Montag, 24. September 2007

Amerika, die Juden und der Judenstaat

Nach dem heiklen Artikel vom März 2006 ziehen jetzt John Mearsheimer and Stephen Walt mit ihrem eben erschienenen Buch The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy schon wieder viel Aufmerksamkeit auf sich. Die beiden behaupten, dass jüdische Organisationen, aber auch einzelne Juden in den USA die US-amerikanische Außenpolitik allzu stark zugunsten Israels beeinflussen würden, und zwar gegen das angeblich wahre Interesse der USA, die deshalb ins Visier islamischer Militanter geraten seien.

Dazu kann man viel sagen, doch bei der jetzigen Medienresonanz fehlt mir vor allem Folgendes:

1. Die treusten Freunde Israels in den USA sind nicht unbedingt die Juden, sondern vielmehr die zig Millionen ganz gewöhnliche, evangelisch-gläubige Amerikaner, die sich jenseits des verzerrten Amerikabildes befinden, das uns Hollywood gerne verkaufen möchte. Gerade bei den amerikanischen Juden kommt es oft dazu, dass sie sich (aus Angst vor möglicher Kritik?) linksextreme Meinungen zu Eigen machen.

2. Die US-amerikanische Politik lässt sich sowohl in der Gegenwart als auch in der historischen Bilanz kaum als israelfreundlich bezeichnen. Die USA haben z. B. keine Botschaft in Jerusalem, befürworten noch immer Verhandlungen mit der mörderischen Terrormiliz "Fatah" und halten Jonathan Pollard seit mehr als 22 Jahren gefangen. Nur im Vergleich mit der schlichtweg israelfeindlichen EU wirkt Amerika plötzlich "israelfreundlich". In der Tat nutzen die USA Israel aber nur aus, gleichsam einen Bauer auf dem großen Spielbrett der US-amerikanischen Weltpolitik, je nach ihrem jeweiligen Interesse.

3. Israel spielt zwar eine entscheidende Rolle bei der Erweckung des gegenwärtigen Terrorismus, aber nicht gerade deswegen, weil der eher begrenzte Kampf zwischen Israel und manchen Arabern zum Amerikahass unter gläubigen Muslimen sowie nichtgläubigen Arabern beigetragen hat. Israels "Leistung" besteht vor allem darin, dass es den islamischen Terror fast eigenhändig legitimierte und zum nachweislich erfolgreichen Kampfmittel werden ließ. Jitzchak Rabins Händedruck mit Jassir Arafat am 13. September 1993, mit dem dem Terror vor aller Welt Recht gegeben wurde, und den vierfachen Terrorangriff am 11. September 2001, mit dem das neue Rechtsgefühl auch außerhalb Israels zur Geltung kam, verbindet eine klare Linie des moralischen Verfalls: "Wir haben mit dem Tod einen Bund geschlossen und mit der Unterwelt einen Vertrag gemacht" (Jesaja 28:15).

Der allerwichtigste Punkt bei dieser Diskussion ist aber Folgendes:

Selbst wenn die USA wirklich israelfreundlich handelten und nur deswegen von Muslimen gehasst und angegriffen würden, gölte nichts anderes als: Idealismus kostet - nach wie vor! Ist aber die US-amerikanische Gesellschaft grundsätzlich bereit, um Werte und Moral zu kämpfen? Oder sucht sie jetzt nur noch den gemütlichen Ruhestand?

Das ist die eigentliche Frage, die gerade in Bezug auf Israel leider nirgendwo gestellt wird.

Nachtrag [25.09.2007]: Veröffentlicht auch im Zeitgeist und zwar hier.

7 Kommentar(e):

medbrain2001 hat gesagt…

Unter den Unterstützern Israels in den USA (und anderswo, aber v.a. dort)finden sich meines Erachtens auch fundamentalistische Christen (und davon nicht wenige), deren Anwesenheit in Israel von behördlicher Seite nachgerade gefördert wird. Diesen (Teil-)Aspekt halte ich für bedenklich. Sukkot 2003 z.B. (oder kurz davor) gab es eine Parade dieser Leute durch Jerusalem, die vorgaben, Sukkot zu feiern - mit einem Missionshintergrund. Messianische Juden sind da eher gefährlich meines Erachtens. Dies aber nur nebenbei.

Yoav Sapir Berlin Jewish Tours hat gesagt…

1. Du meinst wohl die so genannten christlichen Zionisten. Im Rahmen der International Christian Embassy in Jerusalem pilgern gläubige Christen seit 1980 jährlich zu Sukkot aus aller Welt nach Jerusalem (vgl. Sacharija 14). Dabei nehmen sie u. a. am allgemeinen Jerusalem-Marsch teil, den der Stadtrat organisiert.

2. Die Mission und insbesondere die Judenmission ist ein grundlegender Bestandteil christlichen Glaubens in all seinen Formen. Infolge des Holocaust und in Anbetracht der geringen Zahl der Juden in der Nachkriegswelt ist dieses Grundprinzip vielerorts beiseite geschoben. Gerade die christlichen Zionisten sind ehrlich genug, um zuzugeben, dass ihrem Glauben nach die Juden schließlich Jesus anerkennten etc. Während aber die Judenmission in der Regel zur Voraussetzung für die Endzeit gemacht wurde und noch immer wird, verstehen die christlichen Zionisten die vermeintliche Anerkennung Jesu durch die Juden als eine der letzten Erscheinungen innerhalb der Endzeit selbst, womit sie auf die aktive Judenmission verzichtet haben. Stattdessen beschränken sie sich auf die an Nichtjuden gerichtete Aufgabe: "Tröstet, tröstet mein Volk" (vgl. Jesaja 40). Weiteres dazu kann ich dir zu einem anderen Zeitpunkt erzählen (bin jetzt in Eile).

3. Was meinst du genau mit "fundamentalistisch"? In den USA gibt es ja zahlreiche unterschiedliche Gruppierungen. Und wie sind wir plötzlich auf messianische Juden gekommen? Übrigens wäre es besser, diese Gruppe(n) als "Judenchristen" zu bezeichnen, denn jeder gläubige Jude ist im Grunde genommen messianisch.

Anonym hat gesagt…

Messianische Juden haben leider keineswegs auf die Mission verzichtet.
Aus dem Jahr 1998, im Überblick.

Anonym hat gesagt…

Hier eine Definition und ein Beispiel der Gruppen, die ich u.a. mit "fundamentalistische Christen" meine:
Artikel aus "Die Zeit"

Definition des christlichen Fundamentalismus

Anonym hat gesagt…

"Gerade bei den amerikanischen Juden kommt es oft dazu, dass sie sich aus Angst vor möglicher Kritik linksextreme Meinungen zu Eigen machen."

wir lernen: der jude ist von natur aus rechts eingestellt und wenn er links ist, ist er das gar nicht sondern wird dazu getrieben. denn selber entscheiden, wie er denkt, kann er nicht.

Yoav Sapir Berlin Jewish Tours hat gesagt…

an SM:

Du hast Recht. Ich wollte die Formulierung schon lange mildern und bin bislang einfach nicht dazu gekommen.

Ich denke übrigens nicht, dass der Jude "von Natur aus rechts eingestellt" ist, sondern dass er, wie jeder Mensch, seine Heimat mag, wenn auch mit jeweils unterschiedlichen Vorbehälten.

Natürlich gibt es auch Juden, die bereit sind, u. U. die Heimat abzugeben. Inwiefern es dafür gute Gründe gäbe und - was weit wichtiger ist - ob so etwas überhaupt moralisch wäre, darüber kann man diskutieren. Diese Einstellung kann man als links bezeichnen, wobei sich das innerjüdische, israelbezogene politische Spektrum ganz anders als andere, etwa das westeuropäische zusammensetzt.

Jedoch gibt es auch andere Juden, die zum Verzicht auf die Heimat nicht bereit sind, sondern es schlicht und einfach wollen. Diese sollen m. E. schon als linksextrem bezeichnet werden.

Dieses Phänomen betrifft notabene nicht nur Noam Chomsky und seinesgleichen, sondern versteckt sich auch unter der öffentlichen Oberfläche. In Jerusalem habe ich manche Studenten getroffen, die aus den USA her- bzw. hingeschickt wurden, etwa als angehende Rabbiner am Hebrew Union College. Diese haben sich dem Judentum nicht entfremdet: Eine (ihre jeweils eigene) jüdische Identität haben sie schon - sonst würden sie ja nicht Rabbiner werden wollen. Trotzdem haben sie ganz offen erklärt, dass sie sich mit Israel gar nicht verbunden fühlen, mit dem Nationalen am Jüdischen gar nichts anfangen können (oder wollen) und eigentlich lieber gar nicht in Jerusalem studieren würden, wenn sie frei darüber entscheiden könnten.

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass dieses Phänomen eigentlich gar keine Randerscheinung ist und mir scheint, dass es mit (mindestens) zweierlei in Zusammenhang steht: einerseits mit dem an US-amerikanischen Universitäten verhältnismäßig weit verbreiteten Israelhass; andererseits mit dem einflussreichen Links-Diktat der meisten Medien im Westen. Gerade in höher gebildeten Kreisen herrscht heutzutage ein israelfeindliches Klima, und man muss schon ganz gut auf seine Wortwahl aufpassen. Daher scheint mir, dass linksextreme Meinungen gerade unter Juden auch als Anpassungsversuch verstanden bzw. auf die Angst vor möglicher (öffentlicher) Kritik zurückgeführt werden können.

Das gilt natürlich auch für Deutschland: Wenn die palästinensische Variante der arabischen Kafija, das so genannte "Palituch", das mit so viel mörderisch vergossenem Judenblut verbunden ist, in Deutschland auch von ganz "normalen" Jugendlichen getragen wird, muss man schon ein gewisses, ob soziales oder andersartiges Risiko eingehen, wenn man sich als Jude öffentlich zur eigenen Heimat bekennen möchte. Im Netz verbreiten sich übrigens Bilder von mir (mit Gesicht), die irgendwelche Leute auf der Demo vom 28.01.07 gemacht haben. Mit den Fotos selbst habe ich gar kein Problem, aber das Gefühl, feindlich beobachtet zu werden, gefällt mir irgendwie nicht besonders gut.

Yoav Sapir Berlin Jewish Tours hat gesagt…

Err... Es muss wohl heißen: "auf der Demo am 28.01.07"