Zu Genesis wollte ich in der vorletzten Woche Stellung nehmen, als wir im Begriff waren, Genesis bzw. 2. Mose bzw. Bereschith zu Ende zu lesen. Jedoch konnte der gute Vorsatz aus Zeitgründen nicht in Erfüllung gehen. Also habe ich mich jetzt noch dazu gezwungen, bevor es "zu spät" wird (oder aber zu früh für den nächstjährigen Lesezyklus).
Einerseits handelt es sich beim Buch Genesis um sehr Wichtiges: um die Erzfamilie, also um den Ursprung des Volkes und dessen Vorzeichen; im Rückblick möchte man auch sagen: um die Anfänge der Heilsgeschichte. Andererseits fallen die Geschichten von der Erzvätern und -müttern gerade durch die zahlreichen Missetaten auf, die in sie verwoben sind. Dabei sehe ich absichtlich von der Ursünde, der ersten Mordtat u. Ä. ab und richte das Augenmerk gerade auf die "Kleinigkeiten", von denen man meinen könnte, sie wären für die Heilsgeschichte überhaupt nicht nötig gewesen.
Ich versuche also eine Liste dieser Missetaten herzustellen; freilich kann ich mich nicht an alles erinnern:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Abraham stellt Sarah, sein Weib bzw. seine Frau, als seine Schwester vor und überredet sie dazu, sich ebenfalls so vorzugeben. Er verhindert nicht, dass sie infolge seiner falschen Aussage zu einem anderen Mann genommen wird. Ganz im Gegenteil: Er wird für sie gut bezahlt. Erst durch Gottes Einmischung kommt es doch nicht zum Sexualverkehr und Sarah wird zu Abraham zurückgebracht. Und das nicht ein-, sondern zweimal: Zuerst mit dem Pharao (1. Mose 12:10-20), dann mit Abimelech, dem König von Grar (1. Mose 20:1-18). Interssanterweise wiederholt es sich zum dritten Mal bei Isaak, der Rebekka ebenfalls als seine Schwester vorstellt (1. Mose 26:7).
Abraham versucht, seinen eigenen Sohn zu schlachten, und scheut sich zu diesem Zweck nicht davor, Isaak zu belügen und dessen Vertrauen auszunutzen (1. Mose 22:1-19). Wie sich diese Gräuelerfahrung auf Isaak eingewirkt hat, kann man sich vorstellen.
Abraham schickt seinen Knecht in die alte Heimat, um dort eine Frau für Isaak zu finden. Vom Bräutigam will der Knecht nicht zu viel erzählen; vielmehr lässt er die Geschenke reden, mit denen er Rebekkas Familie überschüttet. Erst wenn es schon zu spät ist, darf Rebekka die Wahrheit erfahren: "Und Isaak ging gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu ergehen. Da hob er seine Augen und sah: Kamele kamen daher. Und auch Rebekka hob ihre Augen und sah Isaak. Da fiel sie vom Kamel herunter [Rev. Elberfelder: "Da glitt sie vom Kamel"]. Sie sprach zu dem Knecht: "Wer ist jener Mann, der dort auf dem Feld uns entgegenkommt? Und der Knecht sprach: "Das ist mein Herr!" Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich." (1. Mose 24:63-65).
Lot, Abrahams Neffe, will dem Sodomer Pöbel seine eigenen, noch jungfräulichen Töchter übergeben, damit sie vom Pöbel vergewaltigt werden und Lots Gäste, Gottes Boten, von diesem Geschick verschont bleiben (1. Mose 19:1-38; interessanterweise rächen sich die Töchter nachher, indem sie ihn narkotisieren und begatten).
Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab (1. Mose 25:29-34). Das muss man abermals lesen: Jakob kauft Esau die Erstgeburt ab. Wie ist die Erstgeburt zur Ware geworden? Wie ist Jakob überhaupt auf die Idee gekommen, mit so etwas handeln zu können? (Und leise hinzugefügt: Ist das der Ursprung "jüdischer Geschäftstüchtigkeit"?)
Jakob führt seinen eigenen, blinden Vater irre, um den Segen des Erstgeborenen zu bekommen, und zwar nachdem ihn seine Mutter, Isaaks Frau (!), dazu verleitet hat (1. Mose 27). Im Übrigen stellt sich hier die Frage, warum es überhaupt zu solch einem Betrug hätte kommen müssen, wenn sich die Erstgeburt einfach so verkaufen ließe, wie es Genesis beschreibt? Schließlich muss Rebekka Jakob zur Flucht nach Haran, zu ihrem Bruder Laban raten.
Nachdem Jakob sieben Jahre lang im Dienste Labans gearbeitet hat, um Rahel zu bekommen, gibt ihm Laban im Schutze der Dunkelheit Lea, die ältere Tochter (1. Mose 29).
Innerhalb der Erzfamilie geht es mit dem Handel recht voran: Lea will Rahel eine Nacht mit dem gemeinsamen Mann abkaufen. Und: Rahel verkauft ihrer Schwester die Nacht. Und: Jakob lässt sich darauf ein (verkauft ist verkauft, das weiß er wohl am besten; 1. Mose 30:14-16).
Jakob und Laban betrügen einander bei der Aufteilung der Schafherden (1. Mose 30:31-43).
Jakob teilt Laban nicht mit, dass er vorhat, ihn zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren. Beim Auszug aus Labans Haushalt stiehlt Rahel ihrem Vater die Götzerbilder (1. Mose 31:19-44).
Nachdem Schechem, der Sohn Hamors, Dina, die Tochter Leas, vergewaltigt hat, schlägt Hamor Jakob und seinen Söhnen vor, dass sie den Söhnen Hamors ihre Töchter geben und im Gegenzug die Töchter der Familie Hamors bekommen. Noch will er ihnen alles geben, was sie bekommen möchten, um Dina abzugeben. Die Söhne Jakobs willigen scheinbar darin ein, indem sie voraussetzen, dass Hamor und seine Söhne sich beschneiden. Das tun sie auch, doch am dritten Tage, während sie noch leiden, werden sie alle von den Söhnen Jakobs getötet, ihr sämtlicher Besitz geraubt (1. Mose 34).
Ruben begattet Bilha, die Kebse Jakobs, seines Vaters (1. Mose 35:22).
Die Söhne Jakobs wollen Josef, ihren Bruder, erschlagen. Schließlich wird er "nur" in die Grube hineingeworfen, in der es "kein Wasser", aber wohl anderes gibt. Als die Brüder Jakob als Knecht an die Ismaeliten verkaufen wollen, müssen sie feststellen, dass ihnen die Midianiter zuvorgekommen sind. Dann führen sie ihren eigenen Vater irre, indem sie ihn glauben lassen, Josef wäre gefressen worden (1. Mose 37).
Juda hält nicht sein Wort, das er Tamar, seiner Schwiegertochter, gegeben hat, nämlich, dass sie die Frau Schelas, seines dritten Sohnes, wäre. Daraufhin verführt Tamar ihren Schwiegervater, Juda, der sie begattet, weil er sie für eine Hure hält (1. Mose 38). Aus diesem Geschlechtsverkehr sollte noch David hervorgehen (also auch der Heiland).
Man möchte hier auch auf Josefs unehrlichen Umgang mit seinen Brüdern in Ägypten hinweisen, doch erscheint es nach alledem, was sie selbst angetan haben, fast angemessen...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Lügen, Irreführungen, Betrügereien und sogar Zuhältereien: In Genesis bilden die Missetaten keine Ausnahmen, sondern die Regel. Im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. des Familienlebens ist die israelitische Erzfamilie kläglich gescheitert. Vorbildlich? Kaum. Kindergerechter Lesestoff? Wohl auch nicht.
Die Geschichte der Erzväter und -mütter stellt eine große, weil grundsätzliche Schwierigkeit dar. Was soll uns mit dieser Problematik vermittelt werden? Auf diese Frage vermag vielleicht mancher eine Antwort zu geben. Es scheint mir aber angebrachter zu sein, die Frage unbeantwortet "schweben" zu lassen. Manchen Fragen steht es nämlich zu.
P.S. Um den Beitrag trotzdem mit einem positiven Ton ausklingen zu lassen:
Danke an Marek aus Warschau für den Hinweis!
Samstag, 29. Dezember 2007
Eine Fußnote zu Genesis
Stichwörter: Bibel, Genesis, Jiddischkeit auf Deutsch, Moral
Dienstag, 25. Dezember 2007
Gegen den dogmatischen Glauben, für die experimentelle Spiritualität
Wenn ihr die nächsten 82 Minuten gut investieren wollt, könnt ihr euch einen geschickt präsentierten Vortrag von Sam Harris anschauen bzw. -hören, der 2005 von der New York Society for Ethical Culture im Center for Inquiry (oder vielleicht umgekehrt?) veranstaltet wurde. Harris stellt die Grundthesen seiner ersten Monographie dar: The End of Faith: Religion, Terror, and the Future of Reason (New York: W.W. Norton & Co., 2004)
Die Aufnahme des Vortrages fängt nach ca. anderthalb Minuten an:
Stichwörter: Glaube, Spiritualität
Donnerstag, 20. Dezember 2007
Theater Heidelberg: Der Protest hat gewirkt
From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Cc: Hanno Nehring (E-Mail)
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:16 PM
Subject: Entschuldigung von Herzen!
Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen: Sie haben völlig recht. Ich kannte diesen Aufleger auf unserem Spielplan nicht, der in letzter Minute vor Drucklegung hinzugekommen ist - und ich teile ihre Ihre Verärgerung und Ihre Kritik. Das ist nicht der Stil unseres Hauses, seien Sie dies versichert - und auch Leichtfertigkeit zeichnet uns normalerweise nicht aus. Mit betroffenen und unglücklichen Grüßen,
Ihr
Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg
Man darf also vermuten, dass sie in Zukunft bei der Wortauswahl größere Umsicht zeigen werden.
Nachtrag:
From: Spuhler, Peter
To: yoavsapir@hotmail.com
Sent: Thursday, December 20, 2007 7:45 PM
Subject: Nachtrag
Um Ihnen zu zeigen, wie unendlich peinlich mir dieser Aufleger ist und dass ich selbst keinesfalls damit leben kann: Wir lassen den Spielplan umgehend neu drucken! Nochmals viele Grüße,
Ihr
Peter Spuhler
Intendant des
Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft / Sprecher der Festivalgruppe der Metropolregion Rhein-Neckar
Friedrichstraße 5
69117 Heidelberg
Beides mit Genehmigung von Herrn Spuhler veröffentlicht.
Stichwörter: Heidelberg, Rassismus
Mittwoch, 19. Dezember 2007
"Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!" (Günter Eich)
Nach der gestrigen Begegnung mit dem menschenunwürdigen Sprachgebrauch im Theater Heidelberg, musste ich noch etwas erleben, und zwar, wie es viele gebildete Leute in meiner Umgebung gar nicht so auffällig finden. Offenkundig handelt es sich hier um tief verwurzelte, vielleicht unbewusste, jedenfalls für natürlich gehaltene Denkmuster, denen man aktiv entgegenzutreten hat. Also habe ich folgenden Brief an die in der Anzeige angegebenen E-Mail-Adresse geschickt:
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Spielplan für Januar 2008 haben Sie eine Anzeige veröffentlicht, mit der Sie u. a. "Mischlinge" anwerben wollen. Mich hat Ihre Wortauswahl sehr überrascht, weshalb ich Sie auf Folgendes hinweisen möchte:
1. Die Menschheit lässt sich nicht in unterschiedliche Tierarten aufteilen. Die Menschen, die Sie mit diesem menschenverachtenden Sprachgebrauch meinen, sind folglich keine Mischung zweier Arten, sondern schlicht und einfach Menschen, wie Sie und ich und jede(r) andere.
2. Nicht zufälligerweise suchten die Nationalsozialisten ihren Rassenwahn durch die entkontextualisierte Anwendung zoologischer Begriffe auf Menschen zu unterstützen. Ohne diese sprachlich-kognitive Infrastruktur wäre die durchgängige Ausgrenzung nicht von den ehemaligen Mitbürgern akzeptiert, die öffentliche Dehumanisierung nicht möglich und die systematische Ausrottung von Menschen nicht durchführbar gewesen. Weiteres zur Macht des unbewussten Sprachgebrauchs finden Sie in Victor Klemperers LTI. Notizbuch eines Philologen.
Insbesondere bin ich davon enttäuscht, dass man derartigen Vorstellungen nun ausgerechnet im Heidelberger Stadttheater begegnen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Yoav Sapir
Aufklären könnt ihr natürlich ebenfalls (selbstverständlich auch wenn ihr anderwärts wohnhaft seid) und zwar unter: hanno.nehring@gmx.de
Umso schlimmer, weil gefährlicher ist diese Wortauswahl ja gerade dann, wenn sie keinem rechtsextremistischen Milieu entstammt, wo man den Vorfall noch leichtfertig verwerfen könnte, sondern von einer tonangebenden, meinungsbildenden Einrichtung ausgeht wie dem Theater Heidelberg und sich in ein Projekt (im Rahmen der "Afrikatage") einschleicht, das ansonsten doch aufgeklärt und aufgeschlossen wirkt und daher einen weit größeren suggestiven Einfluss ausübt.
Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier.
Stichwörter: Heidelberg, Rassismus
Dienstag, 18. Dezember 2007
Es schleicht sich durch
- Aus dem Spielplan des Stadttheaters Heidelberg für Januar 2008.
Einerseits fragt man sich, wie sich das, was man hier mit "Mischlingen" meint, kurz und bündig umformulieren lässt, damit es noch in den begrenzten Platz im Spielplan passt. Andererseits scheint die bloße Vorstellung problematisch genug zu sein, um schon als solche vermieden werden zu sollen.
Vorschläge?
Nachtrag [11.02.2008]: Weiteres dazu hier und hier.
Stichwörter: Heidelberg, Rassismus
Montag, 17. Dezember 2007
Öffentliche Erklärung zum Zitat in der "Deutschen Stimme"
Hallo allerseits,
I. Am 29. Oktober d. J. veröffentlichte ich hier einen Beitrag ("Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert"), in dem ich die Verhaltensweise eines Dresdner Hoteliers kritisierte, der zwei NPD-Landtagsabgeordnete nur aufgrund ihres in der BRD (noch) legitimen (=rechtsmäßigen) weltanschaulichen Engagements verwiesen hatte. Es handelte sich dabei um keine Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Hotels durch die Partei (zwecks politischer Veranstaltung innerhalb des Hotels), sondern um das in menschlicher Hinsicht sehr nachvollziehbare Bedürfnis der beiden Abgeordneten als Privatpersonen nach Unterkunft.
II. Dieser Beitrag hat viel Resonanz nach sich gezogen, nicht zuletzt auch in Form von Kommentaren. Es stellte sich dann heraus, dass meine - von Anfang an für laienhaft erklärte - Rechtsinterpretation nicht zutrifft, und zwar deswegen, weil das Grundgesetz nur für den Staat gilt und für keine anderen juristischen Personen verbindlich ist (wie etwa für ein Hotel bei seinem Geschäftsverkehr mit anderen juristischen Personen).
III. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die in der bundesrepublikanischen Verfassung gesetzten Maßstäbe gut genug sind, um auf moralischer Ebene als Vorbilder für die Gesamtbevölkerung fungieren zu können. Ferner bin ich der Meinung, dass in diesem Fall gute Absichten mit schädlichen Methoden verfolgt wurden, die der NPD - ausnahmsweise zu Recht! - zur Opferrolle verhalfen. Weiteres ist ja dem Beitrag und insbesondere den anhängenden Kommentaren zu entnehmen.
IV. Gestern hat mich der Leser Michael Klarmann per Kommentar zum besagten Beitrag darauf hingewiesen, dass in der Deutschen Stimme, dem Parteiorgan der NPD, aus meinem Beitrag zitiert worden ist. Bei meinem Beitrag handelt es sich notabene nicht um die NPD an sich, und wenn auf diese überhaupt Bezug genommen wird, dann aber eindeutig negativ. Zudem heiße ich dort die Absichten des Hoteliers gut; es wird nur die Methode kritisiert, mit der die guten Absichten umgesetzt wurden. Nun steht es aber jeder und jedem frei, für die Öffentlichkeit zugängliche Texte unter den üblichen Bedingungen wiederum öffentlich zu zitieren. Damit es jedoch zu gar keinen Missverständnissen kommt, sei es hiermit wiederholt: Ich bin kein Anhänger der NPD und unterstütze auf keine Art und Weise die politischen Positionen dieser Partei. Ich behaupte "nur", dass politisch-ideologische Kämpfe nicht ins Privatleben der Betroffenen übertragen werden sollten, selbst wenn dies in rechtlicher Hinsicht nicht immer verboten ist.
V. In Ahlehnung an Voltaire lässt sich die Sache so zusammenfassen: Die NPD ist total anderer Meinung als ich und ich werde in diesem spezifischen Fall ihr Recht, für ihre extremistische Meinung mit politischen Mitteln zu werben, nicht unbedingt verteidigen, aber ich werde schon diejenigen kritisieren, die beim sehr gerechtfertigten Kampf gegen die NPD nicht zwischen politisch-öffentlichem und Privatleben differenzieren und demzufolge nicht auf die Menschenwürde von NPD-Abgeordneten/-Funktionären/-Mitgliedern achten.
VI. Schließlich sollte man sich auch fragen, was in der deutschen Politik so falsch gemacht wird, dass es dazu gekommen ist, dass die NPD sich - wenn auch ansatzweise - Bahn brechen kann. Kann es sein, dass es in Deutschland tatsächlich an positiver Identitätsstiftung mangelt? Kann es sein, dass jenseits der CDU/CSU ein politisches Vakuum bewahrt wird, obwohl es solch eine Abnormalität des politischen Spektrums (im Vergleich mit anderen abendländischen Ländern) nicht auf Dauer geben kann? Kann es sein, dass der ständige, undifferenzierte Angriff gegen "alles Rechte", darunter auch gegen alternative Initiativen (wie etwa die Wochenzeitung Junge Freiheit, die Verlagsanstalt Edition Antaios oder das Institut für Staatspolitik, die sich in der Tradition des ehemaligen deutschen Konservativismus sehen und dem fremdenfeindlichen Rechtsextremismus durch positive Konstruktionen deutscher Nationalidentität entgegenzuwirken suchen), nicht die erwünschten Ergebnisse zur Folge hat, sondern den Extremisten eben durch die Verdrängung rechter Alternativen nur noch weiterhilft?
Nebenbei bemerkt: Mir ist vor kurzem das am 18. August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zur Kenntnis gebracht worden. Ziel des Gesetzes ist es (meine Hervorhebung), "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen." (aus § 1). Ich bin mir ziemlich sicher, dass die NPD dieses Gesetz nicht gutheißt - im AGG geht es ja u. a. auch darum, Benachteiligungen von Menschen zu verhindern, die von der statistischen "Norm" des alten Deutschland abweichen - etwa von Menschen mit Migrationshintergrund. Nichtsdestoweniger dürften sich die für die NPD tätigen, aus dem Hotel verwiesenen Privatpersonen doch positiv dafür interessieren, weil es in § 2 Abs. 1 folgendermaßen heißt (nochmals meine Hervorhebung): "Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: [...] den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen [...]" Soweit ich weiß, handelt es sich beim Geschäftsbetrieb des Hotels um solche Dienstleistungen (mit dem Geschäftsbetrieb ist ja die Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch eine grundsätzlich unbegrenzte Kundschaft - die "Öffentlichkeit" - verbunden). Aber das ist ja abermals nur meine Laienmeinung.
Schöne Grüße,
Euer Yoav
Stichwörter: Demokratie, Justiz, NPD
Samstag, 8. Dezember 2007
Interessante Zeitungsartikel für die neue Woche
Gut Woch allerseits,
1. vor kurzem habe ich hier (unterm P.S.) den neuen jüdischen Kongress erwähnt. Gestern ist in einem Aritkel in The Washington Times auf diese Initiative hingewiesen worden: "In the New Jewish Congress and such kindred movements as Moshe Feiglin's the Jewish Leadership Movement, lie Israel's best hope." Zur weiteren Lektüre: Louis Rene Beres, "'Auschwitz' borders" (2 Seiten)
2. Der Standard hat vorgestern ein sehr interessantes Gespräch mit Leon de Winter über den letzten US-amerikanischen Iran-Bericht gebracht: "Das Problem mit diesem Bericht ist, dass sich hier die Schwäche der amerikanischen Geheimdienste offenbart. [...] Die Geheimdienst-Community ist paralysiert, weil sie nicht die geringste Ahnung hat, was los ist." Zur Lektüre hier klicken.
3. In der gestrigen taz lässt sich ein ebenso interessantes Interview mit Tariq Ramadan, dem "Theoretiker des Euroislam[s]", finden. Da kann ich (fast?) jedem seiner Worte zustimmen. Weiß jemand, wie er sich zu Israel verhält?
a frejleches Chanukka noch!
Stichwörter: Zeitungsartikel
Mittwoch, 5. Dezember 2007
Chanukka und jüdische Identitäten
Wie kein anderes Fest (mal abgesehen davon, dass Chanukka nach jüdischem Recht kein richtiges Fest ist) wirft Chanukka Fragen nach jüdischem Geschichtsbewusstsein und der damit zusammenhängenden Erinnerungsarbeit auf. Hinter den Kulissen findet man einen vornehmlich innerjüdischen Krieg, in dem die von Gott unterstützten Extremisten gegen die von den Seleukiden unterstützten Assimilierten gekämpft und Letzere besiegt haben. Kurz danach haben sich die siegenden Hasmonäer selbst - aus realpolitischen Gründen - gewissermaßen in die weitgehend griechisch geprägte Umwelt assimiliert. Schließlich wurden die blutig erkämpften Errungenschaften 101 Jahre später (63 v. u. Z.) an die Römer verloren. Weiteres dazu steht im Internet wohl reichlich zur Verfügung, also erlaube ich mir gleich auf den Punkt zu kommen: Was macht man heutzutage mit diesem Erbe? Was soll eigentlich gefeiert werden? Welches Geschichtsbewusstsein soll gepflegt werden?
Im frührabbinischen Judentum wurde der Schwerpunkt verlegt: vom militärischen Sieg und der damit verbundenen Wiedereinweihung des Tempels (daher "Chanukka" - Einweihung) auf ein wohl zurückprojiziertes Ölwunder, das kaum eine (und aus wissenschaftlicher Perspektive: wohl keine) der alten Quellen kennt. Diese Form der Erinnerungsarbeit setzte sich jedoch durch und bildet die Grundlage des uns bekannten Festes.
Im Zionismus ist das Fest, wie es sich in einer nationalen Bewegung gehört, neu bewertet worden: Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bedrohungen - nationale und kulturelle Assimilation einerseits, religiös-traditionelle Passivität andererseits - sind die Bekämpfung der Assimilation sowie die physisch-militärische Kühnheit als solche hervorgehoben worden, während die Wundergeschichte - als Quintessenz des Religiösen - beiseite geschoben worden ist.
Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen des Rabbiners S. J. L. Rapoport um eine Synthese, eine orthodoxe Neubewertung des Chanukka-Festes und dessen Geschichte im Sinne eines bewusst gläubigen Nationalismus. Allerdings war er seinerzeit eher eine Ausnahme, die kaum rezipiert wurde (nebenbei bemerkt: auch heute steht er noch - vollkommen unberechtigterweise - am Rande des wissenschaftlichen Augenmerks).
Interessanterweise hat es die Geschichte so gewollt, dass die Tempelfrage im heutigen Israel wieder eine zenrale Rolle spielt, und zwar nicht mehr als Sinnbild der traditionellen, anti-nationalen Passivität, sondern gerade im Einklang mit dem neuen jüdischen Nationalismus. Dieser Zustand, der jetzt zum ersten Mal "seit 2000 Jahren" wiederkehrt, spieglt den Geist dieses Festes eigentlich am treffendsten wider: Die Bestrebung geistiger, weil religiöser und kultureller Ziele durch irdische, d.h. physische und politische Mittel.
Dies stellt jedoch eine große Herausforderung für Juden dar, die weder im militärischen Nationalismus noch im kulturell-religiösen Extremismus der Makkabäer ein festlich zu gedenkendes Vorbild erblicken wollen. Doch allzu leicht lässt sich dieses Fest nicht umdeuten.
Leider wird die Bedeutung dieses Festes an den meisten Orten vertuscht und die Fragen, die es aufwirft, i. d. R. gänzlich vermieden. Es wäre aber schön, wenn jüdische Gemeinden sich nicht nur mit Latkes (dt. Kartoffelpuffer) und Sufganijot (dt. Berliner Pfannkuchen), sondern auch mit Geschichtsbewusstsein und Erinnerungspolitik befassen würden.
Mehr zum Thema findet ihr in meinem vorjährigen Beitrag.
Und in diesem Sinne: Gut Chanukka!
P.S. Chanukka - alternativ (neue Komposition von Viktor Esus; man muss einige Sekunden warten, bis die Werbung vorbei ist. Hebräischlesende finden Weiteres dazu hier):
Stichwörter: Chanukka, Geschichte, Identität
Dienstag, 27. November 2007
Das Schmita-Jahr zu unserer Zeit
Vor kurzem habe ich hier eine neue "Reihe" angefangen: Jüdische Politik. Heute möchte ich es mit einem ersten Beispiel veranschaulichen.
Und der Ewige redete zu Mosche auf dem Berg Sinai und sprach: "Rede zu den Kindern Israels und sprich zu ihnen: wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so soll das Land dem Ewigen einen Sabbat feiern. Sechs Jahre besäe dein Feld und sechs Jahre beschneide deinen Weinberg und bringe seinen Ertrag ein; aber im siebenten Jahr soll ein Sabbat vollkommener Ruhe sein für das Land, ein Sabbat dem Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinberg nicht beschneiden. Den Nachwuchs deines Schnittes sollst du nicht abmähen und die Trauben deines unbeschnittenen Weinstocks sollst du nicht lesen; ein Sabbatjahr sei es für das Land. Es sei aber der Sabbat des Landes für euch zum Essen, für dich und für deinen Knecht und für deine Magd, sowie für deinen Mietling und für deinen Beisassen, die sich bei dir aufhalten. Auch für dein Vieh und für das Getier, das in deinem Land ist, sei all sein Ertrag zum Essen."
[...]
Und ihr sollt meine Satzungen üben und meine Rechtsvorschriften wahren und sie üben; so werdet ihr in Sicherheit im Land wohnen. Und das Land wird seine Frucht geben, und ihr werdet essen zur Sättigung und in Sicherheit darin wohnen. Und wenn ihr sagt: 'Was sollen wir essen im siebenten Jahr? Wir dürfen ja nicht säen und unsern Ertrag nicht einbringen!' So will ich euch meinen Segen entbieten im sechsten jahr, daß es den Ertrag bringe für die drei Jahre. Ihr werdet säen im achten Jahr, und noch Altes essen von dem Ertrag; bis zum neunten Jahr, bis dessen Ertrag einkommt, werdet ihr Altes essen. Das Land aber soll nicht für immer verkauft werden; denn mein ist das Land, denn Fremdsassen seid ihr bei mir. Und in dem ganzen Land eures Besitzes sollt ihr Einlösung gewähren für das Land.
- aus 3. Mose 25, 1-7 bzw. 18-24 (vgl. auch 2. Mose 23, 10-11 sowie 5. Mose 15, 1-11)
Wie viele von euch wohl schon wissen, ist heuer (5768) solch ein Schmita-Jahr. Auf die Einzelheiten dieses Begriffs will ich jetzt zwar nicht eingehen, aber man kann sich auf der englischsprachigen Wikipedia einen ziemlich guten Überblick verschaffen. In diesem Beitrag beziehe ich mich auf den landwirtschaftlichen Aspekt des Schmita-Jahres (außer ihm gibt es auch den finanziellen Aspekt des Schuldenerlasses). "Schmita" bedeutet auf Hebräisch ungefähr "Wegfallen-Lassen" oder "Verzicht"; im landwirtschaftlichen Zusammenhang bedeutet es, dass man (in diesem Jahr) auf die Bodenbearbeitung verzichtet und das Land sozusagen in dessen natürlichen, noch nicht urbar gemachten Zustand zurückfallen lässt.
Dieser siebenjährliche Verzicht auf die Landwirtschaft birgt in sich eine soziale Vorstellung von größter Bedeutung: Alle sieben Jahre wird das Volk vom physischen Arebitszyklus befreit und kann sich anderen Aktivitäten, etwa geistiger Weiterentwicklung widmen.
Diese Vision kann jedoch nur dann verwirklicht werden, wenn das Volksleben - wie damals - auf der Landwirtschaft beruht, was auf unser Zeitalter kaum noch zutrifft. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum heutige Diskussionen über das Schmita-Jahr allzu oft am Eigentlichen vorbeigehen (s. Beispiel).
Es gilt also, das biblische Ideal für unsere Zeit anwendbar zu machen. Ansätze gibt es schon in mehreren Ländern, vor allem im Erziehungsbereich (Lehrer, Hochschul- und Universitätsprofessoren). Aber was bedeutet die biblische Vision für uns, die wir in einem Zeitalter leben, wo die Wirtschaft und die mit ihr zusammenhängenden Arbeitsverhältnisse nicht mehr land- bzw. bodengebunden sind? Es liegt also Israel ob, auf diese Frage eine umfassende Antwort zu geben und der Welt ein funktionierendes Modell anzubieten, wie es im antiken Israel der Fall war. Im Grunde genommen geht es darum, jedem Arbeiter - wenn auch nicht allen zugleich - die Möglichkeit zu geben, sich nach sechs Arbeitsjahren 12 Moante lang einem Schaffensbereich zu widmen, der über sein normales Tätigkeitsfeld hinausgeht.
Während dieses Lernurlaubs kann sich der Arbeiter weiterentwickeln und damit die Gesellschaft als Ganzes zu bereichern: Bürokaufleute können sich dann mit Religionsphilosophie, Juristen mit schaffender Kunst, Bäcker mit Volkswirtschaftslehre usw. usf. befassen - je nachdem, wovon sich jeder angezogen fühlt.
Wenn der Arbeiter nach dem einjährigen Lernurlaub in den Dienst zurückkehrt, bringt er nicht nur neue Kraft und Lust mit, sondern (hoffentlich) auch neue Einsichten. Er ist dann nämlich in humanistischer Hinsicht höher gebildet als vorher und kann mit diesem geistigen Mehrwert einen besseren Beitrag leisten. Es kann aber natürlich auch sein, dass der Arbeiter während seines Lernurlaubs ein neues Feld entdeckt hat, wo er sich besser entfalten kann und will. In dem Fall gewinnt die ganze Gesellschaft von dieser Bereicherung.
Finanziert werden kann dieses Modell durch freifillig geführte Sparkonten: Jeder - ob Angestellter oder Selbstständiger etc. - hat die Möglichkeit, einen festgelegten Prozentsatz seines monatlichen Gehaltes oder jährlichen Gewinns auf dieses Sondersparkonto überweisen zu lassen. Je niedriger der Grundgehalt, umso größer ist dann der staatliche Zuschuss. Nach sechs Arbeitsjahren kann das Ersparte einschließl. der staatlichen Zuschüsse in staatlich anerkannten Volkshochschulen in Anspruch genommen werden. Ansonsten kann der Arbeiter seinen Anteil zurückbekommen.
Jedenfalls geht es hier nicht um das eine oder andere Detail, sondern um die allgemeine Vision der jüdischen Bibel und die Frage, wie diese Vision zu unserer Zeit verwirklicht werden kann.
Stichwörter: Jüdische Politik, Schmita
Samstag, 24. November 2007
Zersplittertes Volk
Git Woch allerseits,
es ist mir am Schabbes etwas eingefallen, worüber ich eigentlich vor langem schreiben wollte:
Zu den hohen Feiertagen war ich zuhause. Das hat dieses Jahr ziemlich gut geklappt: Nach dem Austauschjahr in Berlin und noch vor der Aufnahme des Zweitstudiums in Heidelberg. Am Versöhnungstage habe ich mit meiner Mame darüber diskutiert, wie sich gerade an diesem Tage so viele, auch "fernere" Juden in der Synagoge sammeln, wie sie dann gewissermaßen kurzfristig zueinander finden. Das ist einerseits sehr schön, führt aber andererseits zu Gedanken über den ansonsten doch sehr zersplitterten Zustand Israels, sowohl im eigenen Staat als auch im Ausland.
Bei dieser Gelegenheit hat mir meine Mame erzählt, dass sie, bevor sie nachts den Schma sagt, ihrem Gebet noch etwas hinzufügt. Wie ihr wohl wisst, handelt es sich beim Schma um das jüdische Glaubensbekenntnis: Höre, Israel: Der Ewige [ist] unser Gott, der Ewige [ist] eins (vgl. 5. Mose 6:4). Ihr Zusatz zum Schma lautet nun folgendermaßen:
Höre, Ewiger: Israel ist dein Volk, Israel ist eins!
Das Schöne an dieser Anspielung, die sowohl als Bitte wie auch als Erinnerung verstanden werden kann, ist ihre Einfachheit und Direktheit. Ich habe es für mich angenommen, wenn auch an einem anderen "Ort". Mir scheint nämlich eine Stelle im Morgen- und Abendgebet dafür besonders geeignet zu sein. Vor dem Schma wird den sog. Liebessegen gesagt, der jeweils anders formuliert ist. Der Abschluss z. B. lautet im Morgengebet: "gesegnet seist du, Ewiger, der sein Volk Israel mit Liebe auserwählt"; und im Abendgebet: "..., der sein Volk Israel liebet". Gleich danach kommt der Schma. Mich dünkt also, dass es besonders gut passt, wenn die besagte Einheitsbitte zwischen den Liebenssegen und den Schma leise einfügt wird.
Und in diesem Sinne wünsche ich euch allen eine angenehme Woche,
Yoav
P.S.
Wenn schon vom Volke die Rede ist: Nächste Woche findet in Jerusalem der neue jüdische Kongress statt. Das diesmalige Thema lautet: "Wer vertritt das jüdische Volk? Die Souveränität des jüdischen Volkes über den Staat im Lande Israels".
P.S. 2
Und wenn wir schon Jerusalem erwähnt haben: Vor kurzem habe ich auf youtube eine kostbare Aufnahme vom Jahre 1970 gefunden (Kontextualisierung: Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, vor dem Versöhnungstage-Krieg 1973). Es handelt sich um den zweiten jüdischen Liederwettbewerb, bei dem die (ehemalige) Sängerin Ilana Rovina mit dem Lied "Sei von Gott gesegnet" gewonnen hat: "Es segne dich der Herr vom Zion her. Du sollst dein Leben lang das Glück Jerusalems schauen und die Kinder deiner Kinder sehen. Frieden sei über Israel!" (Psalm 128:5-6)
Amen!
Stichwörter: Gebet, Jiddischkeit auf Deutsch
Donnerstag, 22. November 2007
Wie können wir die iranische Atombombe bekämpfen?
So macht man es richtig:
U.S. demands Israel crack down on illegal Iranian pistachio imports
American officials are urging Israel to crack down on Iranian pistachio nut imports which are reaching Israel via Turkey despite a ban on Iranian imports into Israel.
U.S. Undersecretary of Agriculture Mark Keenum said in a meeting with Israeli officials in Rome on Monday that the pistachio imports must stop, a U.S. official confirmed Wednesday.
"This causes great anger, especially since pistachios succeed in coming in through a third country," Agriculture Minister Shalom Simhon told Israel Radio.
Both the U.S. and Israel have been pushing for new UN sanctionsto persuade Iran to abandon its nuclear program which Iran insists is only aimed at energy production and not military use. "This has to do with the sanctions but also with the competition between American farmers and Iranian farmers, and we are trying to deal with this," Simhon added.
Simhon said a recent meeting with a senior U.S. agriculture official focused on using technology to detect the origin of pistachios. He said that would involve chemical testing to determine the climate and soil of where the nuts were grown. California is the second largest producer of pistachios in the world, according to the former California Pistachio Coalition. Iran is first.
In the mid 1990s U.S. officials pressured Israel to block the import of Iranian nuts coming through EU member states and winding up in Israel. Tensions have heightened since Iran began pursuing nuclear technology, as the U.S. has pushed the UN to implement new economic sanctions against the country until it gives up the program.
"As a proud native of the golden state (California), I think Israelis should eat American pistachios, not Iranian ones," said Stewart Tuttle, spokesman for the U.S. Embassy in Tel Aviv.
...jetzt bin ich beruhigt.
Dienstag, 13. November 2007
Was heißt jüdische Politik?
Wenn man irgendeine heilige Schrift liest (mit oder ohne Anführungszeichen), kann man sich die Inhalte in drei Aspekten überlegen:
1. Ich-Gott: Was bedeutet es für meine Beziehung zu Gott?
2. Mensch-Mitmensch: Was bedeutet es für meine Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich in persönlichen Kontakt komme?
- und
3. Gesellschaft als Ganzes: Was bedeutet es für die Art und Weise, in der wir Menschen unser Gemeinwesen strukturieren, organisieren und leiten?
Mit der Entstehung des modernen Staates und insbesondere mit der Verbreitung der liberalen Demokratie hat der dritte und letzte Aspekt sehr stark an Bedeutung gewonnen. Denn seitdem ist jeder von uns in der Lage, sich politisch zu engagieren und das Gemeinwesen mitzugestalten. Nun ist es so, dass das sog. "Alte Testament" im Allgemeinen und das Pentateuch im Besonderen viel mehr gesellschaftsorientierte Fragen aufgreift als etwa das sog. "Neue Testament", das sich eigentlich zu distanzieren versucht ("in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt").
Doch gerade im Judentum, wo man sich durch den Jahreskreis hindurch mit dem jeweiligen Wochenabschnitt aus dem Pentateuch befasst, ist die gesellschaftsorientierte Lektüre lange eher vernachlässigt worden. Dies hatte freilich einen guten Grund: Während der langen Exilzeit(en) hatten die Juden ja kein souveränes Gemeinwesen, sondern nur relativ kleine Gemeinden mit sehr beschränkten Autonomierechten. Unter diesen Umständen sind Staatsfragen kaum bis gar nicht aufgetaucht, weshalb sie in der Regel auch nicht aufgegriffen worden (und wenn, dann aber eher als rein theoretisch-philosophische Übung).
Heutzutage, wo die Juden wieder ein souveränes Gemeinwesen, d.h. einen richtigen Staat haben, stehen diese Fragen ganz im Mittelpunkt - oder so soll es zumindest sein. Allgemein gesprochen geht es darum, was für einen Staat wir Juden haben wollen und sollen: einfach einen herzlschen "Judenstaat", d.h. einen normalen Nationalstaat nach abendländischem Muster? Oder eher einen jüdischen Staat, wo sich aber gleich die Frage stellt: Was sind eigentlich die "jüdischen Vorbilder", an denen sich ein "jüdischer Staat" zu orientieren hätte?
Für mich heißt es: Jüdischer Staat. Denn ansonsten ergibt die Existenz des modernen Staates Israels als eine kreuzritterliche Festungsinsel inmitten der feindlichen muslimischen See einfach keinen Sinn. Ganz im Gegenteil: Wenn die Juden nur als Privatpersonen, nicht aber in ihrem Gemeinwesen jüdisch sein sollten, dann könnten die Juden im Ausland eigentlich weit besser und nicht zuletzt auch sicherer leben.
Kurzum: Der Sinn der Souveränität Israels in dem ihm verheißenen Lande liegt nicht so sehr in der Vergangenheit, sondern vornehmlich in der Zukunft. Dies hat also nicht nur mit Realpolitik, sondern m. E. vor allem auch mit dem Gottesverständnis bzw. der Heilsgeschichte zu tun: Israels Aufgabe ist es eben, nicht passiv auf die Endzeit zu warten, sondern als Gottes Volk ganz aktiv die göttlichen Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und Moral hier auf Erden zu verwirklichen - wie es dreimal täglich im Gebet heißt: "zur Vervollkommnung der Welt in Gottes Reich". Uns, die wir dazu auserwählt sind, liegt es also ob, die in unseren Schriften enthaltenen Vorstellungen zu politisieren, d.h. öffentlich, gründlich und praxisorientiert zu besprechen, um sie dann mittels eines jüdischen Staates vorbildlich zu verwirklichen:
Ich, der Ewige, habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen
- Jesaja 42:6 (meine Hervorhebung, selbstverständlich)
Stichwörter: Jüdische Politik
Samstag, 10. November 2007
Ein Stück israelischer Kulturgeschichte
Git Woch allerseits,
nach der Gründung des Staates Israels waren die führenden Positionen innerhalb der zionistisch- bzw. nationalreligiösen Strömung über Jahrzehnte hinweg von Juden besetzt, die in der Tradition des deutsch-jüdischen Bürgertums verwurzelt waren; immerhin hing der Grundgedanke des religiön Zionismus sehr eng mit der neo-orthodoxen Lehre der deutschen Rabbiner Schimschen Rephuel Hirsch und Asriel Hildesheimer zusammen: Trotz aller Unterschiede im historischen Zusammenhang liegt beiden Strömungen der Wunsch zugrunde, Traditionell-Religiöses mit Modern-Weltlichem erfolglich zur Synthese zu bringen.
Vor diesem Hintergrund verstanden es die damaligen Führer der Nationalreligiösen als ihre Aufgabe, den Abstand zwischen Säkularen und Ultraorthodoxen zu überbrücken. Dazu gehörte u. a. auch das weltliche Medium des Fernsehens: Von den überwiegend säkularen Regierungen, die damals noch gänzlich über das Fernsehen verfügten, bekamen die "daitschen" Funktionären in den 1980er Jahren die Sendezeit gleich nach dem Schabbesausgang zur Verfügung gestellt.
Diese kostbaren Sendestunden wurden dann nach guter daitscher Tradition mit religiösen Chorgesängen und sonstiger Liturgie gefüllt. Allerdings mit wenig Erfolg: Die Säkularen mochten diese Sendungen nicht, weil sie "religiös" wirkten; den Nationalreligiösen gefielen sie ebenfalls nicht, weil sie nie eine richtige Botschaft an die Säkularen hatten (das wäre damals eine Zumutung gewesen) und den Nationalreligiösen selbst einfach zu langweilig waren; und die Ultraorthodoxen hatten eh keine Fernsehapparate. Dass es so etwas überhaupt im Fernsehen gab, wurde von (fast?) allen Zuschauern als Tribut der säkularen Elite an die politischen Macher der Nationalreligiösen betrachtet - und zwar mit gutem Grunde.
Anfang der 1990er Jahre ist das Kabelfernsehen erstmals im zionistischen Schnellkochtopf eingetroffen - und mit ihm eine bis dahin noch nie erahnte Auswahl an alternativen Fernsehprogrammen. Der Wandel war so umfangreich, dass er bereits 1992 in einem damals sehr erfolgreichen Film aufgearbeitet wurde. Der Film hieß schlicht und einfach Kabel und kam durch Zusammenarbeit prominenter Komödianten zustande. Dabei nahm er natürlich auch auf das staatlich erzwungene Fernsehprogramm Bezug - und der "daitsche" Kantorismus blieb selbstverständlich nicht verschont:
Ach, those were the days...
Der Wortlaut dieses satirischen Stücks besteht übrigens nur aus vier hebräischen Wörtern, die so viel bedeuten wie: "Seid fröhlich und freut euch über das Meer Gottes". "Seid fröhlich und freut euch über..." ist einem echten Lied entnommen, das zu Simchat Thorah gesungen wird. "Das Meer Gottes" hingegen - wie lässt es sich positiv formulieren? - kommt hier erstmals vor.
Nachtrag [11.11.2007]: Auf YouTube habe ich noch etwas aus Kabel gefunden. Die Interpretation überlasse ich diesmal euch...
Freitag, 9. November 2007
Wieder-Wieder-Wiedergutmachung
Ausgerechnet am 9. November - es ist kein Zufall:
Minister for Pensioner Affairs Rafi Eitan is seeking to reopen the 1952 reparations agreement between Israel and Germany.
Liebe Mitjuden: Beschlossen ist geschlossen - und vorbei ist vorbei!
Weiteres dazu auf haAretz.com
Nebenbei bemerkt:
1. Die bloße Idee, dass Überlebende des Holocaust aufgrund ihrer Vergangenheit alleine zu größerer staatlicher Förderung berechtigt sein sollten als andere Alte, die "einfach" "nur" arm, krank oder sonstwie bedürftig sind, ist schon an und für sich lauter Unsinn. Das ist keine Politik mehr, sondern Schnorrerei, der unsere sehr wackelige Regierung nicht standgehalten hat (und jetzt versucht diese Unregierung die Verantwortung dafür auf die Deutschen zu schieben).
2. Die meisten Alten, welche die neue Regelung der israelischen Regierung betrifft, sind eh keine Überlebenden im eigentlichen Sinne. Gemeint sind Zuwanderer aus der ehem. UdSSR, welche zur Kriegszeit hinter oder sogar an der Front waren, was im Stalin-Reich freilich kein großes Vergnügen gewesen ist, aber trotzdem noch nichts mit dem von den Nazis ausgehenden Holocaust zu tun hat.
a gutn Schabbes, a gutn Choidesch
Yoav
Stichwörter: 9. November, Wiedergutmachung
Mittwoch, 7. November 2007
Wir sind Papst!
Kaum hat man es geschafft, den merkwürdigen Beitrag des sog. "Zentralrates der Juden in Deutschland" zum öffentlichen Kreuzzug gegen Staatsfeindin Eva Herman zu vergessen - und schon macht sich der Zentralrat wieder lächerlich. Als Anlass bietet sich diesmal der baden-württembergische Landespresseball, der heuer am 9. November stattfindet und zwar unter Schirmherrschaft von Günther Oettinger, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten.
Wie bitte? Festliche Unterhaltung am 9. Aw - err... 9. November? Nicht in unserer Zentralratsrepublik: "Der Ministerpräsident hätte klipp und klar sagen müssen [sic!]: 'Das geht nicht'". Dieses Diktat öffentlich bekannt zu geben, hat sich Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der (aller?) Juden in Deutschland, erlaubt (zitiert im Spiegel). Dabei ist Kramer freilich entgangen, dass die deutsche Geschichte am 9. November nicht nur Schlimmes aufzuweisen hat, wie ihm Millionen seiner Mitbürger erklären könnten. Weiters fehlt ihm die Einsicht, dass nicht alles, was Menschen an einem bestimmten Tage machen, unbedingt damit zusammenhängt, was an diesem Tage in der Geschichte passiert ist. Noch auffälliger ist jedoch, dass Kramer offenkundig das Gefühl hat, der Zentralrat müsste der Nation auch in diesem Fall Moralunterricht erteilen.
Denn trotz aller öffentlichen Auftritte des Zentralrates (da hat man offensichtlich viel Freizeit), belangt es den Zentralrat überhaupt nichts an, was die Landespressekonferenz Baden-Württemberg (oder jede andere Organisation, die nichts Unmittelbares mit Judentum als solchem zu tun hat) am 9. November (oder an jedem anderen Tag) veranstaltet. Wie soll, wie kann man also dieses komische Verhalten verstehen? Einen wichtigen Hinweis liefert die tageszeitung:
Presseballorganisator Jens Fink sagte der taz, die Resonanz auf das von Oettinger gewünschte Tanzverbot sei "überwiegend Unverständnis". Auch er könne die Bedenken des Zentralrats nicht nachvollziehen. Schließlich habe schon 1990 ein Presseball am 9. November stattgefunden, "und damals hat sich keiner beschwert".
Irgendwas muss also inzwischen passiert sein, damit der Zentralrat überhaupt den Eindruck gewinnen konnte, es wäre jetzt die Zeit für moralistische Expansionspolitik. Meines Erachtens ist dies auf zweierlei zurückzuführen, das eigentlich sehr eng miteinander zusammenhängt: Einerseits die neue Juden- bzw. Zuwanderungspolitik, welche die Berliner Republik zwar von der letzten DDR-Regierung mit ererbt, dann aber ganz bewusst und gezielt weiter betrieben und entwickelt hat (vgl. etwa den Staatsvertrag); andererseits die neuen Muster der Vergangenheitsbewältigung bzw. Holocaustaufarbeitung, die erst nach Abschluss der innerdeutschen Teilung in diesem Umfang möglich wurde und sich in der Fülle von Gedenkstätten oder etwa Filmen mit jüdischer Thematik bekundet.
Wenn man nun die staatlich geförderte Verzehnfachung der Zahl der Juden in Deutschland, in deren Namen der Zentralrat zu sprechen glaubt, mit der zentralen Rolle des Juden in der neuen deutschen Geschichtspolitik verbindet, wird einem klar, wie es zum vermeintlichen Mitspracherecht des Zentralrates kommen konnte, und zwar selbst in rein innerdeutschen Angelegenheiten. Allerdings wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis das Pendel der politischen Macht sein Extrem erreicht. Der Zentralrat verhilft ihm dorthin.
P.S.
Noch zu untersuchen wäre, wie der Zentralrat etwa den Leo-Baeck-Preis zugunsten seiner Expansionspolitik einsetzt. Angela Merkel ist ja nicht die erste hochrangige, noch aktive (!) Politiker/in, die diesen Preis verliehen bekommt. Ist es übrigens auch euch aufgefallen, dass die Bundeskanzlerin diesen Preis von einer Organisation bzw. Körperschaft bekommen hat, die selber ihre Finanzierung von der Bundesregierung bekommt?
Stichwörter: 9. November, Moral, Zentralrat
Sonntag, 4. November 2007
Berlin - Hebräisch - Speyer
I.
"Kol Berlin", die Stimme Berlins, ist eine hebräischsprachige Rundfunksendung im OKB, dem Offenen Kanal Berlin, moderiert von Aviv Russ. Ab sofort stehen die Sendungen auch im Internet zur Verfügung und zwar unter:
http://www.icast.co.il/default.aspx?p=Podcast&id=54850
Für alle also, auf die diese Sprache therapeutisch einwirkt. Aviv könnt ihr übrigens unter kolberlin@gmail.com anschreiben, etwa um euer Lieblingslied zu erbitten.
II.
Einer Anregung durch medbrain zufolge bin ich letzte Woche nach Speyer gereist. Mir ist das Städtl etwas nibelungisch vorgekommen, wohl aufgrund der optischen Kongruenz zwischen dem salischen Dom einerseits und Fritz Langs Kriemhilds Rache (dem 2. Teil seines Nibelungenepos) andererseits.
III.
Und was verbindet Berlins hebräischsprachige Rundfunksendung mit meiner Reise nach Speyer? "Sapir", mein heutiger Nachname, war die Wahl meines seligen Vaters, als er den Familiennamen "Speyer" hebräisiert hat. "Sapir" bedeutet auf Hebräisch Saphir.
Dienstag, 30. Oktober 2007
Tagung in Ffm. zum Wandel in den jüdischen Gemeinden
In meinem elektronischen Briefkasten ist vor kurzem (a Dank, Mirjam!) ein wichtiger Hinweis eingetroffen:
Die Einwanderung russischsprachiger Juden
und der Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland
Tagung
Donnerstag, 13. und Freitag, 14. Dezember 2007
Johann Wolfgang Goethe-Universität – Campus Westend
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main
Aus der Website von H-Soz-u-Kult:
Die Migration russischsprachiger Juden nach Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre hat zu großen Veränderungen in der hiesigen jüdischen Gemeinschaft geführt, die sich auch und gerade in den jüdischen Gemeinden niederschlagen. Im zweiten Jahrzehnt der Einwanderung ist die anfängliche Euphorie einer wechselseitigen Ernüchterung gewichen. Während mancherorts Distanz und Resignation zwischen „Alteingesessenen“ und „neu Zugewanderten“ überwiegen, lassen sich bisweilen auch neue Formen des Miteinanders beobachten.
Wie kann der Wandel in den jüdischen Gemeinden angemessen beschrieben werden? Welche Probleme und Konflikte, aber auch Chancen und Perspektiven verbinden sich mit der Einwanderung russischsprachiger Juden? Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Begriff der Integration zu? Und: Welche Folgen haben diese Veränderungen für das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland?
Diesen und weiteren Fragen soll im Rahmen einer interdisziplinären Fachtagung nachgegangen werden. Dabei gilt es, aus soziologischer, historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive die verschiedenen Erwartungshaltungen, kollektiven Narrative und Identitätsmuster auszuloten, die den spannungsreichen Aushandlungsprozessen innerhalb der jüdischen Minderheit in Deutschland gegenwärtig zugrunde liegen.
Weitere Infos bei H-Soz-u-Kult und am Fritz-Bauer-Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust (PDF-Datei).
Und nicht zuletzt: "Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei."
Stichwörter: Frankfurt am Main, Tagung
Montag, 29. Oktober 2007
Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
[...]
Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
- aus dem geltenden Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Art. 3, Abs. 3, Satz 1 bzw. Art. 33, Abs. 3, Satz 2; meine Hervorhebungen). Pflichtlektüre für jeden, der hierzulande lebt! Am besten als Lesestoff im Bett vor dem Einschlafen: Ich zumindest finde das Grundgesetz sehr beruhigend...
Heißt es nun, dass es keine Grenzen gibt bzw. geben kann, dass alles erlaubt ist? Nein: Es gibt sehr klare Grenzen, nur werden sie in einer demokratischen Gesellschaft durch die öffentliche Politik gesetzt und geregelt, auf keinen Fall also durch Privatpersonen bei deren Begegnungen mit anderen.
Und wieso bin ich jetzt plötzlich darauf gekommen? Weil Juebe, die Betreiberin des Jüdischen Berlin, davon berichtet, wie der Geschäftsführer des Dresdner Holiday-Inn-Hotels "die Buchung von zwei NPD-Abgeordneten storniert" hat (vgl. hier, hier sowie in der taz vom 19.10.2007). Juebe führt den Brieftext an, den der Geschäftsführer an die beiden Abgeordneten sowie an die Presse geschickt hat. Unter anderem steht dort: "Da Sie in unserem Hause nicht willkommen sind und ich es auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten kann, Sie zu begrüßen und zu bedienen [sic!], haben wir hotel.de gebeten, die Buchung zu stornieren." Die mit öffentlichen Beleidigungen versehene Zurückweisung erfolgte mithin ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit der beiden Personen zu einer in Deutschland (noch) gesetzlich anerkannten und zugelassenen Partei!
Die Absicht des Geschäftsführers ist klar und tatsächlich als positiv zu beurteilen. Doch seine Methode weist auf Mangel an demokratischer Grundeinstellung hin: Wenn ihn die NPD so sehr stört - und das soll sie ja auch -, kann er sich politisch engagieren, um die Partei und ihr Gedankengut als solche zu bekämpfen. Nicht akzeptabel ist hingegen die Ausdehnung der politisch-ideologischen Front in den zwischenmenschlich-geschäftlichen Bereich und somit auch ins Privatleben der Betroffenen hinein.
In dieser Situation, wo man gute Absichten mit sehr schädlichen Methoden zu verwirklichen sucht, erblicke ich eine große Gefährdung der liberalen Demokratie: Heute will der besagte Hotelier keine NPD-Abgeordnete - d.h. Volks- bzw. Bürgervertreter! - unterbringen; morgen möchte ein Passauer Gastronom keine Linkspartei-Mitglieder mehr bewirten. Und übermorgen?
Laut dem Text, den Juebe auf Ihrer Webseite veröffentlich hat, hat der Geschäftsführer in seinen öffentlichen Hetzbrief nur einen einzigen Vorbehalt eingefügt (meine Hervorhebung):
Sollte dies aus vertraglichen Gründen nicht möglich sein, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich sämtliche in unserem Hause durch Sie getätigten Umsätze unmittelbar als Spende an die Dresdner Synagoge weiterleiten werde.
Der Hinweis auf die dortige Synagoge ist zwar nett, hat aber mit unserer Sache nichts zu tun. Weit wichtiger ist die Formulierung: "aus vertraglichen Gründen" - denn, wie Juebe erklärt, "[a]llerdings war nicht von Anfang an klar, ob das Hotel die Stornierung juristisch durchziehen kann, denn die Buchung war über einen Internetservice erfolgt." Auf gut Deutsch heißt es: Der Geschäftsführer hat auf den öffentlich-rechtlichen Aspekt seines Briefes gar nicht Bezug genommen, d.h. seinen verfassungswidrigen Äußerungen gar keinen öffentlich-rechtlichen Vorbehalt beigefügt.
Meiner Laienmeinung nach hat sich dieser Geschäftsführer mit seinem Hetzbrief, der einen groben Verstoß gegen das geltende Grundgesetz bildet, strafbar gemacht.
Nachtrag [29.10.2007]: Im Nachhinein ist es mir eingefallen, dass das Hotel in seinem Handeln als juristische Person (d.h. juristisch betrachtet) wohl gar nicht so weitgehend dem Grundgesetz unterliegt, wie es der Staat tun muss. Dazu sagt man auf Jüdisch: Es mag vielleicht koscher sein, aber stinken tut es sicher (übrigens rührt die Redewendung is-koscher-ober-farschtunken von einem - wohl hypothetischen - halachischen Rechtsfall her; vielleicht komme ich iregendwann noch dazu).
II. Nachtrag [30.10.2007]: Wie mir über die unten stehenden Kommentare erklärt wurde (und wie ich im ersten Nachtrag vermutet habe), treffen meine juristischen Argumente auf diesen Fall eigentlich kaum zu. Also muss ich die Botschaft dieses Beitrages auf die zwar höhere, aber subjektive moralische Ebene verlegen; sei es hiermit getan.
III. Nachtrag [17.12.2007]: Wichtige Hinweise zum Thema findet ihr in diesem anknüpfenden Beitrag.
Stichwörter: Demokratie, Justiz, NPD
Sonntag, 28. Oktober 2007
Sendehinweis (oder: mich gibt's jetzt auch im Fernsehen)
Save the date: An diesem Mittwoch, den 31. Oktober 2007 (also in drei Tagen!), um 18:30 Uhr läuft auf arte ein weiteres Kapitel in der Reihe "Gesichter Europas", diesmal aber auch mit meinem Gesicht!
Es handelt sich hierbei vornehmlich um das jüdische Wien, das mein Freund Walter Weihrauch - in der Rolle des Alteingesessenen - mir, dem ausländischen Juden, vor der Kamera zeigt und über das wir dann beide diskutieren. Auf der Wiener Mazzesinsel (2. Bezirk), vor allem im Dreieck Taborstraße-Karmelitermarkt-Donaukanal, gibt es nämlich - im Gegensatz etwa zu Berlin - schon wieder ein richtiges Judenviertel, ein selbsterwünschtes Ghetto. Dort halten sich die besten Stiblech versteckt (vergesst den sog. Stadttempel in der Seitenstettengasse!), dort trifft man sich, dort isst man beisammen, dort findet man halt alles, was Leib und Seel' bedürfen, ach: dort will ich wieder hin!
Insgesamt war ich zwei Monate in Wien - von Anfang Juli bis Anfang September. Danach bin ich nach Berlin, in eine völlig andere Umwelt umgezogen. Vielleicht schreibe ich mal über meine Wiener Erfahrungen: Insbesondere als Historiker war für mich die Stadt von großem Interesse. Einige meiner Notizen aus der damaligen Zeit habe ich bereits im Web veröffentlicht und zwar unter dem Titel: Deutschösterreich? Eine kritische Diskussion über das nationale Selbstverständnis des heutigen Österreich. Sie werden aber wohl kaum bis gar nicht gelesen, weshalb ich seit längerem nicht mehr daran arbeite.
Das restliche Wien kommt zwischendurch aber auch noch vor: Walter (li.) und ich (re.) im Prückel am Stubenring. Echt guter Topfenstrudel! (© ZDF / Klaus Balzer)
Weiteres findet ihr natürlich auf der diesbezüglichen arte-Seite.
Ofiederschoan!
Nachtrag [29.10.2007]: Auf meinem (im obigen Foto abgebildeten) Laptop habe ich noch das folgende Foto finden können, das ich inmitten der Dreharbeiten gemacht habe:
Es gucken in die Kamera (v. l. n. r.): Klaus Balzer (Regie), Hardo Moritz (Ton) und Andreas Stonawski (Kamera) - alle übrigens aus Hamburg
Kurze Anmerkung zum letzten Wochenabschnitt
In der Parscha der vorhin ausgegangenen Woche wird davon erzählt, wie Abraham Gottes Befehl befolgte und seinen Sohn Isaak ans Altar band, um ihn gleich als Opfer zu schlachten. Die positiven, Abrahams Verhalten verherrlichenden Lesarten sind sehr bekannt und brauchen hier daher nicht wiederholt zu werden. Mich dünkt jedoch, dass Abraham bei diesem Versuch weitestgehend scheiterte. Gott erwartete von ihm die gewissenhafte Souveränität eines wahrhaft freien Menschen; er wollte, dass Abraham sich als gläubig genug erweisen würde, um notfalls auch Nein sagen zu können, und zwar ohne dabei Angst zu haben, dass dies den Glauben erschüttern könnte. Denn selbst der kleinste Soldat muss sich stets gut überlegen, ob der Befehl des größten, obersten und wichtigsten Kommandeurs überhaupt durchgeführt werden darf: Das ist die moralische Grundlage jeder hierarchisch strukturierten Beziehung. Abrahams Glaube war aber noch längst nicht ausgereift, um sich Gott gegenüber angemessen verhalten zu können. Daher musste sich Gott (durch den himmlischen Boten) einmischen und Abraham selbst daran hindern, den eigenen Sohn zu schlachten. Bis zum allerletzten Augenblick wartete Gott und hoffte darauf, dass sich Abrahams Glaubensrückgrat bekundet. Wie sehr muss er alsdann enttäuscht gewesen sein.
Stichwörter: Glaube, Jiddischkeit auf Deutsch, Moral