung des konservativen Komitees die bis dahin amtlich nicht akzeptierten Homosexualität nun - scheinbar nur halbwegs, tatsächlich aber mehr - doch verkoschert hat, zeugt hingegen die Ordination der säkularen Rabbiner in Israel - m. E. zumindest - von dem Bedarf nach jüdischer Religiosität gerade unter Juden, die sonst keinen Zugang zum Judentum finden; da geht es also nicht um die Liberalisierung des sonst teils sehr orthodoxen, teils sehr orthodox gesinnten Judentums in Israel, das die neuen, staatlich nicht anerkannten Rabbiner nur auslachen würde, sondern um die Annährung derjenigen, die anderenfalls eine eher feindliche Haltung gegenüber dem Judentum haben bzw. entwickeln können. Die "Kundschaft" der neuen Säkularrabbiner besteht nämlich nicht aus Juden, die eine gewisse jüdische Identität haben, sondern gerade aus denen, die noch keine jüdische oder aber schon eine antijüdische Identität haben.

Im Hinblick auf Deutschland kann ich mir weder die eine noch die andere Entwicklung hier vorstellen. Der Grund dafür ist das in der BRD sowie in Österreich immer noch wirksame Erbe des Nationalsozialismus, der erstmals eine jüdische Einheitsgemeinde erzwang, die den Kontakt zur nichtjüdischen Regierung hat (siehe etwa den heutigen Staatsvertrag). Wie die Juden unter sich verhandeln, miteinander umgehen usw., geht die nichtjüdische Regierung nach wie vor nichts an: Der Jude kommt noch immer fast nur als solcher, ohne weitere Differenzierung vor. Nun setzt aber die Einheitsgemeinde schon Etliches voraus - vor allem Konsens; und Konsens heißt Konservativismus. Daher kann ich mir hier eine vierte "konfessionelle" Richtung im Sinne des säkularen Rabbinats - über die "heilige", weil herkömmliche "Trinität" vom orthodoxen, konservativen und liberalen bzw. reformierten Judentum hinaus - kaum vorstellen. Vor diesem Hintergrund würde ich auch die Einführung homosexueller Eheschließung - geschweige denn Rabbiner - nicht erwarten. In Deutschland ist zwar die gleichgeschlechtliche "Lebenspartnerschaft" anerkannt, aber die ziemliche Notwendigkeit, die sich manchmal in den Wunsch verwandelt, den Konsens anzustreben, d.h. den Status quo beizubehalten, wird höchstwahrscheinlich dafür sorgen, dass der religiösen Landschaft des heutigen deutschen Judentums auch diese Neuerung fernbleibt.

4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Treffend beobachtet, dass die Einheitsgemeinde Konsens benötigt. Besser würde ich schreiben: „benötigen würde” - ich bin mir nicht sicher, ob es Einheitsgemeinden mit Konsens gibt ;-) Es gibt eine „de facto” Meinung, die aber nichts mit einer Schnittmenge der Meinungen der Gemeindemitglieder zu tun hat. Soviel meine kurzen und wirren Gedanken dazu ;-)

anneka-anath hat gesagt…

Hej hej sehr interesant bei uns gab es ja in Stockholm vor ein paar Jahren den Skandal mit dem Coming out des damaligen Rabbiners, der das ganze dann auf Kosten seiner Frau samt 5 Kindern durchzog und besonders fein sehr öffentlich, er braucht PR. Hier in Lund haben wir ein pärchen die eine jüdin die andere christin und der jüdische Teil will gerne ohne Heimlichkeit Rabbinerin werden, scheint aber nicht sehr möglich. Herzl. Grüsse Anneka

Anonym hat gesagt…

Das liest sich sehr interessant, obwohl ich deiner Einschätzung nur m.E. zustimmen kann. Ich bin nicht deiner Meinung, dass sich die hiesigen jüdischen Gemeinden nach den USA orientierten. Die Juden in den USA sind eher liberal bis konservativ, und nur eine Minderheit würde sich als orthodox bezeichnen. Bis Anfang der 90er Jahre gab es in ganz Deutschland im Grunde keine einzige jüdische Gemeinde, die man guten Gewissens als liberal oder konservativ bezeichnen könnte. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, aber es zeigt meiner Meinung nach, dass bis in die 90er Jahre hinein das amerikanische Judentum hier in Deutschland ohne Einfluss war. Das Desinteresse bestand auf beiden Seiten. Niemand in den USA interessierte sich für Juden im Nachkriegsdeutschland und kein Jude in Deutschland interessierte sich für das Judentum in den USA. Wie gesagt, seit den 90er Jahren hat sich das geändert. Zuerst kam Chabad, dann das Reformjudentum und seit einigen Jahren auch die Masorti Bewegung. Die Nachkriegsgemeinden haben sich immer mehr nach Israel orientiert, und da in Israel nun einmal die Orthodoxie das Sagen hat, blieb das natürlich nicht ohne Einfluss. Dazu kommt noch, dass viele Mitglieder der Nachkriegsgemeinden aus Elternhäusern kamen, die wenig bis nichts mit dem Reformjudentum zu tun hatten.

Anonym hat gesagt…

Es ist nicht wahr, daß es keine Gemeinde gegeben hat, die man in "früheren" Zeiten - also vor 1989 als "konservativ" hätte bezeichnen können.
Es gab bereits in Berlin die Pestalozzistraße und das Fränkelufer - beide nicht orthodox, sondern eher am rechten Rand konservativ - und die Gemeinden in Süddeutschland, z.B. Freiburg und Karlsruhe, in den Zeiten als Rabbiner Levinson noch amtierte. Das ist schon eine ganze Weile her, aber diese Gemeinden waren durchaus "liberal" (was nicht immer = egalitär heißt).