Donnerstag, 28. Juni 2007

Schweigen

...ist Gold.

Trotzdem lasse ich das Blog fortbestehen, nicht zuletzt auch um des netten Webrings willen. Übrigens bin ich mir ziemlich sicher, dass der betäubende "Realitätsschock", der mich seit einiger Zeit überwältigt, einer neu erwachenden Redelust schon wieder weichen wird, und zwar früher als erwartet.

Bis dann
Yoav

Montag, 14. Mai 2007

Natürlicher Judenhass?

Gestern habe ich mit ein paar Studenten am Geiger-Kolleg über Antisemitismus (mit oder ohne Anführungszeichen) gesprochen. Meiner Meinung nach darf man nicht erwarten, dass es gerade gegen die Juden keine Ressentiments gäbe, bzw. diese Ressentiments moralisch verurteilen, wenn andere Gruppen nach wie vor doch als solche gehasst werden. Wenn man mit sich ehrlich ist, muss man zugeben, dass dieses Phänomen nichts Außergewöhnliches ist; ganz im Gegenteil: Menschen verallgemeinern, stigmatisieren, neigen zu Vorurteilen, hassen andere Gruppen, halten diese für minderwertig usw. usf., kurzum sind die Menschen nicht gerade so, wie man sie sich wünschen könnte. Sie sind nicht aufgeklärt, nicht immer liberal, meistens kaum aufgeschlossen - aber die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Warum sollen wir also fast jede Erscheinung von Ressentiments gegen Juden als solche gleich als "Antisemitismus" brandmarken und noch strenger verurteilen als Ressentiments gegen, sagen wir mal, Polen?

Ein Student meinte, dass Ressentiments gegen Polen zu noch keinem Holocaust geführt haben. Das kann man gewissemaßen schon bestreiten, aber selbst wenn der Fall so klar und einfach wäre, würde ich mir denken, dass gerade der moralische Stress, den die strenge Verurteilung dieser allgemein menschlichen, weil identitätsstiftenden Ab- und Ausgrenzungstendenzen zur Folge hat, die ohnehin vorhandenen Ressentiments nur noch schlimmer machen kann, und zwar vor allem genau gegen die Gruppe, die man nicht hassen dürfte.

Ich habe also gar kein Problem damit, dass mancher keine Juden mag, und für mich ist es längst noch kein "Antisemitismus". Jedem Menschen muss das Recht vorbehalten werden, irgendwelche Gruppen zu mögen oder als solche nicht zu mögen, und diese Tendenzen ganz willkürlich auszuleben, ohne sich dabei rechtfertigen zu müssen. Das mag vielleicht nicht das Schönste am Menschlichen sein, aber das gehört dazu. Genau so, wie es Frankophile geben darf, darf es auch das Gegenteil davon geben, ob bei Franzosen, Juden, Homosexuellen, Kapitalisten oder welcher Gruppenvorstellung auch immer.

Sonntag, 22. April 2007

Lenzstimmung

Also: Vor einer Woche bin ich nach Berlin zurückgeflogen. Neue Überlegungen habe ich - sei es mal vorweggenommen - keine mitzuteilen und abgesehen von ein paar Antworten auf interessante Kommentare, die sich hier in den letzten Wochen angehäuft haben, fühle ich mich schon ziemlich dazu gezwungen, stumm (und glücklich) zu bleiben.

Jedoch kommen die Leser täglich noch dutzendweise her (und mancher schickt mir auch ganz unabsehbare Fragen per E-Mail). Da tauchen bei mir schon irgendwelche (gesunden?) Schuldgefühle auf... Aber wer hat denn noch Lust, immer wieder über Juden in Deutschland zu reden? Nach wenigen Monaten in diesem Land kann ich schon besser diejenigen verstehen, die irgendeine Art Schlussstrich gerne hätten, ohne diesen selbst gezogen zu haben. Ein gesunder Kopf muss nämlich auch wissen, wie man ab und zu vergisst, um neuem Leben Platz zu schaffen - etwa dem Neuen, das sich jetzt überall so duft- und blütenreich entfaltet.

Aber vielleicht wäre es - etwa aus politischen Gründen - ja besser, in diesen Sachen doch stumm zu bleiben. Dafür habe aber eine Idee und zwar einen Berliner Lesekreis für hebräische Literatur - ob im Original oder in der Übersetzung - einzuleiten... Wie das funktionieren soll? Keine Ahnung, aber ich könnte mir gerne einen kleinen Freundeskreis vorstellen, der sich ab und zu trifft, um hebräische Erzählungen zu besprechen. Zur Zeit lese ich etwa - wenn auch mit beträchtlicher "Verspätung" - den ersten Roman von Sayed Kaschua. Wer in Berlin lebt und ihn schon gelesen hat oder jetzt gerne lesen möchte (das Buch ist ziemlich kurz und liest sich schnell), kann sich hier mit einem Kommentar melden. Wir werden dann schon sehen, ob aus dieser Idee ausnahmsweise etwas wird.

Einstweilen beste Grüße
Yoav

Sonntag, 18. März 2007

Off Topic: Schon wieder Urlaub

Liebe Leser,

jeden Tag besuchen viele diesen Blog, und ich fühle mich schlecht, dass ich zuletzt nichts geschrieben habe. Das rührt vor allem daher, dass ich keine wirklich neuen Beobachtungen gemacht habe. Wenn mir etwas einfällt, komme ich nach kurzer Überlegung zum Schluss, dass ich zum jeweiligen Thema bereits geschrieben habe und dass die scheinbar neue Beobachtung eigentlich nur ein weiteres Beispiel für das bereits besprochene Phänomen ist.

In einer Woche fahre ich zu einem Workshop in Danzig und dann nach Israel. Mitte April komme ich zurück. Vielleicht habe ich dann etwas Neues im Kopf, versprechen kann ich allerdings nichts. "Und es gibt nichts Neues unter der Sonne."

Seid gegrüßt
Euer Yoav

Mittwoch, 28. Februar 2007

Von Judentum und Jiddischkeit

Liebe Leser,

machen wir es diesmal etwas interaktiver: Was ist für euch wichtiger bzw. soll eurer jeweiligen Meinung nach für Juden bzw. Jidn wichtiger sein - das Gebet oder das Essen?

Und vergesst nicht, eure Ansicht (nach Möglichkeit) jüdisch zu begründen!

Seid gesund und umso fröhlicher,
Euer Yoav


Nachtrag (08.03.2007):

Mit durchschnittlich 45 Besuchern pro Tag habe ich mehr als zwei Teilnehmer(innen) erwartet, was ich allerdings nicht hätte erwarten sollen - aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls bedanke ich mich bei Schoschana und Miriam für die interessante Diskussion!

Die "Lösung" lautet: Das Essen soll m. E. für wichtiger gehalten werden als das Gebet, weil das Essen auf ein Gebot in der Thora zurückgeführt werden kann, während dieselbe keine ausdrückliche Gebetspflicht enthält.

Die Erklärung: Allgemein gesagt, wird im jüdischen Recht zwischen zwei Gebots- bzw. Pflichtarten unterschieden: einerseits "mide'oreita" - von der Thora (auf Aramäisch: Oreita) -, andererseits "mid[e]'rabanan" - von den Rabbinern. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Feste: Während bspw. Sukkot und Pessach als richtige Feste betrachtet werden, weil sie mide'oreita, also von der Thora sind, werden Purim und Channuka als "zweitklassige" Feste angesehen, an denen lockerere, also weniger strenge Halachot (Gesetze) gelten. In rechtlichen Schriften spricht man auch von "Takanot" (Ver-, Anordnungen; Verfügungen) als Bezeichnung für die Gesetze der späteren Rabbiner, um den Begriff "Mizvot" (ungefähr: Pflichten) den Ge- und Verboten der Thora vorzubehalten.

Diese Hierarchisierung können wir nun auch auf unsere Fragestellung anwenden. In Dwarim (5. Mose), Kapitel 8, Vers 10 steht geschrieben: "ואכלת ושבעת וברכת את־ד׳ אלקיך על־הארץ הטבה אשר נתן־לך". In der Regel wird es folgendermaßen verstanden und übersetzt: "Wenn du isst und satt wirst / nachdem du gegessen hast und satt geworden bist, sollst du Gott für das gute Land preisen/loben, das er dir gegeben hat." Aber sprachlich betrachtet sind hier die Verben "essen" sowie "satt werden" genau so konjugiert wie das Verb "preisen" und zwar in einer Form (2. Person Sg. männl. in biblischer Futur), die in der Thora immer den Imperativ bedeutet. Jedoch wird dieses "vergessene" Gebot - eigentlich zwei: zu essen und satt zu werden - nicht unter zu den 613 Grundge- und -verboten gezählt; wohl deswegen, weil man es als eine Selbstverständlichkeit betrachtete und daher als einen Konditionalsatz verstand. Jedoch könnte man dasselbe auch für Dwarim 6:5 behaupten: "ואהבת את ד׳ אלקיך בכל־לבבך ובכל־נפשך ובכל־מאדך" - "Und du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft" (natürlich ebenfalls in der vorerwähnten Imperativform); so selbstverständlich es klingen mag, gilt es jedoch als eines der allerwichtigsten Gebote. Jedenfalls ist klar, dass es weder selbstverständlich ist noch jemals war, zu essen und satt zu werden. Demgegenüber steht in der Tora sche'bichtaw - der schriftlichen Thora - nicht geschrieben, dass Israel beten soll; dieses Verständnis wurde aus einem anderen Gebot interpretiert: Gott zu dienen (Dwarim 10:20). Darüber hinaus ist das Pflichtgebet, das wir heute in dem Siddur - Gebetsbuch - haben, im Grunde genommen erst durch die späteren Rabbiner als Verpflichtung ganz Israels verfügt, und zwar erst nach der Zerstörung des zweiten Tempels, als Ersatz der nunmehr unmöglich gewordenen Opferdarbringung, zu der uns die Thora ja ausführlich verpflichtet. Selbst den "Schma", das berühmteste Gebetsstück, mussten einst nur die Priester im Tempel aufsagen. Das sind, notabene, noch keine religionswissenschaftlichen, sondern schlichte Talmudkenntnisse.

Und zum (wohl einstweiligen) Schluss: Essen ist Jiddischkeit und Jiddischkeit ist der wichtigste Teil, ja die Grundlage des wahren Judentums (ein Wortspiel, das auf Jiddisch - mit gutem Grunde! - nicht geht). Dieses Land - Deutschland - braucht zuerst Jiddischkeit, aus der in Zukunft auch die höhere Schicht - die des rechtlichen Judentums - mit Gottes Hilfe noch entstehen wird.

Montag, 26. Februar 2007

Zwischen Juden und Israelis

In den letzten Jahren lässt sich immer häufiger hören, dass eine der Ursachen gegenwärtiger Manifestationen von Antisemitismus in Europa die fehlende Unterscheidung zwischen Juden und Israelis wäre. Diese Behauptung habe ich etwa bei der Diskussion im taz-Café zur Lina-Morgenstern-Schule etc. von einem Berliner Jugendstadtrat gehört, der sich auf Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen bezogen hat. Solch eine Denkweise finde ich besonders schlimm, weil sie suggeriert, dass es irgendwie doch akzeptabler wäre, wenn in Berlin (jüdische) Israelis anstatt (deutscher) Juden verfolgt würden.

Jedoch lässt sich das Verlangen nach dieser Unterscheidung auch unter Juden finden: Im Sommer 2005, bei einem Besuch in Stuttgart, habe ich einen Vortrag von Meinhard Tenné gehört, der sich darüber beschwert hat, dass die Deutschen zwischen Juden und Israelis noch immer nicht unterscheiden können (diese Aussage kann man, wenn ich mich nicht irre, auch in der Ausgabe des "Parlaments" vom 28.07.2003 nachlesen). Die Beschwerde beim Vortrag bezog sich darauf, dass die Deutschen bei der Jüdischen Gemeinde in Stuttgart anrufen, um sich nach den Voraussetzungen für die Einreise nach Israel zu erkundigen. Auch mit dieser Aussage kann ich mich nicht abfinden: Wenn sich die Juden in Deutschland vom zionistischen Judenstaat abgrenzen wollen, warum lernen dann die Kinder in der jüdischen Volkshochschule in Berlin Neuhebräisch, aber kein talmudisches Aramäisch? Warum will der Berliner Rabbiner Ehrenberg, dass seine Gemeinde nach dem Schlussgebet an Jom Kippur die zionistische Nationalhymne singt? Warum kommen so viele Vorbeter aus Israel? Warum schicken sowohl die Heidelberger Hochschule als auch das Berliner Abraham-Geiger(!)-Kolleg ihre angehenden Rabbiner zur Schulung nach Jerusalem (was übrigens sogar das amerikanische Hebrew Union College macht und zwar zum Ärger vieler seiner Studierenden)? Und das sind ja nur wenige Beispiele.

Ob sich das deutsche Judentum überhaupt von Israel abgrenzen könnte, ist eine gute Frage; meiner Meinung nach eher nicht, weil es nach den heutigen Verhältnissen eine Kolonie des israelischen, daneben auch des US-amerikanischen Judentums ist - und so wird es in absehbarer Zukunft auch bleiben (mehr dazu hier). Klar ist jedoch, dass es sich nicht abgrenzen will und gar nicht abzugrenzen versucht. Bislang habe ich hier übrigens nur recht wenige Menschen kennen gelernt, die sich zum Judentum bekennen, aber keine Verwandten in Israel haben, und schon gar keine Juden, die nicht nach Israel reisen wollen. Dass sich nicht alle Juden mit Israel identifizieren, spielt im menschlichen Kopf, der seit undenklichen Zeiten verallgemeinert und es auch weiterhin tun muss, eine genauso kleine Rolle wie die Tatsache, dass nicht alle Israelis Juden sind. Mag es auch ungerecht erscheinen und bisweilen unangenehm sein: So ist es nun mal.

Mit diesem Zustand müssen die hiesigen Juden - ohne Rücksicht auf ihre jeweilige politische Anschauung in Sachen Israel - zurechtkommen. "Die Deutschen", wenn man doch verallgemeinern dürfte, sind nicht dumm, selbst wenn sie bei der Jüdischen Gemeinde wegen Visum nach Israel anrufen. Unbewusst spüren sie diese Verbindung (und wer sich deren doch bewusst wird, ruft eh nicht bei der Jüdischen Gemeinde an). Auf Hebräisch heißt es sprichwörtlich, dass man den Kuchen nicht aufessen und dennoch unversehrt beibehalten kann; das wissen vielleicht manche Stadträte und Pädagogen nicht, aber viele muslimische Jugendliche schon. Wir können es hinnehmen, wir können es ja auch leugnen, aber ändern lässt es sich anscheinend nicht.

Samstag, 17. Februar 2007

Der Holocaust im 21. Jahrhundert

Als Erstes sei vorweggenommen: Ernst Zündel ist als Neonazi und Holocaustleugner aufs Schärfste zu kritisieren. Desgleichen David Irving, der jetzt wegen Ähnlichem im österreichischen Gefängnis sitzt.

Nach dieser Verbindlichkeit können wir nun auf die eigentliche Frage eingehen: Wollen wir mit Holocaustleugnern wirklich so umgehen, wie man früher Ketzer behandelt hat, also indem wir sie wegen ihrer abweichenden Meinungen bestrafen? Das kommt darauf an, ob wir den Holocaust zum Glaubensbekenntnis, ja zu einer Art Religion machen bzw. werden lassen wollen. Genauer betrachtet geht es aber darum, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen: Entweder ist man bereit, für die Redefreiheit derjenigen zu kämpfen, deren Meinungen man ganz abscheulich findet, oder man ist unbedingt bereit, sich mit einer Gesellschaft abzufinden, in der manche - heute noch wenige, morgen vielleicht mehr - Meinungen gesetzlich verboten sind. Denn erst beim Kampf um den Schutz von Meinungen, die wir selbst nie wieder hören möchten, wird die Redefreiheit in unserer Gesellschaft tatsächlich geprüft - und dann entweder durchgesetzt oder aufgegeben. Dabei geht es notabene nicht um Volksverhetzung: In dem Moment, wo man zur Verfolgung anderer aufruft, hat man sein Recht auf Redefreiheit verloren. Jedoch sind Äußerungen wie "den Holocaust/die Gaskammern hat es nicht gegeben" noch kein solcher Aufruf. Die Unterscheidung ist sehr fein, deswegen aber umso wichtiger.

Das gesetzliche Verbot der Holocaustleugnung wirft aber noch weitere, ebenso schwierige Fragen auf: Wie kann es z. B. sein, dass man nicht den Holocaust, aber zu gleicher Zeit und in demselben Land die Existenz Gottes doch leugnen darf? Ist unsere Vorstellung vom Holocaust wichtiger als die vom Gott? In dem Fall kann schon vom Holocaust als einer neuen Religion die Rede sein - oder wie es Avishai Margalit und Gabriel Motzkin formuliert haben: »a negative myth of origin for the post[-]war world«[1].

Eine andere Frage wäre, warum die Leugnung des deutschen Völkermordes an den Juden verboten, die des türkischen Völkermordes an den Armeniern hingegen erlaubt sein sollte. Trotz der wesentlichen Unterschiede zwischen beidem muss man hier doch eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Darf man Völkermorde in Frage stellen - oder nicht? Darf man, solange nicht verhetzt wird, über alles diskutieren - oder eben nicht?

Die schwierigste Frage ist jedoch, wer vom Verbot profitiert, also ob diese Maßnahme uns zum Ziel verhilft. Dass man keine Meinungen in Haft nehmen kann, ist klar. Genauso klar soll aber auch sein, dass wir gar nicht gewinnen können, wenn wir den Revisionismus - oder etwa die Neonazis - durch Verbot bekämpfen. Denn wenn man es versucht, ist man nicht besser, vielleicht sogar noch schlechter als seine Gegner - und da hat man den Kampf schon am Ansatzpunkt verloren. Man weiß immer, wie man mit dem Verbot anfängt, aber nie, wie die Sache noch enden und mit wie vielen Verboten man noch rechnen sollte.

Als Letztes bleibt noch der Gedanke: Was bedeutet es überhaupt, dass es den Holocaust gegeben hat, wenn diese Aussage nicht zur Diskussion stehen, wenn das Gegenteil nicht behauptet werden darf? Kann man ehrlich vom Weißen reden, ohne das Schwarze zu berücksichtigen? Kann man wirklich das Tageslicht beschreiben, ohne die Nacht zu kennen...?

Nachtrag (21.02.2007): David Irving sitzt nicht mehr im Gefängnis (a Dank an Stefan für den Hinweis).

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[1] Avishai Margalit and Gabriel Motzkin, »The Uniqueness of the Holocaust«, Philosophy and Public Affairs 25 (1996), pp. 65-83, here 80-81. Siehe auch: Moshe Zimmermann, »Globalisierte Erinnerung«, in: Zeichen, Heft 2 des Jahres 2000 (verfügbar unter: http://www.asf-ev.de/zeichen/00-2-08.shtml), wo es steht: »Daß die Shoah zum Fundament der Welt geworden ist, kann man nicht bestreiten.« – was ja wenigstens auf den so genannten Westen zutrifft.

Donnerstag, 15. Februar 2007

Rache ist wichtig

In der letztwöchigen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen (Nr. 6/07 vom 8. Februar) sind die kurzen Stellungnahmen von fünf Rabbinern in Deutschland zur Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristen veröffentlicht (S. 15) und zwar unter dem zusammenfassenden Titel "Reue ist wichtig". Dort beziehen sich alle Rabbiner in ihren Antworten ausschließlich auf die Straftäter und in dieser Hinsicht ist die Frage nach deren Reue in der Tat wichtig. Aber ist das die einzige Hinsicht, die es in dieser Diskussion zu berücksichtigen gilt?

Die Bestrafung findet nicht gerade beim Täter und dessen Leiden, sondern vielmehr im Verhältnis der bestrafenden Gesellschaft zu dem von ihr Bestraften statt. Durch die Bestrafung setzt die Gesellschaft ihre moralischen Grenzen, erklärt ihre Werte und verteidigt ihre Vorstellung von Gerechtigkeit. Eine zu leichte Bestrafung ist nicht gerade deshalb abträglich, weil sie etwaige, künftige Täter nicht abscheut, sondern vor allem deshalb, weil sie die Moral der Gesellschaft schwächt und deren Rechtsgefühl unterminiert. Bei der Ausübung von Gerechtigkeit - nach welchem Verständnis davon auch immer - ist leider kein goldener Mittelweg möglich, denn die Gesellschaft wird dabei geprüft und dadurch entweder gestärkt oder geschwächt.

Aus diesem Grunde war z. B. der in juristischer Hinsicht nicht gerade annehmbarer Schauprozess gegen Adolf Eichmann so wichtig - also nicht deswegen, weil Eichmann am Ende eines unnatürlichen Todes starb, sondern weil Israel ihn mit dem Tode bestrafte und somit sein Rechtsgefühl durchsetzen konnte. Ein anderes, diesmal negatives Beispiel: Es wird behauptet, Arafat sei nicht einfach so todkrank geworden, sondern von israelischen Geheimagenten angesteckt worden. Was aber die Moral betrifft, ist diese Frage eigentlich belanglos: So oder so ist Arafat nicht öffentlich hingerichtet worden. Diese Prüfung (nebst vielen anderen dieser Art) hat Israel nicht bestanden, woraufhin seine Moralität unleugbar geringer und sein Rechtsgefühl schwächer geworden ist.

Gerechtigkeit muss bekanntermaßen gesehen, also erlebt werden. Sie muss öffentlich und ausreichend ausgeübt werden, nicht damit der Täter stirbt, sondern damit die Gesellschaft tötet; nicht damit der Täter leidet, sondern damit die Gesellschaft rächt. Nicht nur der Täter ist wichtig, sondern vor allem auch die Gesellschaft; nicht nur die ehrliche Reue, sondern vor allem auch die moralische Rache trägt zur Vervollkommnung der Welt bei.

Was nun die Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristen anbelangt, so kann und will ich als Außenseiter keine Antwort auf diese Frage geben, zumal ich mich als Jude grundsätzlich von der Moral distanziere, die für dieses deutsche Thema relevant ist, nämlich von der christlich-abendländlischen Moral, welche die Rache sowieso ablehnt.

Nachtrag (17.02.2007): Obwohl dieser Eindruck wohl schon entstehen kann, wird hier notabene nicht behauptet, dass man die RAF-Terroristen damals hätte hinrichten sollen. Mit den obigen Beispielen wollte ich nämlich nur veranschaulichen, dass bei der jetzigen Diskussion über ihre Freilassung nicht nur der Zustand der Bestraften (Reue etc.), sondern vor allem auch die möglicherweise negativen Auswirkungen einer Freilassung auf die Moralität der bestrafenden Gesellschaft zu berücksichtigen sind.

Mittwoch, 7. Februar 2007

Oliver Reeses Stück "Goebbels" im Deutschen Theater

Im Rahmen eines internationalen Studienprogramms, an dem ich hier in Berlin teilnehme, habe ich eine kurze Rezension des Theaterstücks "Goebbels" geschrieben:

Vom pathetisch-rührenden Anfang durch den aufregenden Aufstieg bis zum drohenden Untergang begleiten wir die Person Josef Goebbels in ihrer widersprüchlichen Vielfalt, die Goebbels selbst in seinem Tagebuch sorgfältig beschrieb. Auf einer minimalistisch gestalteten Bühne treten bald abwechselnd, bald gleichzeitig vier Figuren auf, die verschiedene Stadien in seiner Entwicklung als eigenständige Minipersönlichkeiten verkörpern, wodurch auch die Konflikte zwischen den teilweise entgegengesetzten Seiten zum Ausdruck kommen: Dieses Theaterstück dürfte auch »Josef« heißen. Auf die bekannten, sonst wo so oft aufgegriffenen Hintergrundinformationen wird dabei verzichtet, sodass im kleinen Saal eine intime Vertraulichkeit mit den letzten Endes allgemein menschlichen, ewig aktuellen Wünschen und Ängsten des teuflisch Begabten, aber läppisch Lahmen entsteht. Ob Goebbels sich der von ihm mit durchgeführten Katastrophe schlussendlich doch bewusst werden konnte, wirkt vor diesem Hintergrund eher nebensächlich; vielmehr wird man mit der Frage konfrontiert, ob Goebbels sich dabei als Mensch entfaltete, manifestierte und vollends zum Ausdruck kam, ob er also sein Leben auslebte. Zumindest mit einer Seite des selbst beschriebenen Goebbels – sei es mit dem ängstlichen Nebbich, dem Möchtegerncasanova, dem Fachdemagogen oder dem linientreuen, eigentlich unverwirklichten Künstler – kann sich der Zuschauer identifizieren: Hätte er anders machen können oder gar wollen? Und inwiefern wird unser Leben nicht von uns selbst gestaltet, sondern von einem Zufall, einer Banalität, etwa einem geschwollenen Fuß von der Kindheit an schicksalsmäßig bestimmt? Oliver Reeses »Goebbels« ist ein Stück, das bisweilen über die geschichtlichen Fakten hinausgeht und das allgemein Menschliche zu berühren weiß.

Eine weit längere Rezension findet ihr in der taz (mehr konnte ich im Netz nicht finden).

Donnerstag, 1. Februar 2007

Zur Problematik der Moralpolitik im heutigen Europa

Beim Mittagsessen habe ich im Phoenix die heutige Bundestagssitzung gesehen, wo u. a. auch über Genitalverstümmelung diskutiert worden ist. Eine Frau von der CDU, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, hat dort gesagt: "Die weibliche Genitalverstümmelung ist weder durch Tradition noch durch Religion zu rechtfertigen." (Nachher habe ich den Satz anscheinend wortgetreu auf der Website der CDU gefunden.) Natürlich bin ich ebenfalls gegen diese Sitte, nur würde ich nicht behaupten, dass sie "weder durch Tradition noch durch Religion zu rechtfertigen" wäre; ganz im Gegenteil: Alle Sitten, darunter diese wie auch die der männlichen Beschneidung im Judentum, auf die wir noch zurückkommen, lassen sich eben nur durch Tradition und Religion rechtfertigen, wenn man in Bezug auf Sitten überhaupt den Begriff "Rechtfertigung" gebrauchen kann.

Das Wichtigste am oben zitierten Satz ist also, was damit eben nicht gesagt wird: Nämlich, dass die ganze Sache eigentlich nichts mit Tradition und Religion als solchen zu tun hat, denn eigentlich ist es die in unserer heutigen Gesellschaftsordnung dominierende Vernunft der Aufklärung (mit oder ohne Anführungszeichen), durch die diese - auch m. M. n. menschenverachtende! - Sitte nicht zu rechtfertigen sei. Es ist eben diese in sich geschlossene Vernunft, die diese Rechtfertigung zuerst überhaupt verlangt, um sich dann zum Richter darüber - und eigentlich über alles Menschliche - aufzuwerfen und das Verlangte somit schon von vornherein zu verunmöglichen. Die rhetorische Forderung nach Rechtfertigung ist folglich nichts mehr als eine euphemistische Falle, die eine selbstgefällige Pseudodiskussion schafft, indem sie uns dorthin (ver)führt, wo eigentlich keine echte Diskussion mehr möglich ist. Die aufklärerische Vernunft ist selbst eine zwar junge, aber sehr gut verhüllte Tradition und Religion. Sie diskutiert nicht mit ihren Konkurrenten; sie duldet sie nur, um sich selbst als aufgeschlossen und weltoffen zu gefallen. Das tut sie jedoch nur solange sich fremde, also nicht aufklärerische Tradition und Religion friedlich mit deren Restplatz am Rande der aufklärerischen Gesellschaftsordnung begnügen können. In dem Moment, wo die Konkurrenz den aufklärerischen Fanatismus herausfordert - etwa durch mit fremden Werten, fremder Moral zusammenhängende Sitten -, wird sie nicht mehr geduldet, sondern fortan - etwa als "ungerechtfertigt" - ausgeschlossen.

Wie gesagt, bin ich ja auch ausgesprochen gegen die weibliche Genitalverstümmelung, was aber im Vergleich mit der männlichen, etwa im Judentum, große Schwierigkeiten erzeugt, insbesondere wenn man sich an den Streit um die jüdische Beschneidung im 18. und 19. Jahrhundert erinnert: Damals wurde diese jüdische Sitte - und somit die jüdische Tradition und Religion schlechthin - mit aufklärerischen, also wissenschaftlichen bzw. medizinischen Argumenten angegriffen und zwar nicht nur von antiemanzipatorischen Nichtjuden, sondern auch von in die aufgeklärte Umgebung assimilierten Juden. Daraufhin fühlten sich manche Juden gezwungen, die Beschneidung zu rechtfertigen, selbstverständlich nach den erzwungenen Spielregeln der aufgeklärten, also medizinischen Pseudodiskussion. Aber nicht erst in der Neuzeit, sondern bekanntermaßen schon im Altertum wurde die jüdische Moral zum Opfer der jeweiligen Aufgeklärtheit verschiedener Herrscher, die jedoch im Gegensatz zu den europäischen Aufgeklärten nicht nur diese Sitte aufs Schärfste kritisieren und uns somit ausschließen, sondern gerade das Gegenteil davon, nämlich die Beschneidungssitte schlechthin verbieten und uns zur Assimilation zwingen wollten - also nicht so sehr anders, wie man denken möchte, als der heutiger Kreuzzug der Aufgeklärten gegen die weibliche Genitalverstümmelung.

Und heute? Erst nachdem die europäische Aufklärung in ihrer Ausdrucksvielfalt an die Grenzen ihrer falschen Zweifellosigkeit in den Gulags und den KZs gestoßen war, brauchte sich das Judentum in einer deutlichen Manifestation historischer Dialektik nicht mehr zu rechtfertigen. Demzufolge dürfen wir heute gesetzlich ganz, gesellschaftlich fast ungestört unsere Söhne in Abrahams Bund mit Gott hineinbringen bzw. - nach aufklärerischen Maßstäben - genital verstümmeln. Das rührt aber vom Trauma der europäischen Aufklärung her und heißt noch gar nicht, dass die heutigen Aufgeklärten unsere Moral, unsere "Tradition und Religion", unsere Sitten als solche akzeptieren könnten. Darauf, dass sie in der Tat noch immer nicht dazu fähig sind, weist auch die Rechtsstellung des koscheren (und inzwischen auch halalen) Schlächtens hin, das im (in mancher Hinsicht wohl schon) neuen und anderen Deutschland nun wieder erlaubt, aber in anderen, sehr aufgeklärten bzw. nicht selbst von den Spätfolgen der Aufklärung traumatisierten europäischen Ländern, wie Schweden und die Schweiz, noch immer verboten ist.

Und somit gelangen wir zur Gretchenfrage: Wollen wir den Kreuzzug der schon wieder fanatisch wirkenden Aufgeklärten gegen die "ungerechtfertigte" Moral der weiblichen Genitalverstümmelung unterstützen und dabei das Risiko eingehen, dass wir daraufhin unsere eigene männliche Genitalverstümmelung selbst wieder rechtfertigen müssten, wie es heute noch (oder vielleicht: heute schon!) mancherorts mit der Moral des jüdischen Schlächtens steht? Oder wollen wir anderen ersparen, was uns bis vor kurzem so unangenehm war, selbst wenn es um etwas geht, was uns als eine "Perversion" (so auf der besagten Website der CDU) erscheint? Eine klare Antwort kann ich hier nicht geben; jedoch sollen wir unsere Entscheidung - egal, welche - nicht aus falscher Identifikation mit der dominierenden, uns umgebenden aufklärerischen "Vernunft", sondern aus unserem jeweiligen Verständnis jüdischer Moral im Allgemeinen und in Bezuf auf Nichtjuden im Besonderen treffen. Und da muss schon jeder für sich selbst denken.

Montag, 29. Jänner 2007

Kleinigkeiten zur Demo

Gestern hat die bislang schon viel besprochene ILI-Demo gegen Ahmadineschad bekanntermaßen stattgefunden:




Im Grunde genommen bin ich nie gegen das Problem, sondern vielmehr für die Lösung (was im persönlich Leben zwar sehr schwer fällt, aber immerhin). In dem Sinne bin ich auch nicht gegen den iranischen Präsidenten, der ja nichts mehr ist als eine Herausforderung an uns: Haben wir uns denn wirklich so sehr durch den Holocaust verändert, wie wir glauben? Oder erwarten wir noch immer, dass "die Welt" unsere Aufgaben für uns erledigen würde? Kurzum: Haben wir den Mut, dieser Herausforderung gerecht zu werden? Also war ich doch dabei und zwar mit einem angemessenen Schild, das irgendwie nicht ganz mit dem "Wir wollen Frieden für alle" im Einklang stand:



Nur habe ich leider nicht damit gerechnet, dass Wasserbuntstiften bei Regen nicht standhalten... Und in der Tat hat mich dann jemand gefragt, ob ich mir dessen (angesichts des nicht gerade willkommen heißenden Wetters) immer noch so sicher bin...
Naja ;-)

Freitag, 26. Jänner 2007

Dennis Milholland

Trotz aller guten Absichten konnte ich heute bzw. gestern leider, leider nicht nach Potsdam, zum Prozess gegen Dennis Milholland. Und nicht nur das, sondern ich habe jetzt auch feststellen müssen, dass Dennis' Brief und damit auch seine E-Mail-Adresse in meinem Konto verloren gegangen ist. Wahrscheinlich habe ich den Brief irgendwann beim Aufräumen irrtümlicherweise gelöscht. Also Dennis, falls du zufälligerweise diesen Beitrag liest, möchte ich gerne wissen, was sich gestern da alles zugetragen hat. Auch andere, die vielleicht da waren, sind natürlich eingeladen, davon zu berichten!

Einstweilen a gutn Schabbes,
Euer Yoav

Mittwoch, 24. Jänner 2007

Zwischen Pharao und Hitler: Eine Überlegung zum 27. Jänner

Im jüdischen Kalender lesen wir zurzeit die Wochenabschnitte zur Erlösung aus dem ägyptischen Exil, im europäischen Kalender kommt gleich der »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus«, also der Tag der Befreiung der letzten Auschwitz-Häftlinge. Dieser Zusammenhang lädt uns zum Vergleich ein: Was dachten sich die Kinder Israels bei der Verfolgung, als die Ägypter sie versklavten und deren Söhne ermorden wollten? »Und sie schrien«, erzählt uns die Thorah und lässt vermuten, dass sie sich fragten, was sie denn getan hätten, weshalb sie jetzt so sehr bestraft werden müssten. Da könnte man auch heute fragen, worauf Gott damals noch wartete, warum er dieses Schicksal überhaupt zuließ. Diese Schwierigkeiten werden aber noch verstärkt, wenn wir erfahren, dass es gerade Gott war, der das Herz des Pharao verhärtete, der also über Pharao die Verfolgung seines eigenen Volkes verschlimmerte. Die ganze Katastrophe war mithin eine rein göttliche Produktion! Aber was wäre denn die Sünde des Volkes gewesen, die diese Katastrophe erklären könnte?

Heutzutage sagen viele Leute, dass es Begebenheiten gibt, die sich nicht erklären lassen. So eine soll etwa die Schoah sein. In der Tat können wir auch in der Thorah keine Sünde finden, wegen deren Gott die Kinder Israels bestraft hätte, geschweige denn eine so schlimme, um damit die Verfolgung in Ägypten erklären zu können. Trotzdem sind wir in der Lage, dieses Rätsel zu lösen. Dazu müssen wir mehrere Jahrhunderte, bis in die Zeit des ersten Erzvaters, Abrahams, zurückgehen. Im Wochenabschnitt »Lech Lecha« wird uns von Abrahams – der damals noch Awram hieß – erstem Bündnis mit Gott erzählt (Bereschit/Genesis 15), in dem Gott ihm u. a. versprach, dass seine Nachkommenschaft im Exil noch verfolgt und versklavt werden wird. Wichtig ist jetzt für uns nicht nur, dass jene frühere Katastrophe von Gott vorherbestimmt wurde, sondern vor allem auch, dass sie vom Initiator selbst auf keine Ursache zurückgeführt wird! Ganz im Gegenteil, denn Gott versprach ferner, dass die Opfer dieser Verfolgung später »mit großem Vermögen« ausziehen werden. Der Sinn der Katastrophe ist folglich nicht in deren Vergangenheit, sondern in deren (damaligen) Zukunft zu suchen; und tatsächlich lesen wir zurzeit, dass Gott den Pharao immer wieder dazu bringt, den Gräuel der Verfolgung weiterzuführen – aber nicht wegen einer Ursache, sondern zu einem Zweck, und zwar um sein Volk mit vielen Zeichen und Wundern aus Ägypten zu führen.

Mit diesem Musterbeispiel will uns die Thorah lehren, dass den Schlüssel zum Verständnis der Geschichte von einem jüdischen Gesichtspunkt aus nicht in der Vergangenheit, sondern vielmehr in der Zukunft der jeweiligen Begebenheit liegt. Warum hat es also die Schoah gegeben? Diese Frage teilt sich, wie wir nun wissen, in zwei: »Weshalb?« und »Wozu?«. Um die Ursachen bemüht sich noch immer die Geschichtswissenschaft, die schon sehr interessante Interpretationsversuche bieten kann; nach dem bzw. den Zwecken dieser jüngeren Katastrophe muss jedoch jeder von uns selbst suchen. Nicht wir, die wir ja noch keine richtige Perspektive haben, sondern erst die künftigen Generationen werden beurteilen können, welche der vielen Vermutungen in Anbetracht der geschichtlichen Entwicklungen sinnvoller erscheinen. Nichtsdestoweniger liegt es an uns, unsere Nachkommen mit Möglichkeiten auszustatten, die Worte des Propheten auf unsere Zeit anzuwenden (Jesaja 45, 7): »Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt!«

P.S. Wenn wir Hitler schon erwähnt haben: Gestern habe ich Dany Levis "Mein Führer" gesehen. Nein, der Film verstößt nicht gegen den guten Geschmack oder irgendeines "richtige" Geschichtsverständnis; dafür ist er einfach zu banal. Man muss sich schon mühen, um selten ein Lächeln zu erzwingen, denn in der Regel wird man von enttäuschender Langeweile überwältigt. Kurzum ist der Film nicht einmal eine Diksussion wert - schon aber die Gesellschaft, in der man mit dieser Überflüssigkeit so viel Aufmerksamkeit (und nicht zuletzt auch Geld!) verdienen kann. Tut euch selbst also einen Gefallen und spendet diese 6 Euro an die Bedürftigen.

Freitag, 19. Jänner 2007

Wir sind keine Porzellanmenschen

Eine der Sachen, die mich hier am meisten stören, sind die Polizisten und sonstige Wächter, die vor jüdischen Einrichtungen stehen bzw. am Eingang die Besucher kontrollieren. Dieses Phänomen kommt zugegebenermaßen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas vor, und selbst in Israel wird man überall kontrolliert. In Israel begegnen einem diese Schutzmaßnahmen jedoch nicht gerade an "jüdischen Orten", sondern in Einkaufszentren, auf Bahnhöfen usw., wo sie immerhin aufs Strengste abzulehnen sind: In dem Moment, wo sich die Juden selbst ghettoisieren, haben unsere Feinde den qualitativen Sieg schon erreicht, und es ist dann vollkommen gleichgültig, wie viele sie dann auch tatsächlich ermordet haben. Unseren Lebens-, sprich: Kampfwillen haben sie somit bereits überwältigt. Dass die israelischen Streitkräfte in der Regel nur reagieren, also erst dann zurückschlagen (von richtigen Kampfleistungen ganz und gar zu schweigen), nachdem der Feind "erfolgreich" gewesen ist, zeigt allzu deutlich, wie sehr sich die Juden in Israel an die Selbstghettoisierung, d.h. an die ständige Kontrolle und Überwachung gewöhnt haben, wie sehr sie also eigentlich zu kapitulieren bereit sind - so sehr, dass sie auf diese unmögliche Art und Weise auch weiterhin leben könnten und eine militärische Reaktion, wie gesagt, erst nach einem vermeintlich erfolgreichen Einsatz des Feindes fordern, obwohl der Feind schon in dem Moment gewonnen hat, als sie die Selbstghettoisierung hinnahmen.

Das gilt nun umso mehr für die Diaspora, insbesondere aber für Deutschland. Dass Juden hier wieder leben, ist ja nicht selbstverständlich, wie etwa am Staatsvertrag zu erkennen ist. Vor allem wird jedoch die Verantwortung der Bundesregierung für die Sicherheit der deutschen Juden vorausgesetzt. Dass diese in keinem Gesetz festgeschrieben steht, ist leicht erklärlich: Die Bundesregierung sowie die Landesregierungen sind für die Sicherheit aller Deutschen, ja der ganzen Bevölkerung verantwortlich und dürfen hier nicht differenzieren; sonst würde sich jeder Deutsche fragen, warum die Juden besser geschützt werden sollten als er. In der Tat sind aber die Juden aus politischen Gründen doch besser als andere zu schützen, wovon die bloßen Schutzmaßnahmen zeugen, die mich so ärgern. Ob sie aber über die Kosten hinaus auch richtig und wirksam sind?

Meiner Ansicht nach sind es gerade diese Maßnahmen, die einen Kreis um die Juden herum zeichnen und diese somit als Angriffsziel markieren. Sicheres Leben heißt angstloses Leben - doch es kann der Angst kein Ende gemacht werden, solange die Polizisten vor den Synagogen stehen, solange jüdisches Leben ummauert, also eigentlich ghettoisiert ist. Wenn die Bundesregierung Schwierigkeiten damit hat, ihrer Sonderverantwortung gerecht zu werden - und diese Schwierigkeiten hat sie wohl schon -, dann muss sie ihr Problem so lösen, dass die Juden ihr normales, d.h. angstloses Leben weiterführen können. Die Unkosten der behördlichen Schutzmaßnahmen an jüdischen Orten sollte sie daher am besten dorthin lenken, wo sie nützlich wären, etwa zur verstärkten Überwachung unter Nichtjuden und zur rechtzeitigen Beseitigung möglicher Bedrohungen, die jedenfalls nicht unter den Juden selbst ausfindig gemacht werden können. An uns, den Juden in Deutschland, vor allem jedoch an den deutschen Juden liegt es, die Bundesregierung darauf hinzuweisen, dass dieses Problem das ihrige ist und bleibt, welches sie uns nicht "unterschieben" darf.

P.S. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich auch an den Schmachprozess gegen Dennis Milholland, der am 25. d. M. in Potsdam stattfindet bzw. beginnt.

Samstag, 6. Jänner 2007

Eine kleine Fernsehkritik

Gut Woch allerseits,

so, vor kurzem bin ich wieder in den Alltag zurückgekehrt. Inzwischen hat sich aber ziemlich viel bei mir angehäuft, weshalb ich mich vorerst etwas kürzer halten muss: Kürzlich habe ich drei Sendungen des arte-Vierteilers "Die Enthüllung der Bibel" gesehen, ein sehr interessantes Stück Bibelkritik nach der Auffassung des Tel-Aviver Archäologen Israel Finkelstein. Für ihn sowie für seinen engsten Kollegen, Neil Asher Silberman, geht es immer darum, die Funde so zu interpretieren, dass die Bibelerzählungen zur Geschichte Israels weitestgehend als eine fast konspirative, bloß ideologische Propaganda "enthüllt" werden könnten. Obwohl oder eigentlich gerade deswegen, weil die Meinungen der beiden, die für Vertreter der "Tel-Aviver Schule" in Sachen Bibelkritik gehalten werden können, von vielen anderen Forschern kaum angenommen werden, tragen sie viel zur Diskussion bei und ihre Bücher erfreuen sich breiter Leserschaft. Allerdings kann man ruhig davon ausgehen, dass ihre Interpretationsversuche genau so den eigenen politischen Anschauungen dienen, wie sie es der Bibel vorwerfen.

Von diesem wichtigen Zusammenhang möchte arte, der als deutsch-französischer Sender schon von der Geographie her in der heutigen Peripherie des Faches Bibelarchäologie arbeitet, jedoch gerne absehen. Denn durch Finkelstein bietet sich anscheinend die Gelegenheit, die Bibel gerade in der westchristlichen Hochsaison zu unterminieren, ohne die Karten offen legen zu müssen - nach allem ist es hier kein "normaler" Gesprächspartner, sondern ein Jude aus Israel, der uns seine Vermutungen zu den Bibelgeschichten "enthüllen" und dennoch den Sender zugleich von der Notwendigkeit befreien sollte, doch etwas Abstand zu halten und vielleicht sogar kritisch zu sein. Dass Finkelsteins Auffassung und Annahmen sehr umstritten sind, wird also nicht einmal erwähnt. Ferner wird z. B. auch gar nicht darauf hingewiesen, dass Finkelsteins im Programm sehr oft und als einzige vorgebrachte Datierung archäologischer Funde, anhand deren er viele Bibelgeschichten widerlegen zu können glaubt, in der Tat ein Extremfall ist, der bewusst von der sonst an den Universitäten üblichen Datierungsmethode abweicht. Ganz im Gegenteil: Finkelsteins Meinungen und die vielen Interview-Ausschnitten mit ihm bilden den Kern des Programms, das größtenteils eigentlich eine kritiklose Verfilmung seines ersten Buches mit Silberman zum Thema ist. Seine Aussagen werden mit so viel Entschlossenheit vorgestellt, dass man unbewusst den Eindruck gewinnt, sie wären schon im Konsens und unter den Forschern weit verbreitet. Und um diesen Eindruck zu verstärken, werden sie auch noch durch kurze Aussagen anderer, selbstverständlich gleichgesinnter Gesprächspartner ergänzt und bestätigt. Noch einseitiger kann es einfach nicht werden.

Hätte ich es von arte als "aufklärerischem" Sender erwarten sollen? Offensichtlich doch, denn die Aufklärung als solche ist ja eine säkularisierte Religion und zwar eine fanatische. Was arte damit im Hinblick auf Politik und Propaganda bezwecken will, lässt sich leicht vermuten.

Finkelsteins Bücher (in Zusammenarbeit mit Silberman) sind höchst interessant, selbst wenn er sich auch dort erlaubt, auf die unerlässliche Auseinandersetzung mit anderen Forschern zu verzichten. Man muss sie zwar mit Verdacht lesen, aber sie bieten viel Stoff zum Nachdenken. Schade, dass er sich so gerne vom Fernsehen missbrauchen lässt, um seine Meinungen zusammenhang- und kritiklos als die einzig gültigen vorbringen zu können (was übrigens gar nicht so schlimm wäre, wenn das Programm nicht der "Enthüllung der Bibel", sondern seiner Person gewidmet wäre).

Sonntag, 24. Dezember 2006

Off Topic: Kurze Pause...

Liebe alle,

da meine teiere Mame jetzt bei mir auf Besuch ist, bleibt mir (erfreulicherweise!) keine Zeit für andere Sachen übrig. Ich melde mich daher erst im Jänner wieder.

Bis dann herzliche Grüße
Euer Yoav

P.S.
Kennt jemand tatsächlich eine der in Berlin "bekannten" Vorverkaufsstellen, wie es überall heißt?

P.S. II
Denjenigen, die sich dem Webring zuletzt angeschlossen haben, begegnen anscheinend irgendwelche Schwierigkeiten dabei, der eigenen Seite das Kästchen hinzuzufügen. Da der Webring eigentlich nur auf dem gegenseitigen Verkehr beruht, bilden diese Blogs eine Art Schwarze Löcher im Webring-Universümchen. Vielleicht kann ihnen jemand weiterhelfen? Meine technischen Kenntnisse sind nämlich auch begrenzt...

Dienstag, 19. Dezember 2006

Chabad und die Zukunft der Jüdischen Gemeinde

Gestern hat das Lichterzünden auf dem Pariser Platz stattgefunden. Dabei war ich allerdings nicht, weil ich in der Deutschen Oper die Wiederaufführung von Mozarts "Idomeneo" erlebt habe. Die viel besprochene Szene mit Mohammeds abgetrenntem Kopf fand ich übrigens vollkommen banal; mein Beifall gilt daher lediglich den PR-Leuten der Deutschen Oper, die die Tendenz der deutschen Öffentlichkeit zur Hysterie sehr gut ausgenutzt haben.

Was den Leuchter am Brandenburger Tor anbelangt, so scheint er mir im Grunde genommen vielmehr für Nichtjuden bestimmt zu sein, also ebenfalls eine Art PR-Arbeit. Immerhin bietet sich jetzt die Gelegenheit, eine Bemerkung zum Verhältnis zwischen Chabad und der Jüdischen Gemeinde zu machen - oder soll ich vielleicht sagen: zwischen den Lubawitschern einerseits und den "Juden" andererseits? Auf der Einladung steht nämlich beides nebeneinander, als wären die Lubawitscher keine Juden, sondern, wie es der selige "litwische" Rabbiner Schach formuliert hat, "die dem Judentum ähnlichste Sekte". Der Grund für diese Gleich- und Gegenüberstellung ist wohl klar: Während die amtlichen jüdischen Gemeinden die Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR "integrieren" möchten, damit sie in das "alte" deutsche Judentum assimilieren, ist die Chabad-Chassidus hergekommen, um die deutschen Juden - alte und neue zugleich - zu verjiddischkeitlichen, d.h. um eine Alternative bzw. eine "Lösung" zu bieten. Daher will Chabad tunlichst wenig mit dem "Problem", d.h. mit dem Bisherigen zu tun haben. Das ist alles eigentlich verständlich - und lässt sich nicht zuletzt wahrscheinlich auch darauf zurückführen, dass Chabad in ihren Aktivitäten nicht eingeschränkt werden will.

Angesichts dessen ist es schließlich doch erfreulich zu sehen, dass die beiden Rivalen manchmal auch zusammenarbeiten können. Nun ist die Jüdische Gemeinde eigentlich kein großes Problem für Chabad - solange sie nicht stört, kommt es den Lubawitschern wohl zugute, dass sich auch die bisherige Gemeinde um den Zusammenhalt und das sonstwie Alltägliche kümmert, etwa im Sinne der Zentralwohlfahrtstelle. Aber was heißt es für die Einheitsgemeinde? Diese bekommt ihre politische Bedeutung und Wirksamkeit ausgesprochen daraus, dass sie "die Juden" schlechthin vertritt bzw. vertreten soll. Spaltungen unterminieren den Machtanspruch durch Alleinvertretung. Das Gute daran ist jedoch, dass Chabad gerade durch die Schwächung der Einheitsgemeinde erstmals die "freie Marktwirtschaft" eingeführt hat. Somit gibt es in der deutsch-jüdischen Landschaft endlich wieder echte Konkorrenz, d.h. für dieses Land neue Möglichkeiten jüdischen Daseins, die über den bisherigen Konsens hinausgehen.

Die Popularität von Chabad unter den deutschen Juden zeugt m. E. eben vom großen Bedarf nach dermaßen selbstbewusster Erneuerung des jüdischen Lebens in Deutschland. Der Hauptnachteil dieser Entwicklung besteht in dem Verlust der gegenseitigen Toleranz zwischen orthodoxen und liberalen Juden. Letztere haben als solche selbstverständlich keinen Zugang zu den Aktivitäten von Chabad; als gleichberechtigte Gemeinden können sie nämlich nur im Rahmen der alten Gemeinden auftreten - und so kommt es zur komischen Gegenüberstellung von Chabad und der "Jüdischen Gemeinde". Jedoch sollten sich die liberalen Strömungen ebenfalls über die neue Konkurrenz freuen und die Gelegenheit nutzen, um ihre Ware besser zu vermarkten. Ob sie sich überhaupt gut verkaufen lässt, wird sich dann noch zeigen.

Für die alte Struktur der Machtverteilung, d.h. für die Einheitsgemeinde, gibt es hingegen keinen Ausgang: Sie wird mit immer heftiger Konkurrenz rechnen müssen und folglich auch weiterhin immer schwächer werden. So ist es in Wien, wo Chabad in Zusammenarbeit mit der Lauder-Stiftung eine parktisch neue, staatlich nicht anerkannte Gemeinde gegründet hat, während sich die IKG anscheinend gerne "ergänzen" bzw. verdrängen lässt. Aber vielleicht es ist schon Zeit, dieses Stück nationalsozialistisches Erbe langsam verschwinden zu lassen?

Die Einheitsgemeinde hat sicherlich ihre schönen Seiten, z. B. in der Betonung des bloßen Jüdischseins gegenüber der denominationellen Zugehörigkeit; aber letzten Endes ist sie doch nur aus Not entstanden, ja erzwungen, und daher ist es nicht gerade das Schöne des Gemeinsamen, sondern eher der kleinste gemeinsame Nenner, der hier den Vorzug hat und die Einheitsgemeinde ermöglicht. Diese setzt nämlich auch heutzutage eine jüdische Landschaft voraus, in der es zu viel Angst gibt und zu sehr an Selbstbewusstsein fehlt. Wenn es jedoch die Angst ist, die uns zusammenhält, dann machen wir am besten jeweils alleine weiter.

Anstatt der Angst soll es das verstärkte Selbstbewusstsein sein, das uns noch den Mut gibt, um nicht nur den eigenen Weg zu gehen, sondern auch um manchmal - aus freiem Willen allein - mit den Konkurrenten zusammenzuarbeiten.

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Eine weitere Schande für die deutsche Justiz

Das muss man selbst lesen: "Jude wehrt sich bei Haß-Angriff - Staatsanwaltschaft klagt ihn an". Wie sich dieser Schmachprozess gegen den mutigen Dennis Milholland noch entwickelt, wird sich bald zeigen und zwar am 25. Januar 2007, um 13:30 Uhr im Amtsgericht Potsdam, Hegelallee 8, Saal 310. Mit Gottes Hilfe treffen wir uns da.

Angesichts dessen darf sich die Jüdische Gemeinde aber nicht mehr so passiv verhalten, sondern muss sich klar und selbstbewusst einmischen. Daher möchte ich Folgendes vorschlagen: Personen - sowohl Juden als auch Nichtjuden -, die sich mit Gegengewalt verteidigen bzw. mit Gewalt als Reaktion auf antisemitische Angriffe einmischen, um die Angreifer somit abzuschrecken, würde der Zentralrat der Juden in Deutschland ab sofort ehrerbietig anerkennen, indem er ihnen mittels der örtlichen Gemeinden amtliche Widerstands- bzw. "Pour le Mérite"-Auszeichnungen verliehe, die aus einem schön gestalteten und gerahmten Zeugnis bestünden und in den amtlichen Organen, d.h. der Jüdischen Allgemeinen sowie im örtlichen Blatt (etwa dem Jüdischen Berlin), daraufhin wohl auch in den deutschen Medien veröffentlicht würden. Das gäbe der deutschen Umgebung ein moralisch klares Zeichen und könnte uns bei der Abwehr des Antisemitismus zur Zeit bestimmt mehr helfen als die deutsche Justiz.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin scheint mir - ehrlich gesagt - zwar zu spießig zu sein, um diese Idee anzunehmen und weiter, d.h. nach oben zu rollen, bis sie sich auch tatsächlich durchsetzt - aber ich werde es trotzdem versuchen. Vorerst habe ich einen Leserbrief an die Jüdische Allgemeine geschickt.

Sonntag, 10. Dezember 2006

Hinter den Kulissen: Säkulare und homosexuelle Rabbiner

Seit 1945 ist das Judentum in Deutschland, d.h. in der BRD zwar nicht nur, aber vor allem auch in religiöser Hinsicht weitestgehend eine Kolonie zweier jüdischer Zentren: Israel und die USA (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). An diesen beiden weltweit größten "Gemeinden" orientiert sich das religiöse Leben des deutschen Judentums und aus dort wird alles importiert, was dem hiesigen Judentum an Menschen, Gedankengut, Lehrmaterial usw. fehlt. Mit der kürzlich erfolgten Ordination von drei Reformrabbinern am Abraham-Geiger-Kolleg mögen sich neue Möglichkeiten eröffnet haben - jedoch schickt das Geiger-Kolleg die werdenden Rabbiner eben nach Israel, desgleichen die Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien (da kann man zwischen Jerusalem, New York und London wählen). Daher soll man den Blick bisweilen auch nach Israel und in die USA richten.

Und dieser Blick scheint sich zu lohnen: In Israel werden am 30. Kislew - 01. Tewet 5767 (21.-22. Dezember 2006) erstmals sieben "säkulare Rabbiner" ordiniert. Allerdings wird in der Bekanntmachung nicht der herkömmliche und sonst übliche Begriff für Rabbinerordination - "Smicha" -, sondern ein sprachlich verwandter, neuhebräischer Begriff gebraucht - "Hasmacha", der eigentlich "Bevollmächtigung" bedeutet. Begründet darf die begriffliche Abweichung darin sein, dass diese Strömung als eine nichtorthodoxe in Israel amtlich nicht anerkannt wird, was aber natürlich nichts daran ändern kann, dass diese Ordination in bestimmten Kreisen eben als solche angesehen wird. Selbst ein Import aus den USA, bekommt diese Richtung jedoch eine ganz andere Bedeutung mit ihrer Ansiedlung in Israel, das in den letzten Jahren zum jüdischen Boxring schlechthin geworden ist. Selbst das amerikanische Reformjudentum, das sonst eine US-amerikanische Nationalidentität pflegt, bemüht sich um Anerkennung in und durch das zionistische Staatswesen; in Anbetracht der umfangreichen Assimilation und der demzufolge nicht mehr so allmählichen, aber erst seit kurzem zu bekämpfenden Auflösung des amerikanischen Reformjudentums ist nun dieser Wunsch bzw. Bedarf nach zumindest "halbamtlicher" Bestätigung in und durch Israel aber vollkommen verständlich.

Auch in den USA gibt es Neues, und zwar im konservativen Judentum: Vor vier Tagen, am 6. Dezember, hat das "Committee on Jewish Law and Standards" eine Entscheidung über die Annahme homosexueller Eheschließung und die Stellung homosexueller Rabbiner und Rabbinerinnen getroffen. Allerdings wirkt die Entscheidung nicht besonders "jüdisch": Von nun an darf sich jeder Rabbiner, jede Gemeinde, jede Einrichtung selbst entscheiden, ob Homosexualität am jeweiligen Ort "verkoschert", d.h. institutionalisiert wird - oder eben nicht. Homosexualität als solche ist im Judentum, wohl gemerkt, nicht verboten, sondern erst die anale Umsetzung der vielleicht nicht erwünschten, aber immerhin erlaubten Neigung (Lesbianismus gilt zwar auch als unerwünscht, ist jedoch vollkommen erlaubt). Das konservative Komitee hätte folglich eigentlich entscheiden sollen, ob Homosexualität nur zu dulden oder aber auch gleichzustellen ist. Sein Problem war jedoch, dass manche Rabbiner bereits "unerlaubt" damit angefangen haben, Gleichgeschlechtige zu trauen. Mit dieser Nicht- bzw. Unentscheidung sucht wohl das Komitee, eine mögliche Spaltung im konservativen Judentum zu verhindern; damit hat es jedoch die eigentliche Entscheidung und mithin auch die Spaltungsgefahr nur auf die nächste(n) Generation(en) verschoben.

Anscheinend ist den beiden Neuentwicklungen in Israel und den USA viel gemeinsam, denn beide weisen auf so genannten Liberalismus bzw. "Aufgeschlossenheit" hin. Wichtig ist jedoch nicht so sehr das Ereignis an sich, sondern vielmehr die Bewegung, die zu ihm geführt hat - und in dieser Hinsicht weichen die beiden Entwicklungen ziemlich stark voneinander ab: Während die Unentscheidung des konservativen Komitees die bis dahin amtlich nicht akzeptierten Homosexualität nun - scheinbar nur halbwegs, tatsächlich aber mehr - doch verkoschert hat, zeugt hingegen die Ordination der säkularen Rabbiner in Israel - m. E. zumindest - von dem Bedarf nach jüdischer Religiosität gerade unter Juden, die sonst keinen Zugang zum Judentum finden; da geht es also nicht um die Liberalisierung des sonst teils sehr orthodoxen, teils sehr orthodox gesinnten Judentums in Israel, das die neuen, staatlich nicht anerkannten Rabbiner nur auslachen würde, sondern um die Annährung derjenigen, die anderenfalls eine eher feindliche Haltung gegenüber dem Judentum haben bzw. entwickeln können. Die "Kundschaft" der neuen Säkularrabbiner besteht nämlich nicht aus Juden, die eine gewisse jüdische Identität haben, sondern gerade aus denen, die noch keine jüdische oder aber schon eine antijüdische Identität haben.

Im Hinblick auf Deutschland kann ich mir weder die eine noch die andere Entwicklung hier vorstellen. Der Grund dafür ist das in der BRD sowie in Österreich immer noch wirksame Erbe des Nationalsozialismus, der erstmals eine jüdische Einheitsgemeinde erzwang, die den Kontakt zur nichtjüdischen Regierung hat (siehe etwa den heutigen Staatsvertrag). Wie die Juden unter sich verhandeln, miteinander umgehen usw., geht die nichtjüdische Regierung nach wie vor nichts an: Der Jude kommt noch immer fast nur als solcher, ohne weitere Differenzierung vor. Nun setzt aber die Einheitsgemeinde schon Etliches voraus - vor allem Konsens; und Konsens heißt Konservativismus. Daher kann ich mir hier eine vierte "konfessionelle" Richtung im Sinne des säkularen Rabbinats - über die "heilige", weil herkömmliche "Trinität" vom orthodoxen, konservativen und liberalen bzw. reformierten Judentum hinaus - kaum vorstellen. Vor diesem Hintergrund würde ich auch die Einführung homosexueller Eheschließung - geschweige denn Rabbiner - nicht erwarten. In Deutschland ist zwar die gleichgeschlechtliche "Lebenspartnerschaft" anerkannt, aber die ziemliche Notwendigkeit, die sich manchmal in den Wunsch verwandelt, den Konsens anzustreben, d.h. den Status quo beizubehalten, wird höchstwahrscheinlich dafür sorgen, dass der religiösen Landschaft des heutigen deutschen Judentums auch diese Neuerung fernbleibt.

Freitag, 8. Dezember 2006

Die Grenzen der Angst

Gestern hat der "Spiegel" von einer "antisemitischen Welle an Schulen" berichtet. "Die [jüdische] Gemeinde [zu Berlin] rät Eltern, ihre Kinder bei Konflikten lieber auf jüdische Schulen zu schicken - dort seien sie zumindest sicher. Doch die Schutzzone endet außerhalb der Schulmauern", beobachten die Autoren und haben damit auch vollkommen Recht. Jedoch habe ich in Israel, wo man ja ebenfalls von Mauern und sonstigen Zaunanlagen besessen ist, gelernt, dass sich die Sache auch vollkommen umgekehrt betrachten lässt: Das Reich der Angst, das meistens erst daraufhin auch zu dem der eigentlichen Bedrohung wird, beginnt genau dort, wo die Mauer steht, mit der der "sichere" Raum einzugrenzen wäre. Denn ist es gerade die Mauer, die die Bedrohenden ermutigt und ihre Erfolgsaussichten bestätigt. Will sagen: Exklusive Eliteschulen mit jüdischer Mehrheit? Ja! Selbst auferlegte Abgrenzung? Nein!

Am besten also ohne Mauer, sondern mit mehr Mut, Stolz und Selbstbewusstsein. Das ist nicht nur an und für sich - also ganz abgesehen vom Antisemitismus - erstrebenswert, sondern kann im Endeffekt auch dazu beitragen, dass die Bedrohenden, die ihr Ziel - nämlich unter den Juden Angst zu schaffen - nicht erreichen könnten, keinen Spaß mehr daran hätten und allmählich resignieren würden. Allerdings unterscheidet sich Berlin von Israel ganz evident dadurch, dass die Juden hier eine kleine Minderheit sind (und bleiben) und daher keine Möglichkeit haben, ein gewisses, zur Abschreckung ausreichendes Gleichgewicht zwischen etwaiger Gewalt und Gegengewalt herzustellen (wozu übrigens auch Israel selbst inzwischen nicht mehr besonders fähig zu sein scheint). Deshalb sind wir, die Juden in Deutschland und insbesondere in Berlin, nicht zuletzt wohl auf die Unterstützung der deutschen Umgebung - etwa im Sinne von Horst Schultes Stellungnahme zu diesem Thema - angewiesen. Wichtig ist auf jeden Fall zu merken, dass nicht nur antisemitische Übergriffe, sondern auch Mauern und ähnlich eingreifende Schutzmittel eigentlich Gewalt sind - gerade gegen diejenigen, denen sie dienen sollten und deren Welt dadurch gespaltet wird - und daher auf die Dauer keine plausiblen Maßnahmen bilden können.