"Schafft die Museen ab!" lautet der Titel eines sehr guten Artikels von Philipp Blom (-> Autorseite im Perlentaucher) in der Zeit vom 03. Jänner 2008. Da ich keine Zeit habe, den nicht so kurzen Artikel zusammenzufassen, begnüge ich mich hier mit ein paar Zitaten, die m. E. das Wesentliche vermitteln:
Allerdings haben wir uns längst an das Leben in der Vergangenheit gewöhnt: nicht nur in Museen, auch auf Konzert- und Theaterprogrammen sind wir überwältigt davon. Unsere Kultur selbst ist museal.
Wir brauchen den Ballast der Vergangenheit. Ballast hat die Funktion, dem Vorwärtsgehenden Gewicht und Richtung zu geben. Wer weiterkommen will, braucht Ballast, er muss aber auch bereit sein, einen Teil davon über Bord zu werfen.
Und die prägnante Schlussaussage:
Wir brauchen nichts so sehr wie Mut zur Vergänglichkeit.
Seitdem überlege ich mir, inwiefern Bloms eher allgemeine Feststellungen auf die Juden in Deutschland zutreffen. Genauer gesagt: auf die Funktion des Jüdischen im heutigen Deutschland. Die lange Geschichte der Juden in Deutschland war - und ist noch - so wandelreich, dass man im Rückblick sagen kann: Deutschland hat einen Judenfetisch.
Ob "noch immer" oder "erst recht", ist eine Frage der historischen Perspektive. So oder so führt Deutschland seit 18 Jahren bekanntermaßen ein einzigartiges Projekt durch: die vermeintliche Neubelebung des Vergangenen, das man vormals mit noch größerer Leidenschaft loswerden wollte. Dass es sich dabei um den Import von Menschen handelt, spielt eine genauso geringe Rolle wie die Tatsache, dass die Angelockten kaum etwas mit denjenigen zu tun haben, als deren Ersatz sie fungieren bzw. figurieren sollen. Hauptsache ist nur: Das Vergangene ersteht scheinbar wieder auf, lässt am einst Verdrängten nunmehr obsessiv festhalten und stellt so sicher, dass das endlich Wiedergekehrte nicht das tut, was alles Menschliche früher oder später tun muss: aus dem Blickfeld verschwinden, ja in Vergessenheit geraten.
Mit der gezielten Anwerbung von mehreren Hunderttausenden ehem. Staatsbürger der UdSSR, deren Leistung alleine darin besteht, dass sie für die Behörden der DDR, dann auch für die der BRD das Vergangene darstellten bzw. als Juden (aber notabene: nicht in religiöser Hinsicht!) qualifizierten, hat Deutschland jegliche Chance auf Normalität um Jahrzehnte hinausgeschoben.
Ob es sich im seit Kriegsende erstmals "wiedervereinigten" Deutschland auch anders hätte entwickeln können, ist abermals eine Frage der historiographischen Interpretation. Die im Endeffekt unverwirklichte Alternative könnte z. B. die israelische Szene in Berlin darstellen, für die die neue Judenpolitik Deutschlands im Großen und Ganzen kaum eine Rolle spielt. Jedenfalls hat sich die Geschichte so entwickelt wie wir sie heute kennen, und nun ist Deutschland wohl das einzige Land, in dem Unsummen in die Wiederherstellung von Synagogen investiert werden, die selbst nach dem hunderttausendfachen Judenimport kaum als solche in Anspruch genommen werden und, ihrem eigentlichen Zweck zwangsläufig entfremdet, eher als scheinbar lebendige Museen die städtische Landschaft zieren (vgl. Rykestraße).
Und die importierten Exponate? Sie scheinen sich kaum gegen die ihnen zugeschriebene Funktion zu wehren. Eher im Gegenteil: Sie genießen die materiellen und andersartigen Vorzüge ihrer neuen Stellung, mit der ihre außerordentliche Zuwanderung in den Westen fest gekoppelt ist. In diesem Zusammenhang kommt mir eine Erfahrung in den Sinn, die ich bei der heurigen 9.-November-Gedenkstunde hier in Heidelberg machen durfte. Dazu im nächsten Beitrag - bis dann wünsche ich euch
a gitn Schabbes
Nachtrag [25.01.2008]: Ich habe mich entschlossen, den Beitrag zur Gedenkstunde nicht zu veröffentlichen.