Freitag, 18. Jänner 2008

Wir(?) glücklichen Exponate

"Schafft die Museen ab!" lautet der Titel eines sehr guten Artikels von Philipp Blom (-> Autorseite im Perlentaucher) in der Zeit vom 03. Jänner 2008. Da ich keine Zeit habe, den nicht so kurzen Artikel zusammenzufassen, begnüge ich mich hier mit ein paar Zitaten, die m. E. das Wesentliche vermitteln:

Allerdings haben wir uns längst an das Leben in der Vergangenheit gewöhnt: nicht nur in Museen, auch auf Konzert- und Theaterprogrammen sind wir überwältigt davon. Unsere Kultur selbst ist museal.


Wir brauchen den Ballast der Vergangenheit. Ballast hat die Funktion, dem Vorwärtsgehenden Gewicht und Richtung zu geben. Wer weiterkommen will, braucht Ballast, er muss aber auch bereit sein, einen Teil davon über Bord zu werfen.


Und die prägnante Schlussaussage:

Wir brauchen nichts so sehr wie Mut zur Vergänglichkeit.


Seitdem überlege ich mir, inwiefern Bloms eher allgemeine Feststellungen auf die Juden in Deutschland zutreffen. Genauer gesagt: auf die Funktion des Jüdischen im heutigen Deutschland. Die lange Geschichte der Juden in Deutschland war - und ist noch - so wandelreich, dass man im Rückblick sagen kann: Deutschland hat einen Judenfetisch.

Ob "noch immer" oder "erst recht", ist eine Frage der historischen Perspektive. So oder so führt Deutschland seit 18 Jahren bekanntermaßen ein einzigartiges Projekt durch: die vermeintliche Neubelebung des Vergangenen, das man vormals mit noch größerer Leidenschaft loswerden wollte. Dass es sich dabei um den Import von Menschen handelt, spielt eine genauso geringe Rolle wie die Tatsache, dass die Angelockten kaum etwas mit denjenigen zu tun haben, als deren Ersatz sie fungieren bzw. figurieren sollen. Hauptsache ist nur: Das Vergangene ersteht scheinbar wieder auf, lässt am einst Verdrängten nunmehr obsessiv festhalten und stellt so sicher, dass das endlich Wiedergekehrte nicht das tut, was alles Menschliche früher oder später tun muss: aus dem Blickfeld verschwinden, ja in Vergessenheit geraten.

Mit der gezielten Anwerbung von mehreren Hunderttausenden ehem. Staatsbürger der UdSSR, deren Leistung alleine darin besteht, dass sie für die Behörden der DDR, dann auch für die der BRD das Vergangene darstellten bzw. als Juden (aber notabene: nicht in religiöser Hinsicht!) qualifizierten, hat Deutschland jegliche Chance auf Normalität um Jahrzehnte hinausgeschoben.

Ob es sich im seit Kriegsende erstmals "wiedervereinigten" Deutschland auch anders hätte entwickeln können, ist abermals eine Frage der historiographischen Interpretation. Die im Endeffekt unverwirklichte Alternative könnte z. B. die israelische Szene in Berlin darstellen, für die die neue Judenpolitik Deutschlands im Großen und Ganzen kaum eine Rolle spielt. Jedenfalls hat sich die Geschichte so entwickelt wie wir sie heute kennen, und nun ist Deutschland wohl das einzige Land, in dem Unsummen in die Wiederherstellung von Synagogen investiert werden, die selbst nach dem hunderttausendfachen Judenimport kaum als solche in Anspruch genommen werden und, ihrem eigentlichen Zweck zwangsläufig entfremdet, eher als scheinbar lebendige Museen die städtische Landschaft zieren (vgl. Rykestraße).

Und die importierten Exponate? Sie scheinen sich kaum gegen die ihnen zugeschriebene Funktion zu wehren. Eher im Gegenteil: Sie genießen die materiellen und andersartigen Vorzüge ihrer neuen Stellung, mit der ihre außerordentliche Zuwanderung in den Westen fest gekoppelt ist. In diesem Zusammenhang kommt mir eine Erfahrung in den Sinn, die ich bei der heurigen 9.-November-Gedenkstunde hier in Heidelberg machen durfte. Dazu im nächsten Beitrag - bis dann wünsche ich euch

a gitn Schabbes

Nachtrag [25.01.2008]: Ich habe mich entschlossen, den Beitrag zur Gedenkstunde nicht zu veröffentlichen.

4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Hallo Yoav,

die Frage, ob unsere Gesellschaft nicht alles museal macht, sobald es die Gegenwart in Richtung Vergangenheit verlassen hat, ist berechtigt, weil die Massenmedien- und Computernetz-Realität immer mehr alles wirklich Geschehene augenblicklich archivieren, manipulieren und vielleicht auch bald so imaginativ generieren kann, daß alles und jeder im Prinzip austauschbar wird. Und auch daß "die" Juden von den meisten Deutschen im Bewußtsein wie Museumsstücke gehandelt werden stimmt wohl irgendwie. Ich kenne jedenfalls keinen Juden und wenn ich einen kennen würde, dann wäre für mich sein Jüdischsein und auch die Geschichte seiner Großeltern sekundär, obgleich mich alles, was mit Geschichte, Kultur und Politik "der Juden" sehr interessieren würde und zwar nach seinem subjektiven Urteil und Erlebnis. Primär bleibt aber die Person und der Charakter selbst, unabhängig von Nationalitäten und Sprache. Freilich würde ich, wenn ich "einen Juden" kennen würde, nachdem ich mich mit ihm über Persönliches unterhalten hätte, ihn auch über sein Urteil über das heutige Bild "der Juden" bei "den Deutschen" und umgekehrt fragen und dabei wohl herausfinden, wie sehr dieses von subjektiven Erfahrungen wie von gängigen Medien(manipulations)erfahrungen abhängt. Und dann würde ich tiefer bohren und etwas über das Rechtssystem und Rechtsbewußtsein und die politische Lage in Israel und Deutschland wissen wollen und wie er darüber denkt, daß Israel z. B. 200 Atombomben haben darf und der Iran oderr Palästina keine oder wie er es sieht, daß Deutschland an Israel kürzlich fünf modernste U-Boote geliefert hat, die nach kurzem Umbau mit Atomraketen bestückbar sind. Aber wir würden wohl sehr schnell einer Meinung darüber sein, daß die Weltkriege von den Kriegstreibern aus der internationalen Finanzoligarchie geschürt werden, denen es überhaupt nicht um Religion, Kultur oder Nationalität geht, sondern einzig um Kohle und Gleichschaltung zum Zwecke der weiteren Ausbeutung, und daß das einfache Volk hier in Deutschland wie in Israel wie überall sonst sehr wenig zu melden hat. Daß wir alle noch irgendeine nationale, religiöse und sprachliche Zugehörigkeit empfinden und ein bestimmtes Bild von der Historie unserer Vorfahren haben, wird wohl leider auch bald museal werden, dann nämlich, wenn nach dem derzeit anlaufenden Weltkrieg ein totalitäres Weltsystem errichtet sein wird. Da werden wir uns vielleicht an die kleinen Reibereien, Widersprüchlichkeiten und Vorurteile, die uns noch irgendeine Identität gaben, gerne zurückerinnern.
Gruß von Christoph.Hans.Messner@gmx.de

Simanija hat gesagt…

yoav,
bekannterweise sehe ich die deutsche realität nicht ganz so "pessimistisch", aber in deinem beitrag steckt ein verdammt großes stück wahrheit. die frage, die sich mir eigentlich nur stellt, ist was wir daraus machen. wir können uns zu museums-inhalten reduzieren lassen und all denen willig zur verfügung stehen, die noch nie einen juden gesehen haben, oder ein jüdisches leben für uns aufbauen, das unseren erwartungen und maßstäben entspricht.

notwendigerweise muss sich dabei etwas an der politik der jüdischen vertretung etwas ändern, weg von dem versuch, sein eigenes andenken in stein hauen zu lassen und endlich hin zu wirklicher gemeindearbeit (also in menschen zu investieren).

mag sein, dass man das interesse an "uns" verliert, wenn wir nicht jedes jahr neue großprojekte in die deutsche landschaft setzten, aber wir könnten es vielleicht schaffen ein judentum jenseits des musealen archivierens dauerhaft lebendig zu bewahren.

Anonym hat gesagt…

@ Adi

"vielleicht schaffen ein judentum jenseits des musealen archivierens dauerhaft lebendig zu bewahren."

Tja dazu sollen wir auch vielleicht etwas mehr aufklärung unter den Gemeindemitgliedern machen, die Jugend mehr informieren und nicht denen dauern irgendwas von Israel erzählen. Irgendwie erinnert mich diese situation an eine Geschichte aus dem Talmud, wo ein Rabbine immer mit dem Himmel argumentiert, und seine Opponenten ihn darauf Antworten dass wir auf der Erde leben.

So schaut es auch in Deutschland aus, irgendwie glauben alle in der Luft zu schweben und keiner mag auf der Erde gehen und die Tatsachen anerkennen die betsehen. Bevor wir ein Judentum jensiets des Museums schaffen, müssen wir es auch wollen (naja und ZR muss auch mitziehen)

Anonym hat gesagt…
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