Sonntag, 24. Dezember 2006

Off Topic: Kurze Pause...

Liebe alle,

da meine teiere Mame jetzt bei mir auf Besuch ist, bleibt mir (erfreulicherweise!) keine Zeit für andere Sachen übrig. Ich melde mich daher erst im Jänner wieder.

Bis dann herzliche Grüße
Euer Yoav

P.S.
Kennt jemand tatsächlich eine der in Berlin "bekannten" Vorverkaufsstellen, wie es überall heißt?

P.S. II
Denjenigen, die sich dem Webring zuletzt angeschlossen haben, begegnen anscheinend irgendwelche Schwierigkeiten dabei, der eigenen Seite das Kästchen hinzuzufügen. Da der Webring eigentlich nur auf dem gegenseitigen Verkehr beruht, bilden diese Blogs eine Art Schwarze Löcher im Webring-Universümchen. Vielleicht kann ihnen jemand weiterhelfen? Meine technischen Kenntnisse sind nämlich auch begrenzt...

Dienstag, 19. Dezember 2006

Chabad und die Zukunft der Jüdischen Gemeinde

Gestern hat das Lichterzünden auf dem Pariser Platz stattgefunden. Dabei war ich allerdings nicht, weil ich in der Deutschen Oper die Wiederaufführung von Mozarts "Idomeneo" erlebt habe. Die viel besprochene Szene mit Mohammeds abgetrenntem Kopf fand ich übrigens vollkommen banal; mein Beifall gilt daher lediglich den PR-Leuten der Deutschen Oper, die die Tendenz der deutschen Öffentlichkeit zur Hysterie sehr gut ausgenutzt haben.

Was den Leuchter am Brandenburger Tor anbelangt, so scheint er mir im Grunde genommen vielmehr für Nichtjuden bestimmt zu sein, also ebenfalls eine Art PR-Arbeit. Immerhin bietet sich jetzt die Gelegenheit, eine Bemerkung zum Verhältnis zwischen Chabad und der Jüdischen Gemeinde zu machen - oder soll ich vielleicht sagen: zwischen den Lubawitschern einerseits und den "Juden" andererseits? Auf der Einladung steht nämlich beides nebeneinander, als wären die Lubawitscher keine Juden, sondern, wie es der selige "litwische" Rabbiner Schach formuliert hat, "die dem Judentum ähnlichste Sekte". Der Grund für diese Gleich- und Gegenüberstellung ist wohl klar: Während die amtlichen jüdischen Gemeinden die Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR "integrieren" möchten, damit sie in das "alte" deutsche Judentum assimilieren, ist die Chabad-Chassidus hergekommen, um die deutschen Juden - alte und neue zugleich - zu verjiddischkeitlichen, d.h. um eine Alternative bzw. eine "Lösung" zu bieten. Daher will Chabad tunlichst wenig mit dem "Problem", d.h. mit dem Bisherigen zu tun haben. Das ist alles eigentlich verständlich - und lässt sich nicht zuletzt wahrscheinlich auch darauf zurückführen, dass Chabad in ihren Aktivitäten nicht eingeschränkt werden will.

Angesichts dessen ist es schließlich doch erfreulich zu sehen, dass die beiden Rivalen manchmal auch zusammenarbeiten können. Nun ist die Jüdische Gemeinde eigentlich kein großes Problem für Chabad - solange sie nicht stört, kommt es den Lubawitschern wohl zugute, dass sich auch die bisherige Gemeinde um den Zusammenhalt und das sonstwie Alltägliche kümmert, etwa im Sinne der Zentralwohlfahrtstelle. Aber was heißt es für die Einheitsgemeinde? Diese bekommt ihre politische Bedeutung und Wirksamkeit ausgesprochen daraus, dass sie "die Juden" schlechthin vertritt bzw. vertreten soll. Spaltungen unterminieren den Machtanspruch durch Alleinvertretung. Das Gute daran ist jedoch, dass Chabad gerade durch die Schwächung der Einheitsgemeinde erstmals die "freie Marktwirtschaft" eingeführt hat. Somit gibt es in der deutsch-jüdischen Landschaft endlich wieder echte Konkorrenz, d.h. für dieses Land neue Möglichkeiten jüdischen Daseins, die über den bisherigen Konsens hinausgehen.

Die Popularität von Chabad unter den deutschen Juden zeugt m. E. eben vom großen Bedarf nach dermaßen selbstbewusster Erneuerung des jüdischen Lebens in Deutschland. Der Hauptnachteil dieser Entwicklung besteht in dem Verlust der gegenseitigen Toleranz zwischen orthodoxen und liberalen Juden. Letztere haben als solche selbstverständlich keinen Zugang zu den Aktivitäten von Chabad; als gleichberechtigte Gemeinden können sie nämlich nur im Rahmen der alten Gemeinden auftreten - und so kommt es zur komischen Gegenüberstellung von Chabad und der "Jüdischen Gemeinde". Jedoch sollten sich die liberalen Strömungen ebenfalls über die neue Konkurrenz freuen und die Gelegenheit nutzen, um ihre Ware besser zu vermarkten. Ob sie sich überhaupt gut verkaufen lässt, wird sich dann noch zeigen.

Für die alte Struktur der Machtverteilung, d.h. für die Einheitsgemeinde, gibt es hingegen keinen Ausgang: Sie wird mit immer heftiger Konkurrenz rechnen müssen und folglich auch weiterhin immer schwächer werden. So ist es in Wien, wo Chabad in Zusammenarbeit mit der Lauder-Stiftung eine parktisch neue, staatlich nicht anerkannte Gemeinde gegründet hat, während sich die IKG anscheinend gerne "ergänzen" bzw. verdrängen lässt. Aber vielleicht es ist schon Zeit, dieses Stück nationalsozialistisches Erbe langsam verschwinden zu lassen?

Die Einheitsgemeinde hat sicherlich ihre schönen Seiten, z. B. in der Betonung des bloßen Jüdischseins gegenüber der denominationellen Zugehörigkeit; aber letzten Endes ist sie doch nur aus Not entstanden, ja erzwungen, und daher ist es nicht gerade das Schöne des Gemeinsamen, sondern eher der kleinste gemeinsame Nenner, der hier den Vorzug hat und die Einheitsgemeinde ermöglicht. Diese setzt nämlich auch heutzutage eine jüdische Landschaft voraus, in der es zu viel Angst gibt und zu sehr an Selbstbewusstsein fehlt. Wenn es jedoch die Angst ist, die uns zusammenhält, dann machen wir am besten jeweils alleine weiter.

Anstatt der Angst soll es das verstärkte Selbstbewusstsein sein, das uns noch den Mut gibt, um nicht nur den eigenen Weg zu gehen, sondern auch um manchmal - aus freiem Willen allein - mit den Konkurrenten zusammenzuarbeiten.

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Eine weitere Schande für die deutsche Justiz

Das muss man selbst lesen: "Jude wehrt sich bei Haß-Angriff - Staatsanwaltschaft klagt ihn an". Wie sich dieser Schmachprozess gegen den mutigen Dennis Milholland noch entwickelt, wird sich bald zeigen und zwar am 25. Januar 2007, um 13:30 Uhr im Amtsgericht Potsdam, Hegelallee 8, Saal 310. Mit Gottes Hilfe treffen wir uns da.

Angesichts dessen darf sich die Jüdische Gemeinde aber nicht mehr so passiv verhalten, sondern muss sich klar und selbstbewusst einmischen. Daher möchte ich Folgendes vorschlagen: Personen - sowohl Juden als auch Nichtjuden -, die sich mit Gegengewalt verteidigen bzw. mit Gewalt als Reaktion auf antisemitische Angriffe einmischen, um die Angreifer somit abzuschrecken, würde der Zentralrat der Juden in Deutschland ab sofort ehrerbietig anerkennen, indem er ihnen mittels der örtlichen Gemeinden amtliche Widerstands- bzw. "Pour le Mérite"-Auszeichnungen verliehe, die aus einem schön gestalteten und gerahmten Zeugnis bestünden und in den amtlichen Organen, d.h. der Jüdischen Allgemeinen sowie im örtlichen Blatt (etwa dem Jüdischen Berlin), daraufhin wohl auch in den deutschen Medien veröffentlicht würden. Das gäbe der deutschen Umgebung ein moralisch klares Zeichen und könnte uns bei der Abwehr des Antisemitismus zur Zeit bestimmt mehr helfen als die deutsche Justiz.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin scheint mir - ehrlich gesagt - zwar zu spießig zu sein, um diese Idee anzunehmen und weiter, d.h. nach oben zu rollen, bis sie sich auch tatsächlich durchsetzt - aber ich werde es trotzdem versuchen. Vorerst habe ich einen Leserbrief an die Jüdische Allgemeine geschickt.

Sonntag, 10. Dezember 2006

Hinter den Kulissen: Säkulare und homosexuelle Rabbiner

Seit 1945 ist das Judentum in Deutschland, d.h. in der BRD zwar nicht nur, aber vor allem auch in religiöser Hinsicht weitestgehend eine Kolonie zweier jüdischer Zentren: Israel und die USA (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). An diesen beiden weltweit größten "Gemeinden" orientiert sich das religiöse Leben des deutschen Judentums und aus dort wird alles importiert, was dem hiesigen Judentum an Menschen, Gedankengut, Lehrmaterial usw. fehlt. Mit der kürzlich erfolgten Ordination von drei Reformrabbinern am Abraham-Geiger-Kolleg mögen sich neue Möglichkeiten eröffnet haben - jedoch schickt das Geiger-Kolleg die werdenden Rabbiner eben nach Israel, desgleichen die Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien (da kann man zwischen Jerusalem, New York und London wählen). Daher soll man den Blick bisweilen auch nach Israel und in die USA richten.

Und dieser Blick scheint sich zu lohnen: In Israel werden am 30. Kislew - 01. Tewet 5767 (21.-22. Dezember 2006) erstmals sieben "säkulare Rabbiner" ordiniert. Allerdings wird in der Bekanntmachung nicht der herkömmliche und sonst übliche Begriff für Rabbinerordination - "Smicha" -, sondern ein sprachlich verwandter, neuhebräischer Begriff gebraucht - "Hasmacha", der eigentlich "Bevollmächtigung" bedeutet. Begründet darf die begriffliche Abweichung darin sein, dass diese Strömung als eine nichtorthodoxe in Israel amtlich nicht anerkannt wird, was aber natürlich nichts daran ändern kann, dass diese Ordination in bestimmten Kreisen eben als solche angesehen wird. Selbst ein Import aus den USA, bekommt diese Richtung jedoch eine ganz andere Bedeutung mit ihrer Ansiedlung in Israel, das in den letzten Jahren zum jüdischen Boxring schlechthin geworden ist. Selbst das amerikanische Reformjudentum, das sonst eine US-amerikanische Nationalidentität pflegt, bemüht sich um Anerkennung in und durch das zionistische Staatswesen; in Anbetracht der umfangreichen Assimilation und der demzufolge nicht mehr so allmählichen, aber erst seit kurzem zu bekämpfenden Auflösung des amerikanischen Reformjudentums ist nun dieser Wunsch bzw. Bedarf nach zumindest "halbamtlicher" Bestätigung in und durch Israel aber vollkommen verständlich.

Auch in den USA gibt es Neues, und zwar im konservativen Judentum: Vor vier Tagen, am 6. Dezember, hat das "Committee on Jewish Law and Standards" eine Entscheidung über die Annahme homosexueller Eheschließung und die Stellung homosexueller Rabbiner und Rabbinerinnen getroffen. Allerdings wirkt die Entscheidung nicht besonders "jüdisch": Von nun an darf sich jeder Rabbiner, jede Gemeinde, jede Einrichtung selbst entscheiden, ob Homosexualität am jeweiligen Ort "verkoschert", d.h. institutionalisiert wird - oder eben nicht. Homosexualität als solche ist im Judentum, wohl gemerkt, nicht verboten, sondern erst die anale Umsetzung der vielleicht nicht erwünschten, aber immerhin erlaubten Neigung (Lesbianismus gilt zwar auch als unerwünscht, ist jedoch vollkommen erlaubt). Das konservative Komitee hätte folglich eigentlich entscheiden sollen, ob Homosexualität nur zu dulden oder aber auch gleichzustellen ist. Sein Problem war jedoch, dass manche Rabbiner bereits "unerlaubt" damit angefangen haben, Gleichgeschlechtige zu trauen. Mit dieser Nicht- bzw. Unentscheidung sucht wohl das Komitee, eine mögliche Spaltung im konservativen Judentum zu verhindern; damit hat es jedoch die eigentliche Entscheidung und mithin auch die Spaltungsgefahr nur auf die nächste(n) Generation(en) verschoben.

Anscheinend ist den beiden Neuentwicklungen in Israel und den USA viel gemeinsam, denn beide weisen auf so genannten Liberalismus bzw. "Aufgeschlossenheit" hin. Wichtig ist jedoch nicht so sehr das Ereignis an sich, sondern vielmehr die Bewegung, die zu ihm geführt hat - und in dieser Hinsicht weichen die beiden Entwicklungen ziemlich stark voneinander ab: Während die Unentscheidung des konservativen Komitees die bis dahin amtlich nicht akzeptierten Homosexualität nun - scheinbar nur halbwegs, tatsächlich aber mehr - doch verkoschert hat, zeugt hingegen die Ordination der säkularen Rabbiner in Israel - m. E. zumindest - von dem Bedarf nach jüdischer Religiosität gerade unter Juden, die sonst keinen Zugang zum Judentum finden; da geht es also nicht um die Liberalisierung des sonst teils sehr orthodoxen, teils sehr orthodox gesinnten Judentums in Israel, das die neuen, staatlich nicht anerkannten Rabbiner nur auslachen würde, sondern um die Annährung derjenigen, die anderenfalls eine eher feindliche Haltung gegenüber dem Judentum haben bzw. entwickeln können. Die "Kundschaft" der neuen Säkularrabbiner besteht nämlich nicht aus Juden, die eine gewisse jüdische Identität haben, sondern gerade aus denen, die noch keine jüdische oder aber schon eine antijüdische Identität haben.

Im Hinblick auf Deutschland kann ich mir weder die eine noch die andere Entwicklung hier vorstellen. Der Grund dafür ist das in der BRD sowie in Österreich immer noch wirksame Erbe des Nationalsozialismus, der erstmals eine jüdische Einheitsgemeinde erzwang, die den Kontakt zur nichtjüdischen Regierung hat (siehe etwa den heutigen Staatsvertrag). Wie die Juden unter sich verhandeln, miteinander umgehen usw., geht die nichtjüdische Regierung nach wie vor nichts an: Der Jude kommt noch immer fast nur als solcher, ohne weitere Differenzierung vor. Nun setzt aber die Einheitsgemeinde schon Etliches voraus - vor allem Konsens; und Konsens heißt Konservativismus. Daher kann ich mir hier eine vierte "konfessionelle" Richtung im Sinne des säkularen Rabbinats - über die "heilige", weil herkömmliche "Trinität" vom orthodoxen, konservativen und liberalen bzw. reformierten Judentum hinaus - kaum vorstellen. Vor diesem Hintergrund würde ich auch die Einführung homosexueller Eheschließung - geschweige denn Rabbiner - nicht erwarten. In Deutschland ist zwar die gleichgeschlechtliche "Lebenspartnerschaft" anerkannt, aber die ziemliche Notwendigkeit, die sich manchmal in den Wunsch verwandelt, den Konsens anzustreben, d.h. den Status quo beizubehalten, wird höchstwahrscheinlich dafür sorgen, dass der religiösen Landschaft des heutigen deutschen Judentums auch diese Neuerung fernbleibt.

Freitag, 8. Dezember 2006

Die Grenzen der Angst

Gestern hat der "Spiegel" von einer "antisemitischen Welle an Schulen" berichtet. "Die [jüdische] Gemeinde [zu Berlin] rät Eltern, ihre Kinder bei Konflikten lieber auf jüdische Schulen zu schicken - dort seien sie zumindest sicher. Doch die Schutzzone endet außerhalb der Schulmauern", beobachten die Autoren und haben damit auch vollkommen Recht. Jedoch habe ich in Israel, wo man ja ebenfalls von Mauern und sonstigen Zaunanlagen besessen ist, gelernt, dass sich die Sache auch vollkommen umgekehrt betrachten lässt: Das Reich der Angst, das meistens erst daraufhin auch zu dem der eigentlichen Bedrohung wird, beginnt genau dort, wo die Mauer steht, mit der der "sichere" Raum einzugrenzen wäre. Denn ist es gerade die Mauer, die die Bedrohenden ermutigt und ihre Erfolgsaussichten bestätigt. Will sagen: Exklusive Eliteschulen mit jüdischer Mehrheit? Ja! Selbst auferlegte Abgrenzung? Nein!

Am besten also ohne Mauer, sondern mit mehr Mut, Stolz und Selbstbewusstsein. Das ist nicht nur an und für sich - also ganz abgesehen vom Antisemitismus - erstrebenswert, sondern kann im Endeffekt auch dazu beitragen, dass die Bedrohenden, die ihr Ziel - nämlich unter den Juden Angst zu schaffen - nicht erreichen könnten, keinen Spaß mehr daran hätten und allmählich resignieren würden. Allerdings unterscheidet sich Berlin von Israel ganz evident dadurch, dass die Juden hier eine kleine Minderheit sind (und bleiben) und daher keine Möglichkeit haben, ein gewisses, zur Abschreckung ausreichendes Gleichgewicht zwischen etwaiger Gewalt und Gegengewalt herzustellen (wozu übrigens auch Israel selbst inzwischen nicht mehr besonders fähig zu sein scheint). Deshalb sind wir, die Juden in Deutschland und insbesondere in Berlin, nicht zuletzt wohl auf die Unterstützung der deutschen Umgebung - etwa im Sinne von Horst Schultes Stellungnahme zu diesem Thema - angewiesen. Wichtig ist auf jeden Fall zu merken, dass nicht nur antisemitische Übergriffe, sondern auch Mauern und ähnlich eingreifende Schutzmittel eigentlich Gewalt sind - gerade gegen diejenigen, denen sie dienen sollten und deren Welt dadurch gespaltet wird - und daher auf die Dauer keine plausiblen Maßnahmen bilden können.

Dienstag, 5. Dezember 2006

Das "Manifest der 25" und seine Kritiker

Angehörige des linksextermen Flügels unter den "Juden in Deutschland" traten vor kurzem mit einem Aufruf zur Neubetrachtung und Revision der deutschen Nahostpolitik auf, der sowohl auf eigener Website als auch in der Frankfurter Rundschau vom 15. Novemeber veröffentlicht worden sind. Im Grunde genommen fordern sie die deutsche Regierung dazu auf, ihr bisheriges Verhältnis zu Israel neu zu gestalten, um sich stärker und israelkritischer für den so genannten "Frieden" zu engagieren. Begründen wollen sie ihren Appell mit dem Hinweis auf den Holocaust, "der das seit sechs Jahrzehnten anhaltende und gegenwärtig bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Leid über die (muslimischen wie christlichen und drusischen) Palästinenser gebracht hat". Für den Holocaust - als solchen, d.h. nicht nur den jüdischen Opfern gegenüber - hat sich das amtliche Deutschland noch verantwortlich zu fühlen, denn "[a]ls Deutsche, Österreicher und Europäer haben wir nicht nur Mitverantwortung für die Existenz Israels, die, nachdem die Geschichte nun einmal diesen Gang genommen hat [sic!], ohne Abstriche für alle Zukunft zu sichern ist, sondern auch eine Mitverantwortung für die Lebensbedingungen und eine selbstbestimmte Zukunft des palästinensischen Volkes."

Wie mir scheint, sorgten sie damit aber für Aufregung vor allem gerade unter ihren "Mitjuden" in Deutschland, denen es nicht so gut gefällt, dass die Erstunterzeichner sich in ihrer "Berliner Erklärung" als "Jüdinnen und Juden aus Deutschland" vorstellen. Zu diesem Punkt wäre nun Folgendes zu bemerken:

1. Wenn sich die Juden in Deutschland, sofern sie sich amtlich als Mitglieder bei den jüdischen Gemeinden angemeldet haben, nicht nur als gewöhnliche Bundesbürger ansehen, sondern ein Parallelverhältnis zur deutschen Bundesregierung auch und gerade als "Juden in Deutschland" pflegen wollen, können sie keine Einwände mehr erheben, wenn anders gesinnte Juden in Deutschland das gleiche tun, um ihre eigene Sichtweise somit besser zum Durchbruch zu verhelfen.

2. Die Erstunterzeichner können jedoch nur deswegen die jüdische Karte ausspielen, weil das heutige Deutschland als deutscher Nationalstaat und Nachfolgestaat des Dritten Reiches eine - ob zum Guten oder zum Schlechten - besondere Beziehung zum Judentum und erst darunter auch zum Judenstaat hat. Damit gelangen sie zu einem Widerspruch in sich, denn wenn diese Beziehung jetzt neu bewertet werden soll, um eine "richtige" Israelkritik zu ermöglichen und somit das deutsche Verhaltensmuster zu Israel schließlich doch zu normalisieren, sollte es uns als mögliche Unterzeichner ebenso wenig interessieren wie die deutsche Bundesregierung, ob diese Erklärung nun aus jüdischen oder aber aus anderen Kreisen in Deutschland stammt.

Die Erklärung an sich finde ich zugegebenermaßen gar nicht so interessant wie etwa Markus Weingardts Kritik daran, die auf die offenbar nicht nur mir bislang weniger bekannten Seiten der deusch-israelischen Beziehungen hinweist. Zum Sachverhalt würde ich aber sagen, dass die Verfasser des "Manifestes der 25" im Grunde genommen Recht haben, wenn man bedenkt, dass die herzlianisch-zionistische Vision vom modernen Judenstaat einen säkular aufgeklärten Rechtsstaat nach abendländischem Muster vorsieht. Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen verständlich, dass sie die entsprechenden Ansprüche an den zionistischen Staatswesen stellen und auch die deutsche Bundesregierung dazu aufrufen. Ob Israel dann von einem realpolitischen Gesichtspunkt aus noch fortbestehen könnte und, was noch wichtiger ist, ob Israel diesen Erwartungen von einem "religiösen", also heilsgeschichtlichen Gesichtspunkt aus überhaupt gerecht werden sollte, sind jeweils vollkommen andere Fragen.

Trotz all ihrer argumentativen Fehler, auf die auch Michael Wolffsohn hinweist, haben also die fünfundzwanzig m. E. zumindest mit ihren Wünschen Recht, solange man - allerdings ganz axiomatisch - davon ausgeht, dass der Staat "Israel" ein abendländisch-säkularer Judenstaat sein soll; in diesem Fall soll sich Deutschland tatsächlich als für die noch immer aktuellen "Spätfolgen des Holocaust" in Palästina mitverantwortlich betrachten und sich nicht zuletzt auch aufgrund seiner eigenen moralgeschichtlichen Erfahrung für die zweifelsohne heftig unterdrückten und schwer leidenden Palästinenser einsetzen. Sobald man sich jedoch vorstellt (und wenn ihr wollt, ist es ja kein Märchen), dass der abendländische Judenstaat "Israel" noch zum auf die eine oder andere Weise wahrhaft jüdischen "Staat Israels" werden kann, soll und realpolitisch betrachtet vielleicht auch muss, hat das Manifest all seine politische Bedeutung verloren und ist einfach zu noch einer europäischen Kuriosität geworden, denn es soll dann den Israelis ja sowieso vollkommen egal sein, was die deutsche Bundesregierung zu sagen hat. So oder so besteht seine eigentliche Bedeutung nicht in der Reaktion der deutschen Bundesregierung darauf, sondern gerade in der öffentlichen Diskussion darüber. Wünschenswert wäre also, dass das öffentliche Interesse daran nicht allzu schnell erlöscht.

Sonntag, 3. Dezember 2006

Jiddischkeit zum Kosten (oder: Warum nicht nur Juden geschäftstüchtig sind)

Schon wieder Jüdisches Museum: Heute ist der jährliche, wenn auch traditionslose Chanukka-Markt im Innengarten des JMB eröffnet worden, auf dem man in mit Judensternen versehenen Buden sein "normales, halt normales" (so die Antwort eines der Kunden) Schweinefleisch erhalten und in Begleitung von Chanukka- und sonstwie "jüdisch" klingenden Liedern in fremder, d.h. hebräischer und englischer Sprache verzehren kann. Zwischen die Buden, wo man noch Etliches - von Weihnachtsschmuck über Körperpflege vom Toten Meer bis hin zu ausbeuterisch ausgezeichneten Drejdlech - kaufen kann, hat man Stelen mit Texten zu Chanukka hingestellt, die wohl der vorjährigen "Weihnukka"-Ausstellung entnommen sind. Den Kindern ist neben einem Fototermin mit Benjamin Blümchen u. a. auch ein Puppenspiel angeboten worden, in dem aber die Problematik des Mythos vom alten Kampf gegen die Assimilation nicht einmal ansatzweise aufgegriffen, sodern alles "Böse" allzu leicht und bequemlich den "Griechen" zugeschrieben wird.

Was diese verflachte Reduzierung auf entkontextualisierte Volkstümlichkeiten ausgerechnet mit jenem vornehmlich innerjüdischen Blutbad zu tun hat, das vor 2173 Jahren mit der Ermordung manch assimilierter Juden durch den hasmonäischen Priester Matitjahu und dessen Söhne begann und mit dem (letztendlich doch nur vorläufigen) Sieg des makkabäischen Fanatismus über die Assimiliationswünsche der seinerzeitigen "Progressiven" endete, bleibt allerdings fragwürdig - ganz zu schweigen von der Tempelfrage, die gerade mit diesem "Fest der Wiedereinweihung" des von den Assimilierten entweihten Tempels bzw. Altars aktualisiert wird und die es in Anbetracht heutiger Initiativen umso kritischer zu behandeln gilt.

Selbst wenn die schwierigen Fragen sich nicht so gut verkaufen wie Schweinefleisch und Benjamin Blümchen, sollten sie den Menschen - gerade in einem "jüdischen" Museum - zumutbar sein; aber vielleicht ist es doch zu viel, so eine Sachgerechtigkeit von einer Einrichtung zu erwarten, die den Christkindlmarkt unter dem Motto "Kitsch, Kunst und Kulinarisches" zu noch einem Jewish Disneyland machen will. Jedenfalls sollte man sich überlegen, ob der Judenstern nicht unter Schutz zu stellen wäre, um zumindest den erbärmlichen Blick eines derart "verkoscherten" Würstchenstandes zu ersparen.

Freitag, 1. Dezember 2006

Übermäßige Emanzipation? Eine laienhafte Betrachtung der heutigen Rechtsstellung der deutschen Juden

Als Vorspiel zur emanzipatorischen Einbürgerung der Juden wurde bekanntermaßen die Beschuldigung gegen die Juden erhoben, sie seien dem jeweils neuen (oder fast neuen) Vaterlande nicht treu, weil sie ihrer jüdischen Identität den Vorzug einräumen würden. Heutzutage lässt sich Ähnliches unter Bezugnahme auf Israel (nunmehr als Staat) beobachten, wenn auch mit etlichen klaren Unterschieden - während Alfred Dreyfus in Frankreich der Jahrhundertwende vollkommen unbegründet beschuldigt und verfolgt wurde, haben hingegen die Amerikaner Jonathan Pollard mit gutem Grunde - ihrerseits, notabene - lebenslänglich bestraft; und während die Dreyfus-Affäre einen öffentlichen Diskurs auslöste, sind es heute gerade die Israelis, die vom wichtigen Gebot der Geiselbefreiung, also von der Moral schlechthin, gerne absehen. Aber die zeitgenössische Pollard-Affäre ist ja ein Extremfall und trifft daher nicht auf den Alltag der meisten Diasporajuden zu; wie schaut also die Problematik der Doppelidentität bei den Juden im heutigen Deutschland aus?

2003 schloss der Zentralrat der Juden in Deutschland den so genannten "Staatsvertrag" mit der Bundesregierung, im Rahmen dessen beide Seiten, d.h. die heutige BRD als Nationalstaat der "Deutschen" einerseits und der Zentralrat [als Vertretung] der "Juden" in Deutschland andererseits - soweit ich es verstehe - rechtlich gleich- und gegenübergestellt werden. Bemerkenswert bildet der Staatsvertrag aber keine wahrhaft innerdeutsche Gesetzgebung; er wurde erst im Nachhinein vom Bundestag ratifiziert, wie es gerade in internationalen Beziehungen üblich ist. Das heißt: Die Mitglieder der jüdischen Gemeiden, die mehr oder weniger demokratisch und jedenfalls freiwillig durch den Zentralrat vertreten sind, haben, sofern sie auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ohne Rücksicht auf den von ihnen selbst mitgewählten Bundestag unmittelbar mit der Bundesregierung verhandelt.

Daraufhin stehen sie nun zu gleicher Zeit in zweierlei Verhältnis zur Bundesregierung: einerseits von innen als steuerzahlende Bundesbürger, die auf Bundesebene durch den Bundestag vertreten sind, andererseits von außen als "Juden" (scheinbar nur im körperschaftsrechtlichen Sinne), die durch ihren unabhängigen Zentralrat vertreten sind. Insofern sind sie keiner anderen politischen oder sonstigen Gruppierung innerhalb Deutschlands - etwa von Behinderten, Frauen oder Bayern - gleichzusetzen: Diese haben wohl auch Körperschaften, Vereine, Letztere sogar eine eigene Partei, jedoch können sie keinswegs einen Vertrag unmittelbar mit der Bundesregierung schließen, als wären sie dieser gleichgestellt; wenn sie die bundesdeutsche Gesetzgebung beeinflussen wollen, müssen sie vielmehr lobbyieren. Ich kenne kein anderes Beispiel für Bürger eines demokratischen Rechtsstaates, die bei Vermeidung der mitgewählten Volksvertretung einen Vertrag (!) mit dem eigenen Staat schließen. Wenn ein derartiger Vertrag überhaupt möglich ist, heißt er eben: die Verfassung bzw. das Grundgesetz.

Mit diesem Vertrag haben sich "die Juden in Deutschland" mancher Sonderrechte vergewissert, die dem kritischen Auge durchaus vormodern erscheinen. Dass die Juden diese Privilegien rechtlich festlegen wollten, ist als Ausübung politischer Macht verständlich und eigentlich auch legitim: Die infolge der bundesdeutschen Einwanderungspolitik nun stark herausgeforderten jüdischen Gemeinden brauchen die finanzielle Unterstützung durch die Gesamtheit der deutschen Wähler und Steuerzahler, Letztere hinwiederum das jüdische Zeugnis für ihre moralisch-kulturelle Rehablitierung, das (bzw. die) im tunlichst anschaulichen Bestehen der jüdischen Gemeinden zum Ausdruck kommen soll. Wie 1952 mit dem Staat Israels und der Jewish Claims Conference, waren die Deutschen auch diesmal zur Zahlung, die Juden bequemlich zur "Entgegennahme" bereit.

Somit kommen wir nun auf unseren Ausgangspunkt zurück, nämlich auf die Haltung der nichtjüdischen Seite. Auch in dieser Hinsicht gibt es einen markanten Unterschied im Vergleich mit der Zeit der Dreyfus-Affäre, und zwar das einstweilen noch positive Ergebnis der (diesmal deutschen) Judendiskriminierung. Dass die nichtjüdische Bundesregierung sich aber überhaupt erlaubt hat, in einen Vertrag von scheinbar solch internationalem Charakter einzuwilligen, weist jedoch unverkenntlich auf eine Gesinnung hin, die die Juden in Deutschland schlussendlich doch als keine ganz gewöhnlichen Bundesbürger, d.h. als keine zumindest rechtliche Selbstverständlichkeit ansieht. Hier sollen wir bedenken, dass Schröders Bundesregierung ja nicht im Vakuum arbeitete, sondern aus einer Gesellschaft stammte, deren Begrifflichkeiten und Denkmuster sich im bloßen Vorhandensein dieses Vertrages widerspiegeln - und das lässt denken, etwa an Fisch und Vogel.

[Nachtrag: Weiteres zum Staatsvertrag findet ihr hier]